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Was war. Was wird. Von Algorithmen getrieben

"Algorithmen gewinnen sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung", klingt es aus Politikermund – und auch so, als hätten die Redenschreiber zu viel Tatorte gesehen, meint Hal Faber.

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Pagerank
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In München versagte eine Schritt-für-Schritt-Anweisung für ein System, das einen Film abspielen sollte, ausgerechnet auf den Münchener Medientagen. Forderte Ministerpräsident Horst Seehofer die Medienmacher auf, diese Anweisung zu veröffentlichen, damit alle nachschauen können, wo das Problem ist? Nix da, die Einzigartigkeit des Freistaates Bayern in Sachen Technik ist dahin und so fällt der Satz: "Dass du, liebe Bundeskanzlerin, die Zeugenschaft dieses Versagens hast, ist eine große Sache." So kann die liebe Bundeskanzlerin ihre sorgsam geplante Grundsatzrede halten und liest sie Schritt für Schritt aus ihrem Manuskript vor. Später wird die Grundsatzrede veröffentlicht und enthält auch die Passagen zur Videopanne, die nicht in der Redeanweisung enthalten war, nun aber bestens zum Thema des Vortrages passt, der algorithmisch gesteuerten Filterblase: "Insofern war es eigentlich auch gut, dass der Film vorhin ausgefallen ist. Stellen Sie sich vor, einer hätte schon berichtet, welch toller Film hier gezeigt worden wäre, was dann aber nicht stattgefunden hat."

*** Hat aber stattgefunden, dass Kanzlerin Merkel den Internet-Konzernen an die Gurgel, pardon, an die Algorithmen will? Sie sprach von transparenten Algorithmen, etwa dem oben abgebildeten ursprünglichen Pagerank, mit dem der Aufstieg von Google zum Konzern begann. Sie sprach etwas wolkig davon, dass sich "die großen Plattformen mit ihren Algorithmen zunehmend zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter entwickeln", was die Vorstellung entstehen lässt, dass diese Algorithmen etwas schwach auf der Brust sind. Die promovierte Physikerin las schließlich jenen Teil vor, bei dem die Verfasser ihrer Rede sich kräftig vergriffen: "Algorithmen gewinnen sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Früher hat man sich mit so etwas in Mathematik- und Physikstudien herumgeschlagen. Heute macht der Algorithmus die künstliche Intelligenz aus." Es klingt, als hätten die Redenschreiber zu viel Tatorte gesehen.

*** Jede Handlungsanweisung kann als Algorithmus definiert werden und die wenigstens davon sind Teilgebiete der Mathematik oder der Physik. Zugegeben, in den wichtigsten Algorithmen unserer Zeit, wie sie der Informatiker John MacCormick in seiner Rangfolge aufstellte, steckt eine Menge Mathematik. Auf Platz 1 setzte er die Public Key Verschlüsselungsverfahren, auf Platz 2 die Fehlerkorrekturverfahren, auf Platz 3 die Verfahren zur Mustererkennung und auf Platz 4 die Kompressionsverfahren – wie man sieht, hatte auch die Physik ihren Anteil an den Algorithmen, die allesamt keinem einzigen Konzern gehören. Erst mit dem 5. Platz mit Googles Pagerank kommt ein proprietärer Algorithmus ins Spiel.

*** Was die Transparenz der Algorithmen anbelangt, so wissen wir nichts über den neuen einflussmaximierenden Veröffentlichungs-Algorithmus, den Wikileaks unter dem Namen stochastischer Terminator entwickelt hat. Diese Handlungsanweisung soll die Veröffentlichung der "Podesta-Mails" steuern, die häppchenweise Tag für Tag weiter geht, obwohl Wikileaks-Chef Julian Assange derzeit nur unzureichenden Zugang zum Internet hat. Ebenso wenig ist bekannt, wie das Update des Terminators den Strom der geschwätzigen Mails verbesserte, die sich die Mitarbeiter im demokratischen Hauptquartier zuschickten. Das Foto vom badenden Bernie Sanders, die heftigen Angriffe von Chelsea Clinton oder die alberne Aufschneiderei eines Beraters über die Clinton AG hatten längst nicht den Sensationscharakter, den Wikileaks diesen Mails zubilligt. Das gilt eher für die FBI-Ermittlungen, die bei der Untersuchung des Sexting eines schwanzgesteuerten Politikers auf weitere E-Mails aus dem Clinton-Lager gestoßen sind. Jeder Drehbuchautor würde für diese schmierige Wende als vollkommen untauglicher Phantast gelten, doch passt es zu der US-Politik, die unter dem Druck von Trump zu einer Reality Show geworden ist, mit ganz eigenen Algorithmen.

*** Als deutscher Treppenwitz muss die Nachricht gewertet werden, dass Digitalkommissar Oettinger das Haushaltsbudget der EU überwachen und zusammenhalten soll. Auf diese Weise bekommt Europa einen EU-Vizepräsidenten, der sich nicht zu schade ist, von der Pflichthomoehe zu faseln und Chinesen zu verhöhnen, deren Haare mit Schuhcreme gekämmt würden. Auch wenn dies "im privaten Kreis" von 200 Zuhörern gesagt wurde, so müssen solche "Späßchen" verstören. Sie gehören zu einem vergifteten Diskussionsklima, in dem die lesbische Preisträgerin des Friedenspreises als Moralsuse abgekanzelt werden kann, wenn sie von der Universalität der Menschenrechte spricht. Das Ganze kommt nicht vom rechten Rand der AfD und der Pegida-Wirrköpfe, sondern aus der Mitte des deutschen Kulturbetriebes. Selbstgefälliger Pathos, wenn es um Menschenrechte geht, auch um die Rechte der LBGT-Szene. Wer so die Menschenrechte abkanzelt, hat auch kein Verständnis für die anhaltende Kritik an jenem BND-Gesetz, das den "Kernbereichsschutz" der Menschenwürde aufgibt, nur damit ein Nachrichtendienst eine gesetzliche Grundlage für seine Abhörpraxis bekommt.

*** Hu! Wenn diese Wochenschau im Internet auftaucht, wurde auf Island gewählt, mit den Piraten um Birgitta Jónsdottír auf dem zweiten Platz in der Wählergunst. Der lustige Wahlslogan, dass die Installation der direkten Demokratie so schwierig ist wie die Installation eines Computerprogrammes auf einem alten klapprigen Mac, wird wohl nicht den Ausschlag gegeben haben. Inmitten all der Porträts dieser Frau und all der Überlegungen, wie die Panama Papers das Ausmaß der Korruption aufdeckten, sollte die isländische Medien-Initiative nicht vergessen werden, der Jónsdottír ebenso vorsteht wie der isländischen Piratenpartei. An dieser Initiative für die Freiheit der Rede und dem Schutz der Whistleblower arbeitete einstmals auch Wikileaks mit, ehe es zum Bruch mit Jónsdottír kam. Vor sechs Jahren verabschiedet, ist das Projekt noch längst nicht abgeschlossen, weil das isländische Parlament die Durchführungsbestimmungen noch nicht beschlossen hat. So steht der modernste Whistleblowerschutz nur auf dem Papier und gerät bei all der piratigen Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen in Vergessenheit.

Was wird.

November ist die Zeit der Gipfelstürmer mit diesem IT-Gipfel, in dem sich die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft "permanent auf Neuland begeben", wie dies Angela Merkel in ihrer Rede in München skizzierte. In dieser Woche wurde die Neuausrichtung des deutschen IT-Gipfels mit neun Plattformen und auf ihr tagenden 34 "Fokusgruppen" beschlossen, die ihrerseits wieder in schicke Projektgruppen wie der Aufbruch in die Gigabit-Gesellschaft unterteilt sind. Erstmals als Fokusgruppe dabei ist der "Datenschutz", der Innenminister Thomas de Maizière vorstehen wird. Das könnte spannend werden, hat sich dieser Tage doch die oberste deutsche Datenschützerin gegen den vom Innenministerium geplanten Ausbau der Videoüberwachung ausgesprochen. Wenn die IT-Gipfler in Saarbrücken zusammenkommen, um über Lernen und Handeln in der digitalen Welt nachzudenken, ist Google mit seinem CEO Sundar Pinchai mit dabei. Er könnte der Hauptrednerin Angela Merkel erklären, was es mit diesen Algorithmen auf sich hat. Und Merkel? Sie könnte vielleicht diese "Smartphonekenntnisse" ausführlicher beschreiben, dank denen Deutschland mehr ist als eine verlängerte Werkbank derer, die ohne lästigen Datenschutz "aus großen Datenmengen neue Produkte machen". Besonders diese Formulierung macht ja neugierig: "Die Unternehmen können sich sozusagen diese Smartphonekenntnisse zu eigen machen, um ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die entsprechenden Maschinen und technischen Einrichtungen der Unternehmen zu binden." Pflugscharen zu Touchscreens!

(anw)