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Was war. Was wird. Von guten Aussichten und schlechten Absichten.

Totgesagte leben länger. Das gilt glücklicherweise für die Ukraine. Derweil machen sich Philosophen so lächerlich, wie sie eben können, grummelt Hal Faber.

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Vielleicht redet man hierzulande ja zu wenig übers Essen, ganz anders als in Frankreich. Oder man redet ideologieschwer über vermeintlich "richtiges" Essen. Aber wer genießt schon unbeschwert, wenn die Zeiten sich wenden und die leeren Blätter der Geschichte wieder mit Blut beschrieben werden.

(Bild: Yulia Grigoryeva / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Wenn die für uns kaum überprüfbaren Nachrichten stimmen, sind die russischen Truppen rund um Kiew auf dem Rückzug. Eines der Kriegsziele in Putins Krieg ist damit nicht erreicht worden. Aber ist es überhaupt Putins Krieg? Es gibt ein übersetztes Interview mit einem ehemaligen russischen General, der das Glück hatte, bisher überleben zu können. Er argumentiert ganz auf Putins Linie, wenn er davon spricht, dass bisher alles nach Plan läuft und eigentlich nur die erste Staffel im Einsatz ist, die die Entmilitarisierung der Ukraine zu 70 bis 80 Prozent abgeschlossen hat. "Ich denke, dass der Gegner nach der vollständigen Einkreisung von Kiew dann doch zunehmend seine Kampfmoral verliert und seinen Widerstand aufgibt. So scheint mir das." Und dann? "Dann kommt unsere Nationalgarde dran. Die gesamte Kriegswissenschaft hat schon immer gelehrt, dass gleich nach den Truppen die Polizei, der FSB, die Staatsanwaltschaft und die Auszahlungsstellen für den Sold kommen müssen. Eine Volkszählung muss gemacht werden, Lebensmittel sind ein Thema und Renten." Nach der Armee soll die Nationalgarde kommen, um Proteste zu bekämpfen, dazu Polizei und der Geheimdienst und schließlich die Zahlstellen für den Sold, so die Pläne aus der Sicht des Generals. Mit der Besoldung der Soldaten hat er die Erkenntnis aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion gezogen, als unter Boris Jelzin kein Geld für die Soldaten da war und der Rubel nur für die Bediensteten der russischen Eisenbahnen rollte. Sie hielten das riesige Land zusammen.

*** Ob es wieder so kommt, ist eine Frage des Tempolimits für Verbrenner und anderer wirkungsvoller Sanktionen. Was nicht wieder so kommt, daran erinnert sie Schlagzeile der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 5. September 2021. Da titelte das Blatt fröstelnd und das Allerschlimmste befürchtend: "Linke bereitet sich auf Rot-Grün-Rot vor. Jetzt wird es ernst." Das ist endgültig Geschichte mit einer Linken, die in einem langen Artikel zu Grabe getragen wird. "Sanktionen bringen nichts und helfen auch der Ukraine nicht. Es hilft den Ukrainern nicht, wenn wir die Wirtschaft Deutschlands und Europas ruinieren und Leute in die Arbeitslosigkeit treiben." Die Sätze stammen von Klaus Ernst, Vorsitzender des Bundestags-Ausschusses für Klima und Energie. Im Saarland ist die Partei bereits untergegangen. Im Wahl-O-Mat von Nordrhein-Westfalen soll sich die Linke bei der Frage nach Sanktionen enthalten haben, was auch schwer überprüfbar ist, da der Wahl-O-Mat sich gerade auf Schleswig-Holstein konzentriert. Ob es im echten Norden echte Aussichten gibt?

*** Gute Aussichten hat dagegen die US-amerikanische Firma Palantir mit Überwachungs-Software wie Gotham und Foundry in Deutschland neue Kunden zu finden. Im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen erschien in dieser Woche ein Portrait der Firma unter dem Titel "Wir sind kein unpolitisches Unternehmen." Das hört sich ehrlicher an als Online, wo es heißt: "Wir haben extrem gute Argumente." So bekommt Palantir einen Persilschein und wird für das Angebot gelobt. "Auch im Zusammenhang mit Russlands Überfall auf die Ukraine bietet Palantir seine Dienste an. Beispielsweise wenn es um die Umsetzung von Sanktionen geht. Das Unternehmen hilft Banken, Transaktionen zu identifizieren, die von Sanktionen betroffen sind. /../ In anderen Branchen könne die Software dabei helfen Lieferketten aufrechtzuerhalten, wenn es an einzelnen Stellen zu Ausfällen kommt, indem von vorneherein Alternativen im System einbezogen werden. Der Krieg habe unterstrichen, dass ein Just-in-Time-Modell, in dem man auf die Zuverlässigkeit jedes Lieferanten angewiesen sei, nicht mehr funktioniere. 'Diese Welt werden wir nie wieder sehen'", so wird Palantir-Manager Jan Hiesserich zum Schluss zitiert. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, auch der Software.

*** "Que sera sera, whatever will be, will be, the future's not ours to see, que sera sera" sang einst die Philosophin Doris Mary Anne Kappelhoff, besser bekannt als Doris Day. Sie feiert heute ihren 100. Geburtstag. Wer jetzt den Einwand hat, dass Frau Day eine Sängerin und Filmschauspielerin war, dem muss ich sagen, dass einer wie Richard David Precht in Deutschland als Philosoph gilt, weil er im Stern den alten Hegel zitieren konnte, der angeblich meinte: "Die friedlichen Zeiten sind die leeren Blätter im Buch der Weltgeschichte. Sie nicht mit weiterem Leid zu schwärzen, ist die Moral der Stunde." Aus diesen Sätzen Forderungen zu den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland abzuleiten, ist etwas unmoralisch, selbst für einen Richard David Precht, der der Ukraine schon mal die Pflicht zur Klugheit, endlich zu kapitulieren, nahelegte. Abgesehen davon verband Hegel mit den leeren Blättern eher weniger einen moralischen Anspruch: "Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr; denn sie sind die Perioden der Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes. Die Reflexion in sich, diese Freiheit ist überhaupt abstrakt das formelle Moment der Tätigkeit der absoluten Idee. Die Tätigkeit ist die Mitte des Schlusses, dessen eines Extrem das Allgemeine, die Idee ist, die im inneren Schacht des Geistes ruht, das andre ist die Äußerlichkeit überhaupt, die gegenständliche Materie. Die Tätigkeit ist die Mitte, welche das Allgemeine und Innere übersetzt in die Objektivität", schreibt Hegel in den "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte". Ob Precht da einiges durcheinandergebracht hat? Nun gut, auch heutige Philosophen haben ein glückliches Händchen dabei, sich so lächerlich zu machen, wie man das als medienaffiner Philosoph eben so kann. Wenn man das überhaupt noch lächerlich finden mag. Wer aber nun von Doris Day spricht, darf von Wolfgang Grupp nicht schweigen. Der Mann, der dem Affen das Sprechen beibrachte, wird 80 Jahre alt und bekommt nach dem Bundesverdienstkreuz ein Portrait in der taz: "Mit Selbstbeschränkung und Gradlinigkeit hat er seine Bekleidungsfirma durch viele Krisen gesteuert. Aber wenn das Embargo kommt, könnte es happig werden."

*** Glückliche Bundesstadt Bonn: Die ehemalige Hauptstadt ist dank einer nunmehr gut gefüllten App namens Citykey nach Angaben der Deutschen Telekom eine der ersten smarten Städte Deutschlands geworden. Angekündigt war das schon länger, doch erst zum 1. April konnte man durchstarten. Vergessen ist die T-City Friedrichshafen, ebenfalls von der Telekom gegründet oder die Smart City Darmstadt. Dort hat der "Netzwerkstadtcharakter" dazu geführt, dass der Ort bald über schlaues Wasser verfügt, das nicht einfach abläuft, sondern aufbereitet und in Zisternen gespeichert wird. Dennoch ist Bonn ein Stückchen smarter, ist man doch "auf dem Weg zum zentralen Forum für Künstliche Intelligenz", die im Deutschen Museum von "Museotainern" demonstriert wird. Jetzt fehlt nur noch die von einer KI gesteuerte Seilbahn.

In Frankreich und Ungarn ist Wahlsaison. 12 Kandidatinnen und Kandidaten stehen in Frankreich zur Wahl, die aller Voraussicht nach mit einem zweiten Wahlgang endet. Liest man französische Zeitungen, so scheint das zentrale Wahlthema das immer schlechtere Essen zu sein, nur am rechten Rand geht es um den großen Austausch, das Grand Remplacement. Der oberste Essenskritiker ist ein Linker, Fabian Roussel von der Kommunistischen Partei mit einem Programm der Lebensfreude. Unentwegt redet er über guten Wein, den leckeren Käse und Fleisch von glücklichen französischen Kühen und Hühnern. Man bekommt richtig Hunger, auch nach der guten alten Zeit, als alles Essen besser war – und die Kommunisten bis zu 25 Prozent der Stimmen bekamen. Der Favorit der Wahl ist nach wie vor Präsident Macron, der mit dem dritten Weg für eine europäische und ökologische Zukunft, natürlich mit Atomkraftwerken.

Liest man deutsche Zeitungen, wird kaum über das Essen geredet und Macron wird zum Chaoten Jerry Lewis, der alle Instrumente in einem Orchester spielen muss, weil ihm die Leute abhanden gekommen sind. Auf einen wichtigen Unterschied macht Daniel Cohn-Bendit in einem Interview aufmerksam: "Aber noch einmal zu Frankreich und seinem Verhältnis zu Atomenergie und Atomwaffen: In Frankreich bedeutet die Parole 'Nie wieder …' etwas anderes als in Deutschland. In Frankreich meint dieses 'Nie wieder …' nie wieder feindliche Soldaten auf unserem Gebiet. Während man in Deutschland mit 'Nie wieder …' meint: nie wieder deutsche Soldaten außerhalb der deutschen Grenzen. Das waren zwei unterschiedliche Lehren aus zwei Weltkriegen. Für Frankreich bedeuten Atomenergie und Atomwaffen die Garantie für seine Souveränität." So kann man sich bei einfachen Sätzen missverstehen. Und ich mach mir jetzt einen Mitternachtsimbiss mit guten französischem Käse. Aber mit italienischem Wein, sorry, das muss trotz aller Francophilie sein.

(jk)