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Was war. Was wird. Von kleinen und großen Abschieden.

Ich möchte lieber nicht. Das ist nicht nur angesichts trauriger Nachrichten so manches Mal die richtige Haltung, meint Hal Faber. Der aber auch Hoffnung hegt.

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Nein, das ist nicht Baby-Groot.. Auch wenn die Guardians of the Galaxy nicht nur gute Laune, sondern auch Hoffnung zu verbreiten vermögen. Eskapismus ist halt doch manchmal eine gute Ergänzung zum "Ich möchte lieber nicht".

(Bild: Black Salmon / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** "Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt ... Toooor! Toooor! Toooor! Toooor!" Wie heißt es so schön zum Wunder von Bern: "In allen Berichten heutiger Zeit über das 54er Finale wurden die schwarz-weißen Bilder des Spiels stets mit der Radioreportage Zimmermanns unterlegt." Das musste bezahlt werden, dafür sorgte ein Anwalt, Hans-Christian Ströbele, der Neffe von Herbert Zimmermann. Unter den vielen Nachrufen auf einen großen Anwalt und auf den leidenschaftlichen Politiker zählt dieses kleine Detail zu den Schönsten: "Er hielt die Rechte an der Aufzeichnung und Ströbi handelte bei jeder Übertragung außerhalb der ARD für seine Familie vierstellige Honorare aus, die für politische Zwecke gespendet wurden." Ja, Helmut Rahn, einer der besten Linksaußen aller Zeiten, hatte noch einen Linksaußen, auch wenn der lieber Fahrrad fuhr, als Fußball spielte. Der literweise Milch trank und den Alkohol verabscheute. "Also reich geworden sind wir damit nicht. Im Übrigen spendeten wir die Gelder für gemeinnützige Projekte. Heute läuft da eh nichts mehr. Klar war auch, dass wir für bestimmte Anfragen auch gar kein Geld verlangten: Letztens kam z.B noch die Anfrage eines Schulbuch-Verlages, der einen Auszug der Reportage mit pädagogischer Zielsetzung abdrucken wollte. Das ist überhaupt kein Problem und kostet natürlich nichts. Mein Veto legte ich ein, wenn mit der Stimme meines Onkels für Alkohol geworben werden sollte. Dann half auch nichts, mich umzustimmen."

*** Hans-Christian Ströbele war umstimmbar, wie bei den Tagen im November 2001, als Bundeskanzler Gerhard Schröder den Bundeswehreinsatz in Afghanistan mit der Vertrauensfrage verknüpfte und die rot-grüne Regierung vor dem Aus stand. "Das will Ströbele, der kein Ideologe, sondern Pragmatiker ist, nicht. Der Druck ist groß, die Verhandlungen sind hart. Weil vier andere sich umstimmen lassen, kann Ströbele beides bekommen: seiner Überzeugung entsprechend abstimmen und die Regierung erhalten." Zur Verklärung dürfte auch gehören, dass Ströbele die tageszeitung mitgründete und sie mit einer Genossenschaft rettete, als die Redaktion drauf und dran war, das Blatt an einen Investor zu verkaufen. Wer mag, kann sich an den 17 Jahre lang agierenden Geheimdienstkontrolleur Ströbele erinnern, der Edward Snowden in Moskau besuchte und der Antreiber hinter der Kampagne Ein Bett für Snowden war. Sicher wird, wie ich einmal schrieb, neben dem Snowden-Poster ein Seyfried-Poster von Ströbele in den Archiven der US-Dienste zu finden sein, die jetzt dabei sind, ihre von Trump gefledderten Schriftstücke einzusammeln. Belassen wir es mit der Kurznachricht von Marco Bülow, der die Gründung einer Ströbele-Stiftung fordert: "Der Urgrüne Ströbele war vor allem ein radikaler Demokrat, vor dem ich mich wirklich verneige. Aufrichtig, authentisch, aufsässig. Ein Vordenker – früher konnte man Querdenker sagen – der seine Ideale nicht an der Karrieregarderobe abgegeben hat. Widerborstig, ohne kompromisslos zu sein. Ein Politiker, der heute mehr als zuvor auf der roten Liste steht."

*** Denn nicht nur Ströbele ist tot. Auch das 9 Euro-Ticket ist beerdigt worden und dann ist da noch Michail Sergejwitsch Gorbatschow, der Ehrenbürger von Berlin, eine Gestalt mit Licht und Schatten. Vergessen wird gern, dass der Vater von Perestroika und Glasnost auch schon mal Truppen in abtrünnige Randrepubliken des riesigen Sowjetreichs schickte. Hinter einer Paywall verbuddelt ist der aus russischer Perspektive geschriebene Text über den ersten Menschen. "Weil er sich weigerte, sich wie ein Monster zu verhalten, veränderte er die Welt. Auch wenn er an den guten Lenin glaubte. Und ganz gleich, was Putin jetzt tut, wie viele ukrainische Städte er zerbombt, wie viel er lügt, wie viel er erpresst, wie viele Russen er in den Tod schickt – es wird ihm nicht gelingen, die Sowjetunion wiederauferstehen zu lassen." Vielleicht hätte man den legendären Werbespot von Pizza Hut auch in der zusammenbrechenden Sowjetunion senden sollen, doch dort wurde er niemals gezeigt. So ist Michail Sergejwitsch Gorbatschow der zweite russische Staatsmann nach Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, der ohne formelles Staatsbegräbnis zu Grabe getragen wird. Nur eine Ehrenwache wurde der Familie zugestanden.

*** Wie Frank Drake begraben wird, weiß ich nicht. Im Alter von 92 Jahren ist der Vater des SETI@home-Projektes gestorben, wie seine Tochter mitteilte. Vielleicht wird der eine oder andere Außerirdische mit von der Partie sein, von deren Existenz Frank Drake überzeugt war, als er die Drake-Gleichung entwickelte. Später entwarf er mit Carl Sagan die Pioneer-Plakette, die 1972 auf die Reise ging. Beide arbeiteten dann an der Arecibo-Botschaft, auf die sich bislang niemand gemeldet hat. Vielleicht ist wirklich intelligentes Leben so intelligent, die Finger (oder was auch immer) von einer Erde zu lassen, auf der es die Menschen nicht gebacken bekommen, ihren Energiehunger mit erneuerbaren Energien zu stillen. "Wenn die Geschichte der Wissenschaft in einigen hundert Jahren geschrieben wird, nachdem wir intelligentes Leben außerhalb der Erde entdeckt haben – davon bin ich absolut überzeugt – glaube ich, dass Frank zu den größten Wissenschaftlern gezählt wird, die jemals lebten", so Andrew Siemion vom SETI Research Center.

*** Auch die IT-Szene trauert um einen großen Geist. Der plötzliche Tod von Peter Eckersley, dem ehemaligen Cheftechniker der Electronic Frontier Foundation, in einer Klinik bei der Vorbereitung einer dringenden Operation erschüttert die Sicherheits- und Verschlüsselungsspezialisten. Eckersley war der führende Kopf hinter Projekten wie HTTPS Everywhere, Let's Encrypt und Certbot, vom Privacy Badger und Panopticlick, allesamt Werkzeuge, die das Internet ein wenig sicherer machen. Zuletzt beschäftigte er sich intensiv mit der Nutzung von künstlicher Intelligenz für ethische Entscheidungen: "Ein Beispiel dafür wäre ein KI-System zur Unterstützung medizinischer Entscheidungen. Statt eindeutig eine bestimmte Therapie zu empfehlen, könnte es drei Optionen nennen: eine zur Maximierung der Lebensdauer eines Patienten, eine für die Minimierung seines Leidens und eine dritte für die Minimierung der Kosten." Nun hat keine Maschine und kein Arzt entschieden, sondern sein krebsgeschwächter Körper.

Inmitten all der Abschiede hat es eine Ankunft gegeben. Auf einer Klausurtagung der Bundesregierung wurde die bereits in der letzten Woche erwähnte Digitalstrategie der Ampel festgezurrt. Wissing wackeliges Werk fand abseits der drei Regierungspartner wenig Zuspruch, soll aber der Hebel für die Digitalisierung unseres Landes sein. Ausgerechnet der KI-Branchenverband vermisst die Entwicklung "demokratiesichernder Technologien", als wäre er von der Brandrede des US-Präsidenten Joe Biden zur Verteidigung der Demokratie angestachelt worden. In den USA sind die Demokraten unverhofft im Aufwind, doch ob das auch für die Demokratie gilt, wird sich bei den Midterms zeigen. Unterdessen hat die indigene Amerikanerin Mary Peltola gegen Sarah Palin den Sitz Alaskas im Repräsentantenhaus gewonnen. Es gibt sie noch, die guten Nachrichten.

Das sollte man auch beim zweiten Nichtstart von Artemis SLS so sehen, als gute Nachricht. "Misslingt es uns nicht auch öfters, unsere Triebwerke in den richtigen Temperaturbereich für den Tag zu bringen? Und dann gehen wir doch meistens raus, fahren zur Arbeit oder in die Schule, machen all diese Dinge, von denen wir denken, dass wir sie tun müssen. Artemis 1 wollte das nicht. Von SLS ist es kein großer Schritt zu BLB (Bartleby), dem großen Komplettverweigerer der Weltliteratur. 'I would prefer not to', sagt er immer wieder." Ich möchte lieber nicht, das ist eine edle Haltung, zu beherzigen, wenn jemand Überstunden verlangt oder eben einen Flug zum Mond.

Und da ich auf eine gewisse Art mit Fußball angefangen habe, soll das "Was wird." noch hoffnungsvoller mit einer weiteren guten Nachricht enden, gute Laune machen in traurigen Zeiten. Mindestens für eine Woche darf sich der SC Freiburg als Tabellenführer der Bundesliga der eigentlich schon lange verdienten Meisterschaft etwas näher fühlen, auch wenn der gute Christian Streich wegen solcher Hoffnungen wahrscheinlich Ohmachtsanfälle kriegen dürfte. Es bleibt jedenfalls, sich zu freuen – und die Daumen zu drücken.

(jk)