Warntag: Cell Broadcast besser als Warn-Apps, Sirenen noch ausbaufähig

Ein persönliches Zwischenfazit zum deutschlandweiten Warntag und den Warn-Multiplikatoren aus Sicht eines Sprechers der AG Kritis: Wir sind auf einem guten Weg.

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Warnung kam bei vielen Mobilfunkgeräten an

(Bild: Martin Holland)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Johannes 'ijon' Rundfeldt
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Als am Donnerstag die Testwarnungen per Cell Broadcast versendet wurden, befand ich mich auf dem Digitalgipfel in Berlin. Obwohl der Warntag den Organisatorinnen bekannt war, wurde er im Programm nicht berücksichtigt oder eingeplant und so wurde die gerade laufende Paneldiskussion um 10:59 durch eine Kakophonie an jaulenden Smartphones unterbrochen.

Eine Einschätzung von Johannes 'ijon' Rundfeldt

(Bild: Sanjar Khaksari)

Johannes Rundfeldt ist Gründer und Sprecher der AG Kritis.

Der Standard DE-Alert gibt vor, dass die Smartphones, wenn der Besitzer nicht reagiert, fünf Minuten lang Lärm machen. Überraschend war für mich, dass der Warnton scheinbar herstellerübergreifend koordiniert wurde und gleich klang.

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Da viele der Anwesenden den Klang wohl noch nicht zuordnen konnten, kam auch noch mehrere Minuten später aus diversen Taschen und insbesondere auch aus der Garderobe das warnende Piepen – scheinbar konnten viele Vertreter von Politik und Wirtschaft das Geräusch nicht zuordnen und ignorierten es daher, obwohl ihre eigenen Geräte die Verursacher waren.

Auf dem Digitalgipfel wurde dann durch die Moderatorin um ein Handzeichen gebeten, wer die Warnungen bekommen hat – mir erschien es, als würden etwa 80 Prozent der Anwesenden aufzeigen [Anm.d.Red.: Das wäre ein etwas höherer Anteil als bei unserer nicht repräsentativen Umfrage, bei der ein Drittel keine Benachrichtigung erhielten]. Sicherlich ist dies nicht repräsentativ. Daher ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit der Anwesenden relativ neue Smartphones hat. Die Warnungen konnten von Android-Geräten mit mindestens Android 11, oder von iPhones mit mindestens iOS Version 15.6.1 empfangen werden. Alle Smartphones, die innerhalb der letzten zwei Jahre hergestellt worden sind, müssten diese Anforderungen erfüllen.

Auch wenn Besitzerinnen älterer Smartphones zum Warntag noch nicht gewarnt wurden, so steht schon jetzt fest: Cell Broadcast erreicht mehr Bürger schneller und direkter, als es die Warn-Apps Katwarn und Nina vermögen. Sicherlich sind Katwarn und Nina schneller, wenn die Warnungen nicht an alle App-User gleichzeitig ausgespielt werden muss, sondern nur an User in bestimmten Landkreisen. Trotzdem hat der Versand der Warnmeldungen aus Katwarn und Nina auch bei diesem zweiten bundesweiten Warntag wieder länger gedauert. Ob die Warnmeldungen der Apps genauso lange gedauert haben wie 2020 – bis zu 40 Minuten –, wird der Abschlussbericht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zeigen.

Herr Ralph Tiesler, der Präsident des BBK, hatte bereits am Donnerstagnachmittag in einer Pressekonferenz angekündigt, den Bericht veröffentlichen zu wollen. Die AG Kritis begrüßt diese Ankündigung – wir hoffen, dass das Bundesministerium des Innern, unter dessen Aufsicht Tiesler steht, dies ermöglicht. Klar ist: Sowohl der Abschlussbericht als auch die angekündigten wissenschaftlichen Studien und Auswertungen müssen vollständig veröffentlicht werden.

Enttäuscht war ich, dass Berlin mit dem Wiederaufbau der Sirenen nicht fertig geworden ist. Von den geplanten 400 Sirenen waren lediglich 28 installiert – und keine davon ist zum jetzigen Zeitpunkt an den behördlichen Digitalfunk angebunden. Genau diese Anbindung ist aber notwendig, damit über das modulare Warnsystem des BBK (MoWas) diese Sirenen aktiviert werden können. Laut der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Digitalisierung wird es noch bis 2024 dauern, bis die neuen Berliner Sirenen für die Warnung der Bevölkerung eingesetzt werden können – peinlicherweise knapp zwei Jahre nach Start des Sirenenförderprogramms.

Mich erreichten auch Berichte aus anderen Regionen, dass dort installierte Sirenen nicht ausgelöst wurden. Welche Ursachen das hatte, wird der Bericht des BBK zeigen – sofern dieser tatsächlich veröffentlicht wird. Am Mittwoch vor dem Warntag berichtete der Tagesspiegel, dass die Innensenatorin von Berlin – Iris Spranger (SPD) – erst noch ein neues Landesamt für Katastrophenschutz gründen wolle, das allerdings frühestens ab 2024 finanziert werden könne. Eine solche Initiative hätte ich in den ersten Wochen nach dem Warntag 2020 erwartet – am Vorabend des Warntages 2022 erinnert dieses Verhalten an einen bockigen Teenager, der am Abend vor der wichtigen Schulklausur noch alibimäßig das Lehrbuch durchblättert, weil er vorher keine Lust hatte sich auf die wichtige Klausur vorzubereiten.

Positiv überrascht war ich allerdings von den Werbetafeln an den Bus- und Tramhaltestellen in Berlin. Hier hat der Betreiber, die Wall AG, große Schritte gemacht. Beim letzten Warntag 2020 geschah die Auslösung der Warnmeldungen noch händisch, dieses Mal wurde demonstriert, dass das modulare Warnsystem automatisch die Warnungen aktiviert.

Werbetafeln warnen am Warntag

(Bild: Mike Boedger / Walldecaux)

Laut Wall AG wurden alle Werbetafeln bundesweit mit der Warnung bespielt. Auch dauert es wohl normalerweise bis zu 20 Minuten, um einen neuen Werbeinhalt auf den Anzeigen aufzuspielen. Beim Warntag kam ein eigens entwickeltes System zum Einsatz. Dieses System beschleunigte das Ausspielen und so konnte die Warnung des BBK direkt aus dem modularen Warnsystem binnen Sekunden auf allen Tafeln dargestellt werden. Der andere große Anbieter für Werbetafeln und Stadtinformationssysteme Ströer testete ebenfalls erfolgreich das Ausspielen der Warnungen.

Wenn am 23. Februar 2023 die Frist zur Umsetzung des Systems DE-Alert (Cell-Broadcast-Warnungen) endet, sind alle deutschen Mobilfunknetzbetreiber zum regulären Betrieb verpflichtet. Da der Test zum Warntag überwiegend erfolgreich verlaufen ist, gehe ich davon aus, dass alle drei Netzbetreiber zum Stichtag Ende Februar die verbleibenden Arbeiten abgeschlossen haben werden. Mit der Fertigstellung im Februar 2023 hat Deutschland die Frist der EU deutlich gerissen. Die EU hatte ihren Mitgliedsstaaten vorgeschrieben, das System bis spätestens 21. Juni 2022 einzurichten.

Damit bleiben wir hinter den Niederlanden (2012), Griechenland (Ende 2019), Italien (2021) und Frankreich (Juni 2022) zurück, die ihre entsprechenden Systeme alle fristgemäß fertiggestellt hatten. Es bleibt der fromme Wunsch, dass im zuständigen Ministerium des Inneren diese Verzögerungen analysiert und aufgearbeitet werden und dass die gefundenen strukturellen Probleme tatsächlich behoben werden. Die normalerweise hier platzierte Forderung nach der Schaffung von Transparenz wage ich hier nicht zu formulieren, denn aufgrund vergangener Erfahrungen ist ein Lotto-6er realistischer, als dass das BMI transparent Fehler aufarbeiten und zugeben würde.

(mack)