"E-Commerce für alle"

Der frühere AOL-Chef und Investor Steve Case über die kommende Demokratisierung des Onlinehandels, überraschende Innovationen und brachliegende Potenziale auch bei Behörden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Antonio Regalado

Der frühere AOL-Chef und Investor Steve Case über die kommende Demokratisierung des Onlinehandels, überraschende Innovationen und brachliegende Potenziale auch bei Behörden.

Erinnern Sie sich noch an Steve Case? Das ist der Mann, der den Online-Dienst AOL in den 1990ern zeitweilig zu einem der größten Internetanbieter der Welt machte und mit der Übernahme von Time Warner die Medienbranche das Fürchten lehrte. Heute betreibt der 55-jährige Milliardär den Wagniskapitalfonds Revolution in Washington. Case’ Ziel: Revolution zum größten Investor östlich des Mississippi zu machen.

Mit futuristischen Schlagworten um sich zu werfen, ist seine Sache allerdings nicht. Sein Fokus ist immer noch auf dem Durchschnittsverbraucher und „großen Ideen, die noch kleine Firmen sind“. Sein Fonds investiert deshalb vor allem in Start-ups im Onlinehandel. 40 Millionen Dollar steckte Revolution in BigCommerce, die bislang größte Investition. Das Start-up will Händlern jeder Größe „Amazon-artige Möglichkeiten“ eröffnen. Der potenzielle Kundenkreis ist riesig: 95 Prozent des US-Einzelhandels bestehen aus Unternehmen, die nur ein einziges Ladengeschäft betreiben. Technology Review sprach mit Case über die kommende Demokratisierung des E-Commerce, überraschende Innovationen und brachliegende Potenziale auch bei Behörden.

Technology Review: Wie groß ist Ihr Fonds? Und konzentrieren Sie sich auf den Onlinehandel?

Steve Case: Vor zwei Jahren haben wir einen Wachstumsfonds mit 450 Millionen Dollar aufgelegt und vor einigen Wochen einen Risikofonds mit 250 Millionen Dollar. Aus dem Wachstumsfonds haben wir ein halbes Dutzend Investitionen getätigt, drei davon allein im vergangenen Jahr im Bereich E-Commerce. Vom Ansatz her ist das aber nicht das Hauptengagement – unsere Vision geht über einen E-Commerce-Fonds hinaus. Es zeigt sich jedoch, dass in dieser Kategorie viel Wachstum steckt, dass hier noch viele Innovationen kommen. Dazu gehören auch Bereiche, die nicht ganz so offensichtlich sind.

TR: Können Sie ein Beispiel nennen?

Case: Wir haben in eine Firma in Washington namens Optoro investiert. Die machen etwas, an das ich nicht einmal gedacht hatte, bis wir ins Gespräch kamen. Im Wesentlichen geht es darum: Bei Staples oder Best Buy werden 10 bis 15 Prozent der Käufe rückgängig gemacht. Was passiert dann mit dem Kram, der zurückgeht? Er landet in einer Art schwarzem Loch. Optoro hat einen Weg gefunden, wie man dies mittels Software abwickelt und wieder online anbietet. Es handelt sich also um klassische Offline-Geschäfte, die mit Hilfe des Internets ihren Ertrag vergrößern.

TR: Sie sprechen von einer „zweiten Internet-Revolution“, die vor allem Bereiche erfassen wird, in denen die Regierung eine wichtige Rolle spielt, wie Bildung und Gesundheit. Ist der Onlinehandel der Hebel, um diese Revolution in Gang zu setzen?

Case: Er ist nicht der einzige Hebel, aber ein wichtiger Hebel. Die Regierung gibt einen Haufen Geld aus. Deshalb haben wir in eine Firma namens FedBid investiert, die Beschaffungsauktionen mit 50.000 Anbietern durchführt. Die Regierung kann damit bei den meisten Einkäufen zehn Prozent einsparen. Wenn wir die Regierung effizienter machen, ist das gut. Es hilft der Regierung und dem Land, und wir bekommen eine Transaktionsgebühr.

TR: Als Sie mit AOL gestartet sind, hatten nur drei Prozent der Amerikaner Internetzugang. Heute sind alle online. Und doch macht der Onlinehandel nur sechs Prozent der Einzelhandelsumsätze aus. Woran liegt das?

Case: In einigen Bereichen hat sich der E-Commerce als disruptiv erwiesen – viele Buchhandlungen etwa mussten schließen. Einkaufszentren hingegen laufen ziemlich gut, weil Shopping vor allem eine soziale Erfahrung ist, es geht nicht nur darum, Dinge zu kaufen. Die generelle Entwicklung des E-Commerce zeigt aber weiter in Richtung Wachstum. Das kommt nur nicht über Nacht.

TR: Dienstleistungen könnten das nächste große Geschäft im E-Commerce werden. Obwohl sie 40 Prozent der Wirtschaft ausmachen, hat sich der Online-Kauf bisher noch nicht auf sie ausgewirkt.

Case: Das stimmt. Es gibt da eine Firma namens Open Table, die einen erheblichen Einfluss darauf genommen hat, wie Restaurant-Reservierungen durchgeführt werden. Wir haben in Booker investiert, eine Firma, die dasselbe für den Rest des Dienstleistungssektors machen will. Wo etwa eine Massage gebucht werden soll oder eine Fellpflege für ein Haustier, schafft Booker einen transparenteren Markt. Die Menschen können sehen, zu welchen Zeiten etwas verfügbar ist. Ich glaube, das hat ein enormes Potenzial.

TR: Was wird Ihrer Meinung nach den Onlinehandel in Zukunft noch prägen?

Case: Rund zehn Millionen unabhängige Online-Händler verkaufen auf Plattformen wie eBay oder Etsy. Es gibt noch viel mehr Möglichkeiten für viele Leute, ihr Firmenschild digital rauszuhängen und mitzumischen. Das heißt nicht, dass die konsolidierten großen Player wie Amazon nicht auch in Zukunft Vorteile haben. Aber wenn Sie sich mal bei Restaurants umschauen, da gibt es zwar die großen Ketten, aber die meisten sind immer noch Familienbetriebe. Es wird immer diese Mischung geben. Nur war es für die kleinen Unternehmen bisher sehr schwer, beim E-Commerce mitzumischen.

Wir haben ziemlich viel in BigCommerce investiert. Die Firma bietet Werkzgeuge für den Onlinehandel an, die so leistungsfähig wie die von Amazon sind und die in ein paar Minuten eingerichtet werden können. Vor fünf Jahren hätte es noch ein halbes Jahr und Hunderttausende Dollars gekostet, eine E-Commerce-Seite aufzubauen. Jetzt geht das in 30 Minuten, für schlappe 30 Dollar. Ich finde das ziemlich cool. Damit wird der Onlinehandel demokratisiert und zum E-Commerce für alle. (nbo)