Missing Link: EU-Urheberrechtsreform - "Ă–ffentliches Interesse wird ignoriert"
Im Januar soll sich endgültig entscheiden, ob eine verschärfte Haftung für Online-Plattformen, Upload-Filter und ein EU-weites Leistungsschutzrecht kommen.
YouTuber sind in Aufruhr: Ungewohnt politisch malen Videomacher seit Monaten auf der Plattform das drohende Aus für das Portal oder gar das Internet in seiner heutigen Form an die Wand. "Mein Kanal wird gelöscht", fürchtet etwa "ConCrafter" mit dem Hashtag "SaveYourInternet". "Mibu" hat sogar zehn Stunden lang "Artikel 13 ist Scheisse" gesagt und damit die Crux direkt benannt: Es ist vor allem die entsprechende Passage aus dem Entwurf für die EU-Copyright-Reform, mit der Google, Facebook & Co. für nutzergenerierte Inhalte haften und rechtswidrige Uploads von vornherein verhindern sollen, die die "Influencer" auf die virtuellen Barrikaden treibt.
Befeuert hat die Panik YouTube-Chefin Susan Wojcicki. Im Oktober warnte sie die Inhalteproduzenten des Portals in einem langen Blogbeitrag, dass es bald mit den neuen Medienkarrieren und dem freien Meinungsaustausch nebst den beliebten Zitaten aus anderen Beiträgen vorbei sein dürfte. Artikel 13 bedrohe die Möglichkeit von Millionen von Menschen, Inhalte auf Plattformen wie YouTube hochzuladen, erklärte die US-Amerikanerin. Zudem müssten Nutzer in der EU wohl auch daran gehindert werden, bestehende Beiträge abzurufen, brachte sie Maßnahmen wie Geoblocking ins Spiel.
"Content ID" – Gutes Geschäft für YouTube
Der Vorschlag könnte betroffene Portale laut Wojcicki dazu bringen, "nur noch Inhalte von einer kleinen Zahl großer Firmen zuzulassen". Es würde zu riskant, Content von kleineren Schöpfern zu hosten, da die Betreiber dann direkt dafür hafteten: "Die unbeabsichtigten Konsequenzen von Artikel 13 werden dieses gesamte Ökosystem in Gefahr bringen."
YouTube selbst dürfte aber bestehen bleiben und könnte anfangs sogar gute Geschäfte machen aufgrund der besonders umstrittenen Klausel. Mit "Content ID" hat die Google-Tochter bereits für geschätzte 100 Millionen US-Dollar ein Filtersystem für rechtswidrig hochgeladene Inhalte geschaffen, das Konkurrenten und vor allem die Betreiber kleinerer Plattformen mit nutzergenerierten Beiträgen nicht so schnell nachbauen könnten. Viele der Betroffenen wären so darauf angewiesen, die Zensurtechnik von Google zu lizenzieren.
Content ID funktioniert aber mehr schlecht als recht. Rechteinhaber können damit ziemlich einfach auch völlig legale Inhalte auf die schwarze Liste setzen. Die gebannten Produzenten müssen dann gegebenenfalls erst in einem aufwändigen Verfahren nachweisen, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Zu hundert Prozent dürfte zudem auch das YouTube-System nicht sämtliche Uploads geschützter Werke mit Ansprüchen Dritter verhindern können. Google und Lizenznehmer könnten so direkt in Anspruch genommen werden, wenn Dritte auf ihren Portalen Urheberrechte verletzen.
Faire Lizenzvereinbarungen mit Rechtsinhabern
Was das EU-Parlament mit seinem Beschluss im Oktober prinzipiell befürwortet hat, kommt einem Paradigmenwechsel bei der Haftung vieler Provider gleich. "Anbieter von Online-Inhaltsweitergabediensten", die große Mengen nutzergenerierter Inhalte verfügbar machen, sollen für letztere direkt verantwortlich werden. Die bisher für sie geltenden Privilegien aus der E-Commerce-Richtlinie besagen dagegen, dass sie nur nach einem Hinweis auf Rechtsverletzungen haften und im Anschluss geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um Verstöße abzustellen.
Künftig könnten Geschädigte also auch ihre Ansprüche etwa auf Schadenersatz direkt bei der Plattform geltend machen. Den eigentlichen Verursacher müssten sie gar nicht mehr ausmachen. Filter dürften die meisten Betroffenen daher nicht wirklich schützen, wenn sie nicht wasserdicht sind. Im Kern wollen die europäischen Abgeordneten die betroffenen Portalbetreiber eh dazu bringen, "faire und angemessene Lizenzvereinbarungen mit den Rechtsinhabern zu schließen". Vor allem YouTube, das nach eigenen Angaben bereits rund 2,5 Milliarden Euro für Werknutzungen ausgezahlt hat, soll deutlich mehr zahlen müssen.
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"Trilog"-Verhandlungen
Nicht erfasst werden nach dem Standpunkt des Parlaments neben unkommerziellen Dienste wie Online-Enzyklopädien etwa auch kleine und mittlere Unternehmen. In den weitgehend undurchsichtigen, noch andauernden "Trilog"-Verhandlungen zwischen Vertretern der Abgeordneten, der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission hat der parlamentarische Berichterstatter Axel Voss (CDU) laut der Piratin Julia Reda aber vorgeschlagen, just diese Ausnahme zu streichen.
Die einschränkende Klausel war aber mit ein Grund dafür, dass sich die Volksvertreter nach anfänglichen Bedenken doch noch für den Kompromissvorschlag ihres Verhandlungsführers erwärmten. Firmen und Verbände aus der Musik-, Fernseh- und Filmindustrie hatten jüngst aber in mehreren Lobbyschreiben deutlich gemacht, dass sie gegen eine solche Ausnahme sind und ein verwässerter Artikel 13 von ihnen nicht unterstützt werden könne. Voss äußerte sich auf Anfrage von heise online nicht zum Stand der Dinge und seinem aktuell verfolgten Kurs. Dem Vernehmen nach hat die Bundesregierung inzwischen über den EU-Rat den Vorschlag eingebracht, nur Unternehmen mit einem Jahresumsatz von unter 20 Millionen Euro von der "Upload-Filter-Pflicht" auszunehmen. Viele mittelgroße Portale wären also weiterhin davon betroffen.