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10.000 Dollar für "termination": Wikileaks setzt Kopfgeld auf Journalisten aus

Daniel AJ Sokolov
Statue des Kain, der verzweifelt die Hand vor das Gesicht hält

"Cain venant de tuer son frere Abel" nannte Henri Vidal seine Statue das biblischen Kain.

(Bild: Alex E. Proimos CC BY 2.0)

Wikileaks zürnt einem US-Journalisten, weil er seine Quelle, eine NSA-Mitarbeiterin, nicht geschützt haben soll. Die Enthüllungsplattform hat eine Belohnung für die "Terminierung" des Mannes ausgesetzt – ein zweideutiger Begriff.

Die Anklage gegen eine NSA-Mitarbeiterin [1] wegen Geheimnisverrats hat Wikileaks zu einer Auslobung verleitet: "Wikileaks lobt eine Belohnung von 10.000 US-Dollar für Informationen aus, die zur öffentlichen Bloßstellung und Entlassung dieses 'Reporters' führen", lautet ein Tweet vom Dienstag. Wikileaks benutzt dabei den englischen Begriff "termination", der neben Entlassung auch Tötung bedeuten kann. Zielperson ist Matthew Cole, ein Journalist der US-Webseite The Intercept.

Cole wird als erster von vier Autoren eines Artikels [2] über angebliches Spearphishing eines russischen Geheimdiensts angeführt. Dieser Bericht wurde Winner zum Verhängnis, was Wikileaks auf Fehler Coles zurückführt. Er habe seine Informantin nicht geschützt.

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13 Minuten nach dem @Wikileaks-Tweet äußerte sich Julian Assange, Wikileaks' öffentliches Gesicht, von seinem eigenen Twitter-Account [6]: "Meistens liebe ich @TheIntercept, aber wenn das Euer Kerl ist, nennt ihn beim Namen, beschämt ihn öffentlich und entlasst ihn." Auch Assange bemüht dabei den zweideutigen Begriff "termination". Auf Fragen, was damit genau gemeint ist, haben weder Wikileaks noch Assange geantwortet.

Winner soll einen Top-Secret-Ermittlungsbericht der NSA an The Intercept geschickt haben. Laut dem Dokument glaubt die NSA, dass der russische Militärgeheimdienst GRU hinter Spearphishing-Attacken [7] auf US-Wahlbehörden und deren Dienstleister im Vorfeld der US-Wahlen vom vergangenen November steckt.

Julian Assange

Julian Assange (2014)

(Bild: Cancillería del Ecuador CC BY SA 2.0 [8])

Cole hat langjährige Erfahrung als Journalist und beschreibt sich selbst als "investigative reporter". Dennoch ist ihm oder einem seiner Kollegen im Fall Winner offenbar ein grauenhafter Fehler unterlaufen, der dem FBI geholfen haben könnte, Winner in Rekordzeit dingfest zu machen: Laut Gerichtsakte schickte der Journalist einem Geheimdienstler Fotos des geheimen NSA-Berichts, mit der Frage, ob das Dokument echt sei.

Noch unverständlicher ist, dass der Journalist dem Geheimdienstler frei erzählte, wo der Informant arbeiten dürfte: Der Poststempel "Augusta, Georgia" lasse auf eine in der dortigen NSA-Einrichtung beschäftigte Person schließen. Der Kontaktmann informierte postwendend seine Geheimdienst-Kollegen.

Als diese Vorgehensweise durchsickerte, ergriffen auch zwei prominente Ex-Beamte das Wort gegen Cole: "Er hat bereits in der Vergangenheit Quellen gelinkt", twitterte Joseph Hickman [9], selbst Journalist und einst Wärter im US-Gefangenenlager Guantánamo Bay. Hickman sieht sich selbst sowie den Ex-CIA-Agenten John Kiriakou als Opfer unzureichenden Informantenschutzes seitens Cole.

Kiriakou hatte Folterungen durch die CIA offengelegt und wurde dafür zu 30 Monaten Haft verurteilt [10]. Für die CIA-Folterungen selbst wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Kiriakou gibt Cole Schuld daran, aufgeflogen und verurteilt worden zu sein. Auch damals gab der Journalist Informationen an Regierungsbeamte weiter. Allerdings streitet er ab [11], Kiriakous Namen preisgegeben zu haben.

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The Intercept hat am Dienstag eine wenig ergiebige Stellungnahme [15] veröffentlicht, wonach das Medium nicht wisse, wer der aktuelle Informant sei. Die Anklage gegen Winner sei eine unbewiesene Anschuldigung. Weitere Stellungnahmen werde es bis auf Weiteres nicht geben.

Bereits am Samstag war die 25jährige Winner verhaftet worden. Das FBI hatte sie in nur zwei Tagen überführt. Im Antrag auf einen Durchsuchungsbefehl gegen Winner hatte ein FBI-Agent angegeben, dass das preisgegebene Geheimdokument sechs mal ausgedruckt worden war. Und nur einer der sechs Ausdrucker habe vom Arbeitsplatzrechner aus per E-Mail mit The Intercept kommuniziert: Winner.

Der MIC in dem NSA-Dokument

Dieser Ausschnitt aus dem NSA-Dokument zeigt den MIC.

Diese Darstellung ist allerdings irreführend. Wie aus einem ausführlicheren Dokument aus der Gerichtsakte hervorgeht, hatten diese E-Mails nichts mit dem Fall zu tun. Winner hatte im März The Intercept lediglich um ein Transkript eines Podcasts gebeten. Der gegenständliche NSA-Bericht wurde hingegen erst Anfang Mai erstellt.

Das Druckerlog und ein im Ausdruck versteckter Code dürften die FBI-Spionageabwehr zu Winner geführt haben. Dabei handelt es sich um den Machine Identification Code (MIC), der unter anderem Seriennummer des Druckers und Druckzeitpunkt offenbart. In Kombination mit dem Log führt der MIC zu jenem User, der den Ausdruck veranlasst hat. Und den MIC dürfte The Intercept den US-Diensten frei Haus geliefert haben – mit dem an den Geheimdienst-Kontakt geschickten Foto des Berichts. Selbst im veröffentlichten PDF lässt sich der MIC auswerten.

Winner gestand noch am Samstag. Das lässt ihrer Verteidigung kaum Spielraum. Die Anklage beruft sich auf ein Spionagegesetz aus 1917. In so einem Verfahren werden die Geschworenen wohl gar nicht erfahren, welche Beweggründe die Angeklagte hatte. Auch die Frage, ob die Preisgabe des Geheimnisses im öffentlichen Interesse war, spielt keine Rolle.

Der Winner zugeteilte Pflichtverteidiger wurde vom Gericht rasch wieder abberufen. Die Angeklagte verfüge über ausreichend finanzielle Mittel, selbst einen Anwalt zu engagieren, lautet die Begründung. Nach einer ersten, zwölfminütigen Anhörung sitzt Winner seit Samstag im Gefängnis. Am Donnerstag soll über ihre theoretisch mögliche Freilassung auf Kaution verhandelt werden. Das Strafverfahren heißt United States v. Reality Leigh Winner und wird am US-Bundesbezirksgericht für das südliche Georgia unter Aktenzeichen 1:17-mj-00024 geführt.

(ds [17])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/USA-Anklage-wegen-NSA-Leak-ueber-Wahl-Hacking-Russlands-3734142.html
[2] https://theintercept.com/2017/06/05/top-secret-nsa-report-details-russian-hacking-effort-days-before-2016-election/
[3] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[4] https://t.co/W9wijCk5d3
[5] https://twitter.com/wikileaks/status/871928915031457795
[6] https://twitter.com/JulianAssange/status/871932404885327872
[7] https://www.heise.de/news/Russischer-Geheimdienst-soll-US-Wahlbehoerden-angegriffen-haben-3734140.html
[8] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en
[9] https://twitter.com/JosephHickman0/status/872156407361142784
[10] https://www.heise.de/meinung/Was-war-Was-wird-Von-einem-Zombie-Alarm-und-Geschichte-als-Grauen-statt-als-Farce-2489418.html
[11] https://motherboard.vice.com/en_us/article/torturer-whistleblower-reporter-spy-john-kiriakou
[12] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[13] https://twitter.com/theintercept
[14] https://twitter.com/JohnKiriakou/status/872087259985694721
[15] https://theintercept.com/2017/06/06/statement-on-justice-department-allegations/
[16] https://www.heise.de/downloads/18/2/2/1/7/1/6/2/Affidavit3.pdf
[17] mailto:ds@heise.de