20C3: "Lesemaschine" fürs Parlament

Der Chaos Computer Club will der Informationsfreiheit des Bundes auf die Sprünge helfen und die komplette Bundestagsbibliothek digitalisieren, falls die Hüter über das Urheberrecht mitspielen.

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Der Chaos Computer Club (CCC) und die Wau-Holland-Stiftung wollen der Informationsfreiheit des Bundes auf die Sprünge helfen und die komplette Bundestagsbibliothek digitalisieren. Dies kündigte Gerriet Hellwig von der Stiftung auf dem 20. Chaos Communication Congress (20C3) an. "Wir haben seit 1985 die Forderung nach der maschinenlesbaren Regierung erhoben", sagte der Hackerveteran. Solange das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes nicht vorankommt, wollen die Chaosjünger daher die Bundesregierung erst einmal beim Gesetzgebungsprozess durch die Ermöglichung einer besseren Recherche in der über 1.250.000 Bände umfassenden Sammlung der Parlamentsbibliothek unterstützen, die gerade ihr neues Domizil in einem Rondell des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses bezieht.

Die Hacker arbeiten im Rahmen des umfangreichen Elektronifizierungsprojekts an einem "Letter-Cruncher", der die Informationen aus dem Wissensbestand aufbereitet und besser zugänglich macht, führte Hellwig aus. Probleme bereiten aber noch die bestehenden Urheberrechte bei den gesammelten Werken. Die Wau-Holland-Stiftung hat sich daher bereits an Bundesjustizministerin Brigitte Zypries gewandt, um eine Genehmigung zu erhalten. Ihr Vorschlag lautet, im Rahmen der anstehenden zweiten Stufe der Copyright-Novelle eine Ausnahmeregelung in Paragraph 52a des Urheberrechtsgesetzes einzubauen. Das Parlament solle sich damit, fordert Hellwig, selbst vom Urheberrechtsschutz ausnehmen und seine Bibliothek digitalisieren dürfen.

Jörg Tauss, medien- und forschungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, begrüßte den Vorschlag auf dem Congress generell als "interessante Idee". Er werfe die allgemeinere Frage auf, wie sich die Beteiligung am demokratischen Prozess ausweiten und besser organisieren lasse. Entsprechende Versuche des Parlaments, etwa über das Forum E-Demokratie den Gesetzgebungsprozess bei der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes für eine höhere Beteiligung von Bürgern und Experten zu sorgen, seien von "immensen Schwierigkeiten" begleitet und zunächst wieder eingestellt worden. "Wir haben länger über Software als über Gesetzgebungsverfahren diskutiert", erinnerte sich Tauss. Zudem sei die Bereitschaft von Fachleuten, in die Webdiskussion konstruktiv einzugreifen, gering gewesen. Es gelte daher auch zunächst, komplette gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen.

Zur "Lesemaschine" des Clubs bat der SPD-Politiker darum, die Ausnahmeregelung bloß nicht in den 52a integrieren zu wollen. Der Paragraph, der Ausnahmen vom Urheberrecht für Bildung und Forschung festschreibt, sei bereits über alle Maßen umstritten gewesen. "Es war die unsäglichste Propaganda, die über mich jemals als Abgeordneter hereingebrochen ist", erklärte Tauss. Verlage hätten den vollständigen Untergang des Abendlands proklamiert.

Nach dem Stand der Dinge beim Informationsfreiheitsgesetz gefragt, zeigte sich der Medienbeauftragte seiner Partei trotz der anhaltenden Widerstände aus dem Wirtschafts-, Finanz- und Verteidigungsministerium optimistisch: "Ich bin guter Hoffnung, dass wir das Gesetz im Frühjahr auf den parlamentarischen Weg bringen." Notfalls müsse der Entwurf nicht aus den Ministerien, sondern aus dem Bundestag selbst kommen. Stark machen will sich Tauss in diesem Prozess dafür, dass die Verwaltungsinformationen im Internet bereit gestellt werden, was das Bundesinnenministerium bisher ablehnt.

Dass nicht alle Akten umsonst zu bekommen seien, müsse auch klar sein. "Bei ökonomisch verwertbaren Informationen sollen auch ein paar Euro fließen", erklärte Tauss. Generell will er sich dafür einsetzen, dass Gesetzesvorhaben aus der Ministerialbürokratie rascher auch bei Lobbygruppen der Zivilgesellschaft wie dem CCC landen. Ein Problem würden auch die Gesetzgebungsprozesse in Brüssel darstellen, da die schiere Masse der Richtlinien und Mitteilungen der Kommission nicht mehr zu überblicken seien. "Dort Sand ins Getriebe zu werfen und Vorhaben aufzuhalten, ist schwierig", erklärte Tauss. Durchblick kann aber auch da die Lesemaschine des Clubs bringen, hofft Hellwig zumindest.

Zum 20. Chaos Communication Congress siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)