23C3: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen
Der Mitgründer der Electronic Frontier Foundation (EFF) rief bei der Eröffnung des 23. Chaos Communication Congress die Gemeinde der Datenreisenden dazu auf, die Hackerethik stärker gegen Cybergangster durchzusetzen.
John Perry Barlow hat die Gemeinde der Datenreisenden aufgerufen, die Hackerethik stärker durchzusetzen und schwarze Schafe aus den eigenen Reihen zu verstoßen. "Nutzt Eure Fähigkeiten gegen Leute, die nicht vertrauenswürdig sind", forderte der Mitgründer der US-Bürgerrechtsbewegung Electronic Frontier Foundation (EFF) und der ehemalige Songschreiber der Grateful Dead die Hackergemeinde bei der heutigen Eröffnung des 23. Chaos Communication Congress (23C3) im Berliner Congress Center auf. "Wir müssen das Internet vor ihnen retten." Es gehe schließlich um eine "heilige Mission", da "wir etwas bauen, das jedem das 'Recht zu wissen' an die Hand geben könnte." Es stehe mehr auf dem Spiel als nur die freie Meinungsäußerung.
Barlow zeigte sich betroffen vom zunehmenden Ausmaß der Cyberkriminalität und dem Verwischen der Grenzen zwischen aufrichtigen Sicherheitstestern und dem organisierten Verbrechen. "Ich bekomme rund 30.000 Spam am Tag", beklagte der ausgewiesene Anhänger eines von staatlichen Regulierungen freigehaltenen Cyberspace. Das Medium E-Mail sei für ihn nutzlos geworden. Warum habe die "natürliche Form der Gegenwehr durch die Cyber-Ethik diese Krankheit nicht gestoppt, fragte der Netzpionier in die Runde. "Warum arbeiten die Leute, die auf technischer und sozialer Ebene das Problem angehen könnten, nicht an einer Lösung?"
Einen weiteren "Vertrauensbruch" machte Barlow bei der Konferenz im Bereich Schadsoftware aus. Aufgrund des hohen Aufkommens von Viren und Trojanern "leben Windows-Nutzer in einer permanenten Hölle", führte Barlow aus. In Richtung der vielen Linux-Freaks im Publikum unkte er, dass es für sie keine Viren brauche, da sie schon genug Ärger mit dem Installieren etwa einer Debian-Distribution hätten. Insgesamt gebe es aber kaum Bemühungen in der Hackergemeinde, die Verbreitung von PC-Schädlingen zu unterbinden. Dabei zeigte sich Barlow sicher, dass auch im Auditorium einige Virenprogrammierer säßen.
Besorgt zeigte sich der Bürgerrechtler auch über die wachsende Zahl von Identitätsdiebstählen und das Wechseln von Hackern ins Lager der organisierten Kriminalität. Seine Kreditkarte sei etwa jüngst von einem Täter missbraucht worden, um an 30 unterschiedlichen Geldautomaten insgesamt 18.000 US-Dollar abzuheben. Dazu seien mehr Fähigkeiten nötig gewesen, als das so genannte Schultersurfen, bei dem ein Hintermann die PIN beim Blick auf das Eingabefeld erspäht.
Barlow unterstellte einem Teil der Hacker gewisse Sympathien mit der "dunklen Seite" der IT-Macht. Man könne sich dabei ja schließlich auch darauf berufen, etwa gegen den Staat oder internationale Konzerne zu kämpfen. Doch die Potenziale des Internet würden damit verraten, versuchte der EFF-Vertreter die Gemeinde zur Räson zu bringen. Ethik allein würde dabei wohl nicht mehr ausreichen, um kriminelle Aktivitäten zu verhindern. Barlow rief daher dazu auf herauszufinden, "wer in Eurer Community vertrauenswürdig ist und wer nicht".
Der CCC predigt seit langem Grundsätze der Hackerethik. Sie umfassen Prinzipien wie die Ermahnungen, öffentliche Daten zu nützen und private Informationen zu schützen. Zudem sei es unstatthaft, in Daten Dritter "zu müllen". Auf dem Kongress gehen die Organisatoren erneut mit gutem Beispiel voran und bieten wie schon im vergangenen Jahr eine Hackerethik-Hotline, um Massenhacks wie in 2004 zu verhindern. Die Hotline soll Fragen nach der moralischen Vertretbarkeit von Sicherheitstests beantworten und Anrufer anonym über die Folgen aufklären. Die Veranstalter warnen gleichzeitig immer wieder insbesondere "Script Kiddies" davor, nach Belieben "Kisten aufzumachen".
Über die Folgen der allgegenwärtigen Überwachung, die in vielen Vorträgen auf dem Kongress wieder thematisiert wird, können sich die Kongressbesucher dieses Jahr zudem am eigenen Leib überzeugen. So will der CCC im Rahmen des Sputnik-Projektes ein Chaos Positioning System mit Hilfe der Funktechnik RFID aufbauen. Interessierte können dafür beim Projektteam im "Art & Beauty"-Center der Kongresshalle für 10 Euro ein Kästchen mit einem aktiven RFID-Chip erwerben, das ihre Spuren innerhalb des Gebäudes in einer zentralen Datenbank verfolgt. Die Hardware steht dabei hackergerecht unter einer "Creative Commons"-Lizenz, die Software unter der GNU General Public License (GPL), sodass Tüftler eigene Nachbauten starten können. Ein Knopf zum Ausschalten des Orwellschen Gerätes darf natürlich auch nicht fehlen, denn schließlich soll es sich nur um das in Hackerkreisen beliebte Spiel mit Big Brother zum Erzeugen von Gänsehaut beim Nachdenken über die Missbrauchmöglichkeiten der Überwachungstechnik handeln.
Zum 23C3 siehe auch:
(Stefan Krempl) / (thl)