29C3: Hamburg als Tor zur Hacker-Welt
Das Hamburger CCH hat sich als Austragungsort des Kongresses des Chaos Computer Clubs bewährt. Er war geprägt von vielfältigen Veranstaltungen und gut besucht. Nur mit den Hauptrednern hatte der CCC kein besonders glückliches Händchen.
Mit der Wahl des weitläufigen Hamburger Kongresszentrums (CCH) zum Veranstaltungsort seines Kongresses hat der Chaos Computer Club (CCC) einen guten Schritt gemacht. Der in den siebziger Jahren errichtete Gebäudekomplex hat das viel zu klein gewordene Berliner Kongresszentrum (bcc) abgelöst, die Antwort der DDR auf die Westberliner Kongresshalle. Zuletzt von mehr als 4000 Teilnehmern überrannt, wurde das bcc Ende 2012 zur Influenza-Tröpfchenschleuder. Für die Zukunft hat das CCH das Zeug, weitere Personenkreise mit aktiver Technikbegeisterung anzustecken.
Die Hamburger Anlage bietet 23 Säle und dazu viel Platz in den Gängen und Fluchten, so dass sich Gleichgesinnte genau wie zu den Freiluft-Camps der Hackerszene in "Dörfern" sammeln konnten. Die Palette reichte vom witzigen RaumZeitLabor mit einer Zuckerwattemaschine bis zum nüchternen Messestand der Wau-Holland-Stiftung. Selbst für die jüngsten Hacker gab es im vierten Stock reichlich Platz mit einer Krabbelwiese voller Duplo-Steine. Sich in Ad-hoc-Gruppen einigermaßen ungestört über Projekte wie das "wieder aufgetauchte" OpenLeaks zu unterhlalten war ebenso gut möglich wie die verrauchte Dröhnung im "Disko-Zelt" zu genießen. Nur die Sommersonne fehlte sehr. Nicht von ungefähr warb eine Gruppe von holländischen Nerds mit Flyern für den weihnachtlich eröffneten Ticketshop der OHM.
Mit der Wahl seiner Hauptredner hatte der CCC kein besonders glückliches Händchen. Groß war der Widerspruch zwischen der Aufforderung von Jacob Appelbaum, sich nicht gemein zu machen mit den Programmierern des Überwachungsstaates und dem Auftreten von NSA-Programmierern, die jahrelang für diese Überwachungsbehörde gearbeitet haben. Nicht nur der CCC-Mann Felix von Leitner war überrascht davon, wie wenig selbstkritisch die Redner waren.
Ambivalent muss auch die Behauptung gesehen werden, dass der Überwachungsstaat so allgegenwärtig geworden ist, dass etwa in Deutschland die Polizei längst alle E-Mails scannt und dass Bürger bei einem einfachen Auskunftsersuchen sofort auf dem Radar des Verfassungsschutzes landen. Diese einem Rechtsstaat widersprechenden Behauptungen reiben sich mindestens damit, dass Vertreter des CCC in verschiedenen Gremien dieses Staates mitarbeiten. Wenn dem CCC nahestehende Firmen wie GSMK Cryptophone staatliche Forschungsgelder zur Bekämpfung des Cybercrime erhalten, wie einer Antwort der Bundesregierung (PDF-Datei) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zu entnehmen ist, kommt man schnell an die Grenzen einer postulierten Hackerethik. Die Frage, welche Werkzeuge zur Verteidigung zur Verfügung stehen, könnte dann eine wichtige Rolle spielen.
Der Tor-Entwickler Jacob Appelbaum erwähnte nicht nur den Whistleblower Bradley Manning, an den auch die "Guerilla-Häckler" im Foyer des Kongresszentrums erinnerten. Er bezog sich auch auf Julian Assange, der vor Jahren in Berlin als Redner auf dem Kongress auftrat und Wikileaks vorstellte. Zusammen mit Assange hat Appelbaum vor Kurzem das Buch Cypherpunks veröffentlicht. Das von Assange allein verfasste Vorwort ist, was die Frage des Widerstandes gegen den Überwachungsstaat angeht, noch pessimistischer als die düstere Keynote, die Appelbaum ablieferte. Weil Überwachung billig ist, ist sie längst installiert. Nur die neuen Cypherpunks, eine Elite von High-Tech-Rebellen ist in der Lage, Freiräume zu erobern, in denen die Kommunikation nicht überwacht wird. Wie diese Elite mit dem stetig wachsenden Gefolge des CCC zusammenkommt, ist eine spannende Frage. "Man muss kein Hacker sein, nicht mal einen Computer haben, um beitreten zu können", schreibt Felix von Leitner in den Notizen zum gefeierten Fnord-Vortrag.
Mit der Öffnung hin zu nerdfremden Zonen führte der CCC auf dem Kongress eine Sexismus-Debatte, die noch andauert. Technisch hat der Club zwar Policy-Regeln angenommen, wie bei Belästigungen verfahren wird. Außerdem hat sich der Club der Ada Inititiative angeschlossen, die den Sexismus in der Hacker-Kultur bekämpfen will. Dennoch sorgten mehrere Vorfälle für heftige Diskussionen: Vor dem Kongress wurde Asher Wolf, eine australische Journalistin und Mit-Initiatorin der Cryptoparties offenbar von Hackern schwer gemobbt. Ihre Schilderung der Ereignisse adressierte sie an den Kongress.
Der pragmatische Vorschlag von Jacob Appelbaum, dass die Hacker den finanziellen Schaden der Journalistin kompensieren sollen, reichte nicht aus. Denn die Sexismus-Debatte wurde durch sogenannte Creeper Move Cards befeuert, die erstmals auf einem CCC-Kongress verteilt wurden. Dagegen gab es eine Protestaktion, die irrtümlicherweise männlichen Teilnehmern zugeordnet wurde. Befeuert wurde die Debatte zudem durch einen Moderator, der sich über die Verwarnungs-Karten auf der Bühne lustig machte und gleich mehrere kassierte.
Ob es dem Chaos Computer Club gelingt, diese Debatte bis zum nächsten Kongress konstruktiv aufzulösen, ist eine nicht ganz unwichtige Frage. Die Tendenz männlicher Teilnehmer, das Ganze als "Shitstorm" abzutun, dürfte nicht reichen. Einfach im Stil von Wernher von Braun Not my Department zu sagen, dürfte auch nicht funktionieren: Geschichte wird vom Sieger geschrieben. (anw)