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34C3: Die Vertreibung der "pflegeleichten Hackerfamilie" aus dem Nerd-Paradies

Stefan Krempl
34C3: Die Vertreibung der

(Bild: CC by 4.0 34C3 media.ccc.de)

Die 34. Konferenz des CCC hat dem Veranstalter nicht nur einen neuen Teilnehmerrekord, sondern auch eine "MeToo"-Debatte über Belästigung beschert. Die Abschlussrednerin beschwor die "freie und offene Kultur" des Kongresses.

Nach vier Tagen und Nächten Dauerhacken unter dem Motto "Tuwat! [1]" geriet die Abschlusskundgebung für den 34. Chaos Communication Congress (34C3 [2]) in Leipzig am Samstagabend zu einer aufmunternden Therapiestunde und einem mahnenden "Wort zum Sonntag" zugleich. "Wir sind eine Familie", beschwor die Hackerin Sva, die den Chaos Computer Club (CCC) und die von ihm ausgerichtete Konferenzen seit Jahren begleitet, vor dem Start der mehrtägigen Abbauphase den Zusammenhalt der galaktischen Gemeinde der Freunde des kreativen Umgangs mit der Technik. "Wir streiten uns auch; das ist gut", konstatierte sie. "Aber nicht zuviel, denn das kostet Energie und Nerven."

"Die Kämpfe, die da anstehen, kriegen wir nur hin, wenn wir uns kennen, vertrauen, akzeptieren", betonte die studierte Informatikerin und Ethnologin. "Wir glauben, dass hier jeder so sein kann, wie er ist." Manche sähen es anders, räumte sie ein. Wenn dem tatsächlich so wäre, "müssen wir das fixen". Sie persönlich lobte aber die "freie und offene Kultur" der Hacker, von denen jeder "ein kleines Bisschen" nach dem Motto "Wir machen das!" zum Erfolg so einer Großveranstaltung beitrage. Auch Außenstehende, die mit den Kongressteilnehmern direkt Kontakt hätten, bezeichneten die Leute vor Ort oft als "so friedfertig" und "pflegeleicht". Sie seien anfangs irritiert, "dass wir alles selber machen wollen" und empfänden die "Schlangenbildungsdisziplin" beeindruckend. Diese externe Wahrnehmung sollte allen Beteiligten "Mut machen".

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Das Gelände auf der Messe Leipzig war deutlich größer als das des "Congress Center Hamburg".

(Bild: CC by 4.0 34C3 media.ccc.de [3])

Mit keinem Wort erwähnte Sva die "MeToo"-Debatte direkt, die den CCC im Weinstein-Jahr kurz vor Weihnachten eingeholt hatte und vor allem auf Twitter parallel zum 34C3 heftig geführt wurde. Es gab Vorwürfe einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einem Pärchen im Vorfeld eines Hackercamps in den Niederlanden im Sommer und dass der angebliche, von der Staatsanwaltschaft allerdings nicht verfolgte Übeltäter nun auf dem Kongress zugelassen worden sei. Einzelne Online- und Print-Medien sowie Blogger griffen die Online-Anfeindungen auf [4] und es war teils zu hören [5], dass der Club und die nach wie vor größtenteils von weißen Männern dominierte Hackerszene ein ihr unterstelltes "Pimmelproblem [6]" auf den Bühnen weitgehend ausklammere.

Angesichts dieser Umstände traf es sich gut, dass mit Sva eine Frau die Abschlussrede hielt. Sie erzählte auch gleich eine Geschichte [7], um zu zeigen, dass die aufgerissenen Gräben überbrückbar seien: So habe in diesen Tagen erstmals ein "Generationenaustausch" zwischen der Wau-Holland-Stiftung [8] und der "Geheimorganisation [9]" stattgefunden, also zwischen den "jüngsten und dienstältesten Hackern". Die sich für Inklusivität stark machende, von vielen weiblichen Mitgliedern getragene "Geheimorga" habe die Stiftungsversammlung zunächst "besetzt", nachdem diese sich einmal frei von sonst üblichen Kongress-Verhaltensregeln ("Code of Conduct") treffen wollte. Letztlich sei aber alles konstruktiv abgelaufen, versicherte Sva: Beide Seiten hätten "ähnliche Probleme auf den Veranstaltungen des CCC" gesehen.

Es gebe wohl eine "Differenz zwischen dem Anspruch und dem Empfinden einzelner Teilnehmer", führte die Rednerin aus. Sie verglich diese gefühlte Kluft mit dem "Schmutzschwellenwert in Hackerspaces", der sich in einer unterschiedlichen "Akzeptanz von Dreck" manifestiere: Während die einen sich darüber freuten, gerade mal aufgeräumt zu haben, wollten andere trotzdem erst noch die Putzkolonne holen. Die Ziele beider Gruppen seien aber die gleichen, philosophierte Sva und unterstrich: "Für alle unterschiedlichen Dinge muss auf dem Kongress ein Platz sein."

Generell appellierte Sva an die Tüftler, weiter die Ansage aus dem Jahr der Snowden-Enthüllungen im Blick zu haben [10], "mal ein neues Internet zu machen" und nicht länger "mit Protokollen aus den 70ern rumzukrebsen". Zur Zeit konzentrierten sich viele auf die "Symptombekämpfung" und versuchten verzweifelt, auf die auf sie einprasselnden Ereignisse zu reagieren. Wichtiger wäre es, "an die Wurzeln zu gehen". Es sei aber auch schon hilfreich, sich jenseits des "Save the World"-Business mal eine Stunde Zeit zu nehmen, um etwa einen Freifunk-Router aufzustellen oder Schülern "das Internet zu erklären". Standing Ovations gab es schließlich für all die Helfer, die das Wachstum des Kongresses auf rund 15.000 Teilnehmer [11] laut dem Veranstalter bravourös bewältigt hatten.

Der Umzug aus dem "Congress Center Hamburg" auf das deutlich größere Gelände der Messe Leipzig hatte dieses Jahr auch das eigens für die Konferenz aufgestellte "Network Operation Center" (NOC) früher als sonst in die Gänge gebracht. Man habe im Sommer bei einer ersten Besichtigung ein "beeindruckendes Glasfasernetz" innerhalb des Gebäudekomplexes vorgefunden, berichteten NOC-Mitglieder. Es sei dann "nur" noch daran gegangen, dieses Spaghetti-Geflecht zu entwirren und nutzbar zu machen. Dank großzügiger Leitungs-, Router- und Switches-Spenden sei man schließlich bei einer Uplink-Kapazität von imposanten 400 GBit/s gelandet, von der letztlich 320 GBit/s praktisch für den Upstream verfügbar gewesen seien.

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"Troll-Gruß": In mehreren Stoßzeiten haben übers Wifi-Netz verschickte Morsezeichen übersetzt "34C3" ergeben.

(Bild: CC by 4.0 34C3 media.ccc.de [12])

Die Datenreisenden sorgten laut dem NOC dann für einen Verkehr nach außen mit maximal 42,2 GBit/s, was noch viel Luft nach oben gelassen habe. Im Vorjahr waren es noch 32,4 GBit/s [13]. Die Zahl der offiziell installierten WLAN-Zugangspunkte lag mit 179 etwas niedriger als 2016. Das drahtlose Netz habe aber schlechter funktioniert als in Hamburg, da teils bis zu 1000 "wilde" Hotspots eifriger Kongressianer dazugekommen seien und mit dem Aussenden ihrer Netzwerkkennungen das Gesamtsystem gestört hätten. In der Spitze machten 7673 Nutzer vom Wifi-Netz Gebrauch, während es im Vorjahr 7884 gewesen sein sollen. Ein anderer "Troll-Gruß" sei ein ausgemachtes "seltsames Muster" über einen Datenversand von bis zu 5 GBit/s in mehreren Stoßzeiten gewesen. Offenbar habe sich hier jemand im Morsen übers Internet geübt, denn übersetzt habe der ermittelte Code "34C3" ergeben.

34C3: Die Vertreibung der "pflegeleichten Hackerfamilie" aus dem Nerd-Paradies

Das eigene Mobilfunknetz erlaubte diese Jahr erstmals den Datenversand per UMTS.

(Bild: CC by 4.0 34C3 media.ccc.de [14])

Eine Premiere gab es beim eigenen Mobilfunknetz, das wie immer auf der Open-Source-Lösung OsmocomBB [15] aufsetzte, dieses Jahr aber neben GSM erstmals vom zweiten Tag an Datenversand via UMTS über fünf gesonderte Basisstationen erlaubte. Das zuständige Team verkaufte 2500 SIM-Karten, von denen 901 auch für Gespräche nach außen registriert wurden. Im nächsten Jahr wollen sich die Mobilfunkexperten an LTE und 4G machen, wobei es auf Basis freier Software aber noch mau aussehe bei den Implementierungsmöglichkeiten. Zwei polnische Hacker führten auf dem Kongress zumindest schon eine Lösung vor [16], über die sich per Osmocom mit Software Defined Radio (SDR [17]) mit unterschiedlichen Basisstationen kommunizieren lässt. Mit dem Konzept ist es nicht mehr nötig, mehr oder weniger große Anteile der Signalverarbeitung mit Hardware zu verwirklichen.

Fast alles rund lief beim Video Operation Center (VOC), das unter anderem fürs Live-Streaming und die Dokumentation des Kongresses [18] in einem umfangreichen Archiv sowie Übersetzungen von Vorträgen zuständig ist. Dank eines neuen Kodiersystems und einem gemeinsamen internen Format für Video, Audio und Präsentationen habe das aufgenommene Material einfacher ausgespielt werden können, freute sich ein VOC-Vertreter. Vom zweiten Tag an habe sich die Weblösung automatisch an die vorhandene Bandbreite der Nutzer angepasst und im besten Fall HD ausgesendet. Auch mit einem 4K-Stream sei experimentiert worden. Am meisten nachgefragt gewesen seien die Eröffnungskeynote [19] und die PC-Wahl-Hack-Revue [20] mit bis zu 6800 Zuschauern gleichzeitig. ()


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/34C3-Tuwat-und-sei-deiner-Zeit-voraus-3928260.html
[2] https://events.ccc.de/congress/2017/wiki/
[3] https://media.ccc.de
[4] http://blog.fefe.de/?ts=a4b95c21
[5] https://gizmodo.com/major-hacker-conference-organizers-accused-of-ignoring-1821631895
[6] http://taz.de/Zwischenstand-beim-34C3/!5470603/
[7] http://blog.fefe.de/?ts=a4b605f3
[8] https://www.wauland.de/
[9] https://geheimorganisation.org/34c3-newsticker/
[10] https://www.heise.de/news/30C3-Chaos-Communication-Congress-mit-Snowden-Faktor-2072495.html
[11] https://www.heise.de/news/Hackerkongress-endet-Breiteres-Programm-mehr-Besucher-3928889.html
[12] https://media.ccc.de
[13] https://www.heise.de/news/33C3-Hackerkongress-endet-mit-Humba-Taeterae-im-explodierenden-Baellebad-3583271.html
[14] https://media.ccc.de
[15] https://www.heise.de/news/27C3-Hacker-wollen-GSM-Netz-weiteren-Haertetests-unterziehen-1162002.html
[16] https://media.ccc.de/v/34c3-8952-running_gsm_mobile_phone_on_sdr
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Software_Defined_Radio
[18] https://media.ccc.de/c/34c3
[19] https://media.ccc.de/v/34c3-9270-dude_you_broke_the_future
[20] https://www.heise.de/news/34C3-CCC-fordert-Open-Source-Wahlsoftware-nach-PC-Wahl-Fiasko-3928392.html