40 Jahre CD: Die silberne Klang-Revolution

Am 8. März 1979 zeigt der Philips-Konzern die ersten Audio-CD- und CD-Spieler-Prototypen. Der Anfang einer Erfolgsgeschichte – doch sie neigt sich dem Ende zu.

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40 Jahre CD: Die silberne Klang-Revolution

(Bild: Philips)

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Von
  • Karl-Gerhard Haas
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Wann hat sie denn nun Geburtstag, jene handliche Silberscheibe, die das Musikhören von Knistern, Rumpeln und mäßiger Qualität befreit? Deren Informationsschicht, anders als die der Vinylschallplatte, staub- und weitgehend kratzfest in transparenten Kunststoff gebettet ist? Die meisten Chronisten orientieren sich an der Markteinführung: Am 1. Oktober 1982 steht Sonys erster CD-Spieler CDP-101 in japanischen Läden, im Frühjahr 1983 kommt der störungsfreie Digitalsound nach Europa. Ein wichtiger Meilenstein passierte aber früher: die erste öffentliche Präsentation der Labormuster am 8. März 1979.

Absichtserklärungen gibt es schon im Jahr zuvor: Am 29. Mai 1978 meldet der Spiegel: „Super-HiFi per Laserstrahl“. Davor liegen aber bereits vier Jahre interner Forschung. Um heutigen Lesern ein Gefühl für den Stand der Technik dieser Tage zu vermitteln: Die Verlautbarung zur Pressekonferenz lässt der damalige Sprecher Claus Harder per Schreibmaschine tippen – wie damals üblich.

Zum Europastart der CD 1983 trommelt die britische Band Barclay James Harvest für die Silberscheibe.

(Bild: Philips)

Kurz darauf demonstriert auch Sony die Technik, im Herbst dieses Jahres wird die CD offiziell zum Gemeinschaftsprojekt der beiden Unternehmen. Das Engagement der Firmen zum damaligen Zeitpunkt ist gleichzeitig weitsichtig und gewagt. Ein Kernstück der CD-Technologie, die berührungslose und damit verschleißfreie optische Abtastung per Infrarotlaser, scheitert mit der 1975 eingeführten analogen Bildplatte („Laservision“, später „CD-Video“, dann Laserdisc) krachend. Der zweite wesentliche Baustein des Systems, die digitale Aufnahme und Speicherung per Puls-Code-Modulation (PCM) steckt noch in den Kinderschuhen und ist sündhaft teuer.

Auch die Rahmenbedingungen könnten besser sein: Als die Pläne von Philips und Sony Gestalt annehmen, schlittert die Weltwirtschaft in eine Rezession. Die Schallplattenfirmen verdienen mit den herkömmlichen Vinylscheiben prächtig und zeigen anfangs wenig Interesse, in neue Presswerke und Studiotechnik zu investieren. Lieber schraubt man an der Qualität der Vinyl-Pressvorlagen oder will mit nur bedingt brauchbaren Rauschunterdrückungssystemen der schwarzen Scheibe auf die Sprünge helfen.

Und schließlich flanscht auch Telefunken an seine Vinyl-Bildplatte aus den frühen 1970ern Digitalton und nennt das Ganze „Mini-Disk“. Das Argument der Hannoveraner: Mit ihrem System könnten die vorhandenen Schallplattenpressen weiterlaufen.

Der Dirigent Herbert von Karajan zeigt auf einer Pressekonferenz 1982 erste CD-Exemplare aus Massenfertigung. Die Telefunken-Mini-Disk nannte er ein technisch rückständiges "Gaslicht“.

(Bild: Philips)

Hilft, wie man heute weiß, alles nichts. Aber vom endgültigen CD-Format, wie es schließlich in den Handel kommt, ist die Silberscheibe im März 1979 noch weit entfernt. Die Elektronik des äußerlich schlichten, nach einer Märchenfigur „Pinkeltje“ genannten CD-Spieler-Prototyps steckt noch unterm Tisch. Die Scheiben sollten 11,5 Zentimeter durchmessen, wären also genauso breit gewesen wie die beliebte Compactcassette, und eine Stunde Musik am Stück speichern.

Als Wortlänge für die PCM-Signale sind 14 Bit vorgesehen. Das ändert sich, nachdem Sony ins Spiel kommt – beide Seiten bringen wesentliche Technologien in den Standard ein und beschleunigen die Entwicklung des vollständigen Systems massiv. Nebenbei verhindert die Zusammenarbeit einen weiteren Formatkrieg à la Betamax gegen VHS.

Europa und Japan geben Gas, einigen sich auf zwölf Zentimeter Disc-Durchmesser, knapp 75 Minuten Spielzeit, 16 Bit PCM-Wortlänge, Cross-interleaved Reed-Solomon Code (CIRC) als Fehlerkorrektur und die EFM-Leitungskodierung. Deren Entwickler, Kees A. Schouhamer Immink, verweist die gern vorgetragene Begründung für die Spielzeitverlängerung ins Reich der Fabel. Dem damaligen Sony-Vizepräsident Norio Ohga, sei es keineswegs darum gegangen, auch noch die längste der damals verfügbaren Einspielungen von Beethovens Neunter Symphonie von Wilhelm Furtwängler am Stück auf die Compact Disc zu bannen. Vielmehr habe man den CD-Fertigungsvorsprung der Philips-Tochter Polygram torpedieren wollen.

Geschadet hat der CD die längere Spielzeit allerdings nicht, rückte sie so doch näher an die damals beliebteste Compactcassette mit 2 x 45 Minuten heran. Das Loch in der Scheibenmitte definiert man übrigens auf höchst wissenschaftliche Art: Die Philips-Techniker schnappen sich einfach eine niederländische 10-Cent-Münze als Maß.

In der CD-Anfangszeit ist die günstigste Möglichkeit, ein Masterband fürs Presswerk zu erstellen, das PCM-Signal in ein Videosignal zu verwandeln und dieses auf einem Studio-Videcorecorder aufzuzeichnen. Standard ist das maßgeblich von Sony entwickelte U-matic-Format. Der Umweg über Videorecorder erklärt auch die CD-Abtastrate von 44.100 Hertz – die passt ins PAL- wie NTSC-Signal.

Auf dem Weg von der Prototypenvorstellung zu fertigen Produkten macht man viel richtig: Ein Großteil des Repertoires besteht anfangs aus klassischer Musik. Deren Hörer sind größtenteils zahlungskräftig, schrecken also nicht vor den 1983 aufgerufenen Preisen von 2000 D-Mark (kann man fast 1:1 in Euro umrechnen) zurück. Zudem ist deren Leidensdruck am größten, denn die typischen Schwächen der Vinylscheiben – Rauschen, Rumpeln, Knistern, Vorechos und die zur Scheibenmitte sinkende Klangqualität – stören in klassischen Werken am meisten. Dieser Nutzertyp schätzt zudem den Komfort von Silberscheibe und CD-Spieler: kein Staubwischen mehr, kein Schrauben und Justieren an Tonarm oder Tonabnehmer. Scheibe einlegen – läuft.

Über ein Dutzend Jahre verdienen Gerätehersteller und Musikbranche prächtig an den Silberscheiben, die Kinderkrankheiten der ersten Aufnahmen- und Player-Generation sind bald kuriert. Neben der im sogenannten Red Book definierten Audio-CD erobert die CD-ROM mit einem Fassungsvermögen von anfangs 650 Megabyte die Computer der Welt. Mit Video-CD und CD-i folgen Anfang der 1990er untaugliche Versuche, die Compact Disc als Film-Scheibe und interaktives Medium zu etablieren.

Schon Ende der 1980er kommen die ersten bespielbaren CD-Rs und passende Brenner und Audiorecorder auf – allerdings zu Gerätepreisen um 20.000 D-Mark; ein Rohling kostet um 50 D-Mark. Ein knappes Jahrzehnt später ist das einstmalige Luxusvergnügen Volkssport: Die Preise für PC-CD-Brenner fallen um 1996 unter die magische 1000-DM-Grenze, 1997 stellt Philips mit dem CDR 870 den ersten bezahlbaren Audio-CD-Recorder vor. Philips hat sich da längst von seinem Musikgeschäft getrennt und bastelt bereits an löschbaren CD-RWs, der Super-Audio-CD und der DVD – immer im Verbund mit Sony.

Herzstück der CD-Spieler ist der infrarote Halbleiterlaser, der Licht zur Disc schickt und dessen Reflexion ausliest, bevor er ihn an die Player-Eletronik leitet.

(Bild: Philips)

Die Super-Audio-CD wird kein Erfolg – Sonys und Philips’ Rivalen setzen auf die Audio-DVD, die Musikbranche kann sich nicht entscheiden und kämpft zu der Zeit schon gegen CD-Brenner und MP3-Raubkopien im Internet. Zudem ist das für die SA-CD genutzte Audioformat Direct Stream Digital in der existierenden PCM-Studio-Infrastruktur ein teurer Fremdkörper.

Die physische Doppelschicht-Disc der SA-CD sollte nach dem Willen von Sony und Philips auch Basis der DVD werden – alle anderen damals wichtigen Hersteller, allen voran Panasonic, Pioneer, Thomson und Toshiba, bevorzugen eine zweiseitige Disc. Schlussendlich gießt man alle Technologien in die finale DVD – während die Doppelschichttechnik Standard ist, muss man zweiseitige Video-DVDs lange suchen.

Schon bei den bespielbaren DVDs ist es mit der Einigkeit vorbei: Sony und Philips schlagen die DVD+RW und später die DVD+R vor, Panasonic die DVD-RAM, der Rest DVD-R(W). Die ersten DVD-Videorecorder kosten 2001 (ohne Festplatte) 4000 bis 6000 D-Mark. Um sein Format durchzudrücken, verteilt Philips an asiatische Hersteller sogenannte DVD-Recorder-Referenzdesigns. Binnen weniger Jahre überschwemmen billige DVD+RW-Recorder den Markt. Gebracht hat der Sieg in diesem Formatkrieg Philips nichts – mit den Produkten war kein Geld mehr zu verdienen, nach einigen Jahren beherrschten die Recorder ohnehin alle Formate.

Statt des Infrarotlasers der CD nutzt die DVD einen roten. Will man die Kapazität der Discs weiter steigern, ist der zwingende nächste Schritt der Wechsel zum noch kurzwelligeren blauen Laser. Alle Branchengrößen außer Toshiba und NEC wollen die Blu-ray-Disc – das renitente Duo setzt auf die HD-DVD. Dieser Formatkampf lähmt den Markt – und bis sich endlich die Blu-ray durchsetzt, holen Flash-Speicher und Festplatten auf.

Die Blu-ray-Disc markiert das Ende der optischen Medien beim Philips-Konzern – im Bild die Lasereinheit eines universellen Brenners aus dem Jahr 2004.

(Bild: Philips)

Erscheinen zur Jahrtausendwende die knapp fünf Gigabyte Kapazität einer DVD als kaum vorstellbare Datenmenge, sinkt das Verhältnis immer mehr zu Ungunsten der Scheiben. Als physisches Medium sind CD, DVD und Blu-ray zwar nach wie vor konkurrenzlos günstig – aber viele aktuelle Computer haben gar kein Disc-Laufwerk mehr; Filme und Musik kommen oft per Streaming auf die Geräte. In den USA stellt die Kette “Best Buy” 2018 den CD-Verkauf ein.

Für die Grabrede auf optische Medien im Allgemeinen und die CD im Besonderen ist es aber noch zu früh: Anders, als manche Kritiker unken, laufen die über 30 Jahre alten Musikscheiben aus der Sammlung des Autors immer noch einwandfrei. Nur Anfang der 1990er produzieren einige Presswerke Murks – die davon betroffenen Scheiben sind tatsächlich schon lange unlesbarer Plastikmüll.

Die technischen Daten der Audio-CD bestehen auch noch 40 Jahre nach der ersten Demonstration – ihr einzig echtes Defizit ist die fehlende Mehrkanalfähigkeit. Dass viele aktuelle Titel bescheiden klingen, liegt an unfähigen Produzenten, die zugunsten grotesker Lautheit von den möglichen 96 Dezibel Dynamikumfang kaum etwas nutzen. Philips-Unterhaltungselektronik kommt heute von einer Tochter des chinesischen Konzerns TPV. Langfristig halfen die CD und ihre Nachfolger dem einstigen Philips-Konzern also nicht.

Wie Musik-Streaming-Dienste klanglich gegen die Audio-CD bestehen, analysiert das Computermagazin c't in der Titelgeschichte der kommenden Ausgabe 7/2019 (ab dem 16. März am Kiosk). (dahe)