50 Jahre "2001 Odyssee im Weltraum" – oder: Wie ich lernte, den Computer zu lieben

Seite 2: Bremsen Computer die Evolution?

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Der Perfektionismus, den Kubrick bei der Produktion an den Tag legte, war wichtig, um die philosophische Botschaft des Films zu transportieren. 2001 thematisiert nämlich wie kaum ein anderer Film das ambivalente Verhältnis des Menschen zur Technik. Auf der einen Seite ermöglicht die Entdeckung des ersten Werkzeugs erst die Entwicklung vom Affen zum Menschen (Clarke führt diesen Prozess in seinem Roman genauer aus). Auf der anderen Seite ist es aber auch kein Zufall, dass das erste Werkzeug bereits eine Waffe ist und die Fortentwicklung dieser Waffe, ein atomarer Killersatellit im Orbit der Erde, vier Millionen Jahre später die Menschheit bedroht.

Durch die Walzerklänge von Johann Strauss überhöht Kubrick auf der einen Seite die Ästhetik der Technik. Auf der anderen Seite zeigt er aber auch ihre inhumane Perfektion, die etwa im Kontrast steht zu späteren Filmen wie "Silent Running" oder "Moon", in denen die Astronauten unrasierte Hippies sind und die Raumstationen aus verdreckten Bastellösungen bestehen. So zeigt 2001 immer wieder, wie die Menschen auf den Raumstationen Nahrung in Form von Pasten zu sich nehmen. Vor dem Toilettengang muss man erst eine lange Bedienungsanleitung lesen. Poole und Bowman sind auf der Discovery wie Hamster in ein Riesenrad eingesperrt (das riesige Hamsterrad der Discovery ließ Kubrick tatsächlich mit knapp 12 Metern Durchmesser bauen). Die beiden sind mit Routineaufgaben beschäftigt und können mit ihrer Familie nur über elektronische Bildschirme kommunizieren. Dazu passt auch das emotional sehr zurückgenommene Minenspiel der Schauspieler. Kubrick soll viele Takes gedreht haben, in denen die Schauspieler immer weniger Emotionen zeigen sollten.

Als schließlich HAL die in ihren Sarkophagen schlafende Crew umbringt, sieht man lediglich die Kurven der Diagnosesysteme – kälter und emotionsloser kann man den Tod nicht darstellen.

Trotz vier Millionen Jahre technische Entwicklung stehen die Wissenschaftler auf dem Mond genauso ratlos vor dem Monolithen wie einst die Affen. Erst als Bowman HAL abschaltet, sich also freimacht von der Computertechnik, kann er das Rätsel des Monolithen lösen und schließlich als Sternenkind den nächsten Schritt der Evolution einleiten: den "Übermenschen" in Anlehnung an Nietzsches Zarathustra, der die Bedrohung des Atomkriegs auf der Erde beendet.

SciFi-Filme, die von 2001 beeinflusst wurden – eine Auswahl (12 Bilder)

Signale – Ein Weltraumabenteuer (Gottfried Kolditz, 1970)

Was der Kubrick kann, das können wir auch, sagte sich die selbstbewußte DEFA und drehte in Kooperation mit dem polnischen PRF dieses aufwendige Weltraumabenteuer. Die Tricktechnik ist durchaus aufwendig in Szene gesetzt, kommt zwar nicht an 2001 heran, stellt aber vieles in den Schatten, was im Westen später per Bluescreen gedreht wurde. Die Botschaft ist hier ganz auf Frieden und Völkerverständigung ausgelegt.
(Bild: DEFA / PRF)

2001 zeigt aber auch, zu welchem Optimismus eine Gesellschaft fähig ist, wenn plötzlich aufgrund riesiger Investitionen neue Forschungsfelder wie in den 60er Jahren die Mondlandung vorangetrieben werden. Bei seinen Vorbereitungen zum Film hielt Kubrick engen Kontakt zur NASA und griff im Film zahlreiche Detaillösungen auf, damit er realistischer wirkte. Damals blickte er mit dem Datum 2001 lediglich 33 Jahre in die Zukunft. Sicherlich ist der Jahrtausendwechsel auch als Zäsur zu sehen, aber offenbar dachte man damals, dass das Tempo der Eroberung des Weltalls ungebremst weitergehen würde. Doch sobald derartige Programme wie in den 60ern der Geldhahn zugedreht wird, kann die Entwicklung auf Jahrzehnte ins Stocken geraten.

Mit etwas Verspätung haben wir heute tatsächlich sprechende Computer im Alltag, Video-Telefonie und Tablet-Computer, wie von 2001 vorausgesagt. Doch es gibt weder eine Station auf dem Mond noch einen Regelverkehr von Fluggesellschaften im All. Am verwunderlichsten ist wohl, dass bislang die Raumschiffe nicht rotieren, um eine künstliche Schwerkraft zu erzeugen, obwohl das Konzept doch so einleuchtend wirkt. Wenn also heute Propheten erklären, in zehn Jahren würden alle Autos autonom fahren und Computer dank Deep Learning die Welt regieren, dann sollte man solchen Voraussagen mit großer Skepsis begegnen.

Fast unzerstörbar scheint die Legende, der Name HAL sei eine Anspielung auf IBM; Kubrick hätte einfach nur die Buchstaben im Alphabet ein Stelle nach vorn gedreht. Dem widerspricht jedoch Arthur C. Clarke energisch und im Film sind auch diverse Steuercomputer und Tablets zu sehen, auf denen das richtige IBM-Logo prangt – nur bei HAL fehlt es.

Die Abkürzung steht laut Clarke für "Heuristic ALgorithmic", was darauf verweist, dass der Computer aufgrund begrenzter Informationen möglichst gute, aber keinesfalls perfekte Berechnungen anstellt. Es ist, wenn man so will, ein Vorläufer des heutigen Machine Learning, bei dem neuronale Netzwerke mit Daten trainiert werden. Im Film verweist HAL jedoch darauf, dass er niemals einen Fehler gemacht hätte und auch niemals machen würde. Dies entspricht einer determistischen Auffassung. Beim Machine Learning berechnen die trainierten Algorithmen jedoch Wahrscheinlichkeiten; die Entscheidungen werden schließlich über Grenzwerte ermittelt, wenn eine Wahrscheinlichkeit eine gewisse Grenze überschreitet.

Ein solcher stochastischer Ansatz entspricht jedoch nicht dem des HAL 9000 im Film. Dieser sagt aus, dass ein Steuermodul absolut sicher, also mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit ausfallen wird. Würde HAL jedoch nach heutigem Verständnis wie ein trainiertes neuronales Netzwerk funktionieren, dann hätte er wohl mit einer besonders großen Wahrscheinlichkeit vor einem möglichen Ausfall gewarnt. Bowman und Poole hätten ihm dann keinen Fehler zur Last legen können, falls der Ausfall nicht eintritt. Aber dies hätte der Dramaturgie im Film natürlich die Spitze genommen.

Dennoch regt 2001 auch noch heute zur Diskussion an, inwieweit man Computern die Kontrolle über unseren Lebensraum überlassen darf, denn kein System ist unfehlbar: egal ob bei autonomen Autos oder Raumschiffen. Und wenn irgendwann doch einmal ein unfehlbarer Computer gebaut werden würde, dann würde er wahrscheinlich eine solche Hybris entwickeln, dass er selbst zur Gefahr für die Menschheit würde.

HAL scheint zerrissen von den Widersprüchen, die einst Isaac Asimov als Robotergesetze formulierte. Nach dem ersten Gesetz darf demnach kein Roboter einem Menschen Schaden zufügen und muss nach dem zweiten Gesetzt dem Menschen gehorchen. Dem vorangestellt ist jedoch das nullte Gesetz, nach dem ein Roboter der Menschheit keinen Schaden zufügen darf. Und da HAL glaubt, die Mission zum Jupiter sei von großer Bedeutung für die Menschheit und durch die Crew gefährdet, muss er das erste und zweite Gesetz brechen, um das nullte zu erfüllen.

Nicht ganz so schwarzseherisch geht übrigens "Dark Star" 1974 mit dem Thema um. Die Lösung des damals jungen Filmstudenten John Carpenter und seines Autors Dan O'Bannon ist nämlich folgende: Sämtliche "smarten" Objekte, im Film zum Beispiels die "Bombe 20", müsse man einfach so schlau programmieren, dass man sich mit ihnen über philosophische Themen unterhalten kann. Bevor sie einen fatalen Fehler machen (in diesem Fall explodieren), könnte man mit ihnen einfach über Descartes und den Sinn des Lebens plaudern, was sie zum Nachdenken zwingt. (hag)