MWC

5G in Europa: "Wir hängen hinterher"

Auf dem MWC dreht sich alles um 5G. Während andere Länder schon mit Vollgas in die Mobilfunkzukunft starten, hakt es in Europa noch – auch in Deutschland.

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5G in Europa: "Wir hängen hinterher"

(Bild: heise online/vbr)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

"5G ist eine Revolution", sagt IDC-Analyst Mike Cansfield, "und sie passiert jetzt." Nur eben nicht hier, in Deutschland, sondern in den USA und in Teilen Asiens. Dort rollen Netzbetreiber bereits 5G-Technik aus und wollen noch in diesem Jahr ihren Kunden 5G-Dienste anbieten. Es scheint, als beweise sich einmal mehr das alte Sprichwort über Deutsche und Revolutionen: Wir stehen noch am Automaten und ziehen unsere Bahnsteigkarte.

Immerhin: Auch andere EU-Mitglieder bummeln noch bei der Frequenzvergabe, viele sind noch nicht einmal so weit wie Deutschland. "Europas Problem ist die Harmonisierung", meint Afke Schaart, Europachefin des Netzbetreiberverbands GSMA, auf dem MWC in Barcelona. Erst ein kleiner Teil des für 5G vorgesehenen Spektrums wurde von den EU-Mitgliedsstaaten bereits zugewiesen, in einigen Ländern sitzen auf den Frequenzen noch andere Nutzer.

"Wir hängen hinterher und müssen uns beeilen", sagt Jane Rygaard, Marketingchefin des Netzausrüsters Nokia. "Wenn wir 5G zum Laufen bringen wollen, brauchen wir Spektrum. Kein Netzbetreiber kann irgendwo irgendetwas anfangen, wenn das Spektrum nicht bereitsteht." Deutschland steht in Europa noch vergleichsweise gut da, meint Rygaard: "In Deutschland werden jetzt immerhin ein paar Frequenzen versteigert, allerdings nicht im 26-GHz-Band."

(Bild: 5G Observatory)

Die Zuteilung der Frequenzen ist das eine, damit verknüpfte Kosten und Bedingungen das andere. "In Europa wird der Fortschritt durch hohe Kosten und ungewisse Laufzeiten der Frequenzen sowie harte Regulierung behindert", meint Börje Ekholm, CEO des Netzausrüsters Ericsson. Auch in Deutschland fürchten die Netzbetreiber eine teure Frequenzauktion, die Geld kostet, das dann nicht in den Netzausbau gesteckt werden kann. Markus Haas, CEO von Telefónica Deutschland, fürchtet, dass "unsere finanziellen Mittel nur beim Staat landen und nicht da, wo sie eigentlich landen sollen: im Netz".

Die Netzbetreiber hierzulande stören sich insbesondere an den Auflagen für die Nutzung der 5G-Frequenzen. Die Bundesnetzagentur gibt den 5G-Lizenznehmern unter anderem vor, bis Ende 2022 mindestens 98 Prozent aller Haushalte je Bundesland sowie wichtige Verkehrswege mit mindestens 100 MBit/s zu versorgen. Die Bundesnetzagentur will mit den strengen Auflagen für 5G-Lizenzen erreichen, dass die Funklöcher geschlossen werden, von denen es in Deutschland immer noch zu viele gibt.

Weil die Vorgabe für den 5G Ausbau im gleichen Zeitraum nur auf 1000 Basisstationen lautet, wird dabei LTE zum Einsatz kommen. Auch deshalb haben Telefónica, Vodafone und die Telekom haben gegen diese Auflagen geklagt. Sie argumentieren, dass sie die Bedingungen zur Vergabe der LTE-Frequenzen bereits erfüllt haben und diese nun nachträglich – und unrechtmäßig – verschärft würden. "5G wird gerade missbraucht, um Altlasten zu lösen", kritisiert Haas.

Dass Netzbetreiber über zu harte Regulierung klagen, gehört auf dem MWC schon zur Folklore. Überraschend war deshalb, dass Vodafones neuer CEO Nick Read meint, die Branche müsse sich auch mal an die eigene Nase fassen. In 5G sieht er die Chance für eine Abkehr von der "protektionistischen Mentalität" der Netzbetreiber. "Wir kooperieren nicht gut genug", meint Read in Barcelona und führt als Beispiel das leidige Thema Roaming an. "Roaming war eine echte Belastung für die Verbraucher und wir haben das nicht schnell genug adressiert. Also ist der Regulierer eingeschritten."

Während in Deutschland noch über Vergabebedingungen und Funklöcher gestritten wird, schaffen die Netzbetreiber in anderen Regionen der Welt schon 5G-Realität. In den USA werden die ersten 5G-Netze für Endkunden scharfgeschaltet. "Bis Ende des Jahres werden wir kommerzielle 5G-Netze in 30 Städten haben", sagt Tami Erwin, Executive Vice President des US-Netzbetreibers Verizon. Auch in Südkorea ist 5G schon live, der Netzbetreiber LG Uplus feierte auf dem MWC den symbolischen Start seines Netzes.

Nokia zeigt auf dem MWC ein 5G-Gateway fürs Heim.

(Bild: heise online/vbr)

Mit 5G kommt auch der funkgebundene Hausanschluss wieder in Mode. Nach dem Hype um Wimax war es stiller geworden um Mobilfunk für die eigenen vier Wände. Nokia stellt auf dem MWC einen 5G-Heimempfänger vor, auch Huawei und Ericsson haben solche Lösungen für Fixed Wireless Access (FWA) im Angebot. Die australischen Netzbetreiber Telstra und Optus rollen FWA schon an ihre Kunden aus. Auch deutsche Netzbetreiber experimentieren mit FWA, bei Telefónica zum Beispiel läuft ein Projekt mit Kunden in Hamburg.

Branchenvertreter gehen davon aus, dass FWA in vielen 5G-Netzen als Vorstufe zu den 5G-Handys kommt. Das hat auch technische Gründe: 5G-Chipsätze für Handys sind noch nicht fertig und müssen dann noch mit der neuen 5G-Netzinfrastruktur getestet werden. Bei Handys kommt erschwerend hinzu, dass sie sich zwischen den Funkzellen bewegen. Die Empfangsgeräte für FWA (Customer Premises Equipment) stehen beim Kunden an einem festen Ort. "Das Nutzungsszenario FWA ist einfacher, weil sich das CPE nicht bewegt", erklärt Rygaard.

In Deutschland ist ein Teil des 5G-Spektrums zwischen 3700 und 3800 MHz reserviert für lokale Netze von Unternehmen, die ihre Fertigungsstätten oder Logistikstandorte mit eigener Netzinfrastruktur versorgen wollen. Für die Industrie sind solche "Campus-Netze" interessant, weil sie damit unabhängig von Netzbetreibern sind. Diese Frequenzen sollen nicht versteigert, sondern auf Antrag vergeben werden – wie das genau ablaufen soll, ist noch offen.

GSMA-Managerin Schaart hält nichts davon, "einen signifikanten Teil des Spektrum für etwas zu reservieren, das noch völlig unklar ist". Die Netzbetreiber ärgert das einerseits, weil damit 100 MHz Spektrum ihrem Zugriff entzogen werden. Andererseits können Unternehmen damit eigene Netze aufbauen und müssen die nicht bei einem Netzbetreiber einkaufen. Damit entgeht denen unter Umständen ein substanzielles 5G-Geschäft. Es geht aber auch anders: Die Telekom hat auf dem MWC angekündigt, das erste Campus-Netz für den Osram-Konzern zu bauen – zunächst nur mit LTE, später soll dann ein 5G-Layer dazukommen.

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Die Bedeutung von 5G für die Industrie ist groß. Auch deshalb sorgt die Sicherheitsdebatte über den chinesischen Ausrüster Huawei für erhebliche Unruhe in der Branche. Der Marktführer spielt eine wichtige Rolle für die 5G-Pläne der Netzbetreiber. Alleine im Januar wurden 15.000 Basisstationen mit 5G-Technik von Huawei ausgerüstet, insgesamt sind es weltweit inzwischen 40.000 (die Netze der deutschen Anbieter umfassen jeweils rund 25.000 Stationen).

In der Politik geht die Angst vor chinesischer Spionage um, Rufe nach einem Verbot werden laut. Doch niemand in der Branche, auch nicht Huaweis direkte Konkurrenten, wünscht sich ein Verbot. Die Bundesregierung hat noch nicht Stellung bezogen. Die EU-Kommission will sich dazu bald äußern, sagt Digitalkommissarin Mariya Gabriel in Barcelona. Vielleicht trägt das zur Beruhigung der Debatte bei. Derzeit werde die Diskussion "fast hysterisch geführt", meint Roman Friedrich von Boston Consulting.

Im Hinblick auf die Sicherheit werde diskutiert, als sei 5G "irgendwie ein neues Netzwerk", meint Vodafone-CEO Read. "Dabei ist es nur eine weitere Schicht, die auf mehreren anderen Sicherheitsebenen aufsetzt". Zudem werde auch bei 5G kontinuierlich an der Sicherheit gearbeitet, ergänzt Emmanuel Delpon, Präsident der Netzbetreiberinitiative Next Generation Mobile Networks (NGMN): "Sicherheit ist bei 5G von Beginn an implementiert."

Trotz alledem wird es auch in Deutschland erste kommerzielle Anwendungen noch in diesem Jahr geben. Die Telekom will 2019 starten, hat sie auf dem MWC angekündigt – womit, will sie noch nicht verraten. Erste Smartphones gibt es auch schon, auch wenn die noch nicht ganz ausgereift sind. Der MWC 2020 dürfte also auch wieder ganz im Zeichen von 5G stehen: "Eins ist sicher", sagt Nokia-CEO Rajeev Suri in Barcelona. "Ich werde im nächsten Jahr hier nicht stehen und erzählen, wie toll ich 6G finde." (vbr)