AOL verpasst sich einen "Sicherheitsrat"

Experten aus Politik, Wissenschaft und Medien sollen den Provider im Rahmen der viel beschworenen "Co-Regulierung" zu einem Vorbild beim Jugend-, Daten- und Verbraucherschutz umgestalten.

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AOL Deutschland macht Ernst mit der viel beschworenen "Co-Regulierung" des Internet, in deren Rahmen Unternehmen und die Politik gemeinsam kindersichere und familienfreundliche Inseln im Datenuniversum schaffen wollen. Der Internetprovider hat sich dafür einen "Sicherheitsbeirat" ins Haus geholt, der die Einhaltung der Selbstverpflichtung des Unternehmens kontrollieren und Vorschläge zur besseren Gestaltung des Dienstes machen soll. Das hehre Ziel von AOL ist es, auf diesem Weg eine auf andere Anbieter ausstrahlende Vorbildfunktion in wichtigen Regelungsbereichen wie dem Jugend-, Daten-, oder Verbraucherschutz sowie bei der Achtung der Menschenwürde allgemein zu übernehmen. Man wolle "eine familiengerechte, sichere und gesellschaftsverträgliche Online-Welt gestalten" und die Medienkompetenz der Nutzer stärken, betont der Chef von AOL Deutschland, Stan Laurent. "Dazu soll der Sicherheitsrat künftig einen wertvollen Beitrag leisten."

Leiter des Gremiums, das am heutigen Mittwoch bei einem Treffen mit Kulturstaatsministerin Christina Weiss im Kanzleramt in Berlin seine Arbeit aufgenommen hat, ist mit Wolfgang Schulz vom Hamburger Hans-Bredow-Institut ein Vordenker der Co-Regulierung. Der aus dem Umfeld der alten Medien kommende Forscher hatte sich vor einem Jahr gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung für eine Selbstregulierung von Suchmaschinen bei indizierten Materialien ausgesprochen, was ein Teil der Branche seit Februar auch umsetzt.

In seinem Konzeptpapier für den Sicherheitsrat, das heise online vorliegt, zeigt sich Schulz generell enttäuscht vom Fortschritt der Selbstregulierung im Internetbereich im Vergleich zum Rundfunk. Die Netzbranche zeige in diesem Punkt "nicht immer das Tempo, das für die Entwicklung der Informationstechnologien charakteristisch ist", meinte der Wissenschaftler. So sei etwa in der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) lange kontrovers über die Beantragung einer Anerkennung als Instanz gemäß dem umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag diskutiert worden. Schulz moniert auch, dass sich danach die staatliche Seite ebenfalls lange mit einer Entscheidung Zeit gelassen habe.

Letztlich kommt der Medienforscher zu der Einsicht, dass schon allein auf Grund der Vielfalt, der Internationalität und der undurchsichtigen Branchenstruktur bei Internet-Angeboten das Schutzkonzept "Rundfunk" doch nicht ideal sei für den Cyberspace. Es könne im Netz kaum die erforderlich hohe "Kontrolldichte" erreicht werden, um Verstöße gegen bestehende Regeln zur Ausnahme zu machen. Schulz hält daher das "Leitbild des Risikomanagements" für angemessener, um gegen Spam, jugendgefährdende Angebote oder Datendiebe vorzugehen. Es komme darauf an, den allgemeinen Schutz "möglichst hoch und die Belastungen etwa im Hinblick auf Beteiligte, aber auch unbeteiligte Anbieter (etwa bei Sperrungen) möglichst gering" zu halten. Zur Stärkung der Co-Regulierung baut Schulz daher vor allem auf "Leuchtturmprojekte" wie den AOL-Sicherheitsrat. Derlei Aktivitäten würden zwar nicht die "Untiefen des Internet" nivellieren, könnten aber helfen, "die viel befahrenen 'Seestraßen' sicherer zu machen."

Dass die internen Ansprüche von AOL nicht verpuffen, soll Schulz nun mit teilweise nicht unumstrittenen Persönlichkeiten wie dem Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow kontrollieren. Der SPD-Politiker hatte mit Sperrungsverfügungen gegen nordrheinwestfälische Provider 2002 eine lange Debatte über zwangsverordnete Filterstrukturen im Internet ausgelöst, die bis heute die Gerichte beschäftigt. Daneben gehören der Runde unter anderem Laurent, der Zeit-Herausgeber Michael Naumann, die CDU-Bundestagesabgeordnete Martina Krogmann, der frühere Wirtschaftsstaatssekretär und Politikberater Siegmar Mosdorf sowie der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, an.

Staatsministerin Weiss baut auf die Regulierungsinnovation aus Deutschland und sieht darin auch ein Muster "für unsere europäischen Nachbarn". Sie begrüßte das unternehmerisches Engagement AOLs im Bereich des Jugendmedienschutzes als "Ausdruck eines partnerschaftlichen Verständnisses der Bürgergesellschaft". Gleichzeitig erinnerte Weiss daran, dass "Verantwortliche aus allen Bereichen der elektronischen Medien" entsprechend den "Leitlinien gegen Gewalt und für Toleranz", die Mitte 2003 an dem von Kanzler Gerhard Schröder geleiteten Runden Tisch "Medien gegen Gewalt" verabredet worden seien, ähnliche Verpflichtungen eingehen wollten. Eine andere deutsche Sicherheitsinitiative, die den Schwerpunkt jedoch bei der Verhinderung von Internet-Kriminalität hat, ist unter der Führung Microsofts im Januar an den Start gegangen. (Stefan Krempl) / (jk)