ARD & ZDF vs. Netflix & Co.: "Wir sind nicht in Schockstarre"

Seite 2: Nichtnutzer finden und kennenlernen

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"Wir müssen noch viel mehr Einzel-Zielgruppen ansprechen und uns mit ihrer Lebenswelt auseinandersetzen", gab Florian Kumb, Abteilungsleiter ZDF-Programmplanung, als Parole aus. Das Zweite schicke daher Redakteure ins Feld etwa zu potenziellen Zuschauern, die Mitte 30 seien und im ländlichen Raum in einem östlichen Bundesland leben. Die Geschichten würden so ein Stück weit individueller, diverser. Zudem gebe es online weniger Längenvorgaben. Mithilfe von Algorithmen und Big-Data-Analysen hat das ZDF Kumb zufolge herausgefunden: "Jüngere und formal weniger Gebildete fehlen uns." Dies gelte ferner für Bürger mit einer Migrationsbiografie.

Es herrsche die Anmutung vor: "zu weiß, zu alt". Das Zweite habe daher einen "hohen zweistelligen Millionenbetrag umgeschichtet", um die Attraktivität seiner Mediathek zu steigern. "Originals" etwa für ZDFneo müssten stärker im Fokus stehen und mehr werden. In den linearen Kanälen liefen derzeit im Gegenzug mehr Wiederholungen, die aber auch eine Grundreichweite schafften. "Es braucht für jedes Programm eine Art Publikationsplan", stellte der Insider klar. "Wir machen gar keine Printwerbung mehr", dafür aber "ganz viel digital". Auch dazu gehörten Gespräche im Vorfeld mit Nutzergruppen wie bei der Online-Serie "Loving her" mit der LGBTIQ-Community. Solche Exklusiv-Inhalte landeten dann auch mal in den Top 20 bei den Abrufen. Generell müsse man viel Zeit und Mühe investieren, um "Nichtnutzer zu uns zu locken und von unserem Gesamtangebot zu überzeugen".

ARD und ZDF sollten "in der Distribution leicht auffindbar und verbunden sein", verdeutlichte Kumb. Sie hätten daher im Juni den Aufbau eines gemeinsamen Streaming-Netzwerks beschlossen. Trotzdem wollten beide Sender auch im Netz ihre Eigenständigkeit behalten. Hauptsache sei, dass der Beitragszahler den "öffentlichen Wert" der Programme wahrnehmen könne. Die eigenen Plattformen müssten dafür gestärkt werden. Das Zweite sperre daher mittlerweile etwa ganze Folgen der "heute-show" auf YouTube, was die Abrufe in der Mediathek deutlich gesteigert habe. Auf dem Videoportal gebe es zu der Sendung nur noch "Begleitangebote".

Technische Funktionen wie Personalisierung spielen beim ZDF laut dem Planer ebenfalls mittlerweile eine Rolle. 3,3 Millionen Nutzer hätten sich bereits für zdf.de angemeldet, obwohl sie damit im Kern nach einer Altersprüfung nur "Über 16"-Inhalte schon tagsüber schauen könnten. Nebeneffekt sei aber, dass der Algorithmus so auch wisse, ob ein Zuschauer bereits angefangen habe, eine Sendung auf einem Gerät zu schauen und dann auf einem anderen weitermache.

ZDFinfo sei generell stark durch Künstliche Intelligenz geprägt: Dort empfehle ein intern "Marie-Luise" getauftes, lernendes Programm, "was wann gesendet werden soll". Tönsmann ist dagegen skeptisch, ob man den User zwingen müsse, sich zu identifizieren. Die ARD-Mediathek sei komplett barrierefrei, keiner brauche dort Zugangsdaten einzugeben, hob er hervor. Im Gegensatz zu Amazon oder Netflix verzichte man auf eine gezielte Personalisierung, könne aber auch so bereits zahlreiche statistische Daten auswerten.

Update: Korrektur der Nutzerzahl im vorletzten Absatz.

(kbe)