Adblock Plus vor dem BGH: Eine Frage der Grundrechte
In der Verhandlung vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe müssen die Richter entscheiden: Wessen Grundrechte überwiegen – die der Verlage oder die der Adblock-Anbieter?
Vier Jahre nach den ersten Klagen von deutschen Medienhäusern gegen den Hersteller des populären Werbeblockers Adblock Plus ist der Fall nun vor dem Bundesgerichtshof (BGH) angekommen. Bei der Verhandlung in Karlsruhe zeigte sich der 1. Zivilsenat am Donnerstag vielen Argumenten des klagenden Verlagskonzerns Axel Springer aufgeschlossen. Doch einen unmittelbaren Wettbewerbseingriff durch den Software-Hersteller Eyeo sahen die Richter nicht.
Ungeliebter Kompromiss
Konkret ging es in der Verhandlung um eine Überprüfung des Urteils des Oberlandesgerichts Köln. Das hatte im Wesentlichen im Sinne von Eyeo entschieden, aber dennoch eine aggressive geschäftliche Handlung festgestellt. Das Urteil hätte es dem Verlag ermöglicht, seine Werbung kostenlos über das "Acceptable Ads"-Programm von Eyeo freischalten zu lassen – was jedoch beide Seiten ablehnten.
Der BGH-Senat ging in seiner Erläuterung des Falls über viele Probleme hinweg, die Vorinstanzen bei den Prozessen in Köln, München und Hamburg gesehen hatten. So entscheiden die Richter, dass das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb anwendbar sei, obwohl Eyeo und Axel Springer grundverschiedene Produkte vermarkten und nicht in einem direkten Wettbewerb stehen.
Die Nutzer entscheiden
Gleichzeitig griffen die Richter auch einen wesentlichen Punkt auf, mit dem sich Eyeo gegen die Klagen der Medienhäuser wehrt: "Es ist die autonome Entscheidung der Nutzer, ob sie den Werbeblocker nutzen oder nicht", erklärte der vorsitzende Richter. Insofern blieb der Bundesgerichtshof bei seiner Linie, die er im Urteil um den TV-Werbeblocker "Fernsehfee" im Jahr 2004 vorgegeben hatte. So besteht wenig Raum für ein allgemeines Verbot von gewerblichen Werbeblockern, wie es Axel Springer erreichen möchte.
Komplizierter ist die Frage, inwieweit Eyeo sein bisherigen Geschäftsmodell weiterverfolgen kann, Werbung kostenpflichtig freizuschalten. Über das "Acceptable Ads" genannte Angebot können Werbetreibende, die sich an strenge Vorgaben halten, ihre Werbung bei Nutzern von Adblock Plus und anderen Werbeblockern anzeigen – sofern die dem nicht widersprechen. Inwieweit hier Eyeo bewusst oder unzulässig eine Marktstörung herbeigeführt habe, um Verlage und Werbenetzwerke zum Abschluss kostenpflichtiger Whitelisting-Verträge zu drängen, ist zwischen den Parteien strittig.
Eyeos Marktmacht
Wie das Gericht ausführte, sind die Voraussetzungen für die Feststellung einer solchen aggressiven Geschäftshandlung hoch. Zwar sah der Zivilsenat die erforderliche Marktmacht auf Seiten Eyeos als gegeben an, da es das Unternehmen geschafft habe, Konzerne wie Google und Amazon zum Vertragsabschluss zu bewegen. Um tatsächlich eine unzulässigen Markteingriff festzustellen, müsste Acceptable Ads dafür sorgen, dass die Marktteilnehmer nicht mehr zu einer rationalen und informierten Entscheidung fähig seien. Da die unmittelbar betroffenen Marktteilnehmer große Werbenetzwerke sind, zeigten sich die Richter dem eher abgeneigt.
Letztlich komme es auf eine Abwägung der Grundrechte an, erläuterte der Zivilsenat. Auf Seiten Axel Springers stünden die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit und die Gewerbefreiheit. Letztere sei allerdings auch bei Eyeo gefährdet. Als drittes seien die Rechte der Nutzer zu berücksichtigen, denen Werbung angezeigt werde. Diese seien allerdings nicht zu hoch zu bewerten. "Es gibt kein grundrechtlichen Schutz, von aufdringlicher Werbung verschont zu werden", betonte der Richter.
"AusschlieĂźlich destruktiv"
Springers Anwalt Thomas Winter versuchte diese Grundrechtsabwägung im Sinne seines Mandanten zu beeinflussen. So verglich er das Geschäftsmodell Eyeos mit dem eines Schutzgelderpressers. "Das Produkt ist außerordentlich destruktiv und zu einem Teil auch unehrlich", erklärte Winter. So würde der Großteil der Nutzer vermutlich gar nicht wissen, warum trotz eingeschaltetem Adblocker weiterhin einige Werbung angezeigt würde. Zudem sei es befremdlich, dass Eyeo sich anmaße über die Zulässigkeit von Werbung zu bestimmen.
Springers Stamm-Anwalt Cornelis Lehment ergänzte, dass das Ausspielen der Werbung die Pressefreiheit nicht nur wegen der Finanzierungsaspekte tangiere. So sei jede ausgespielte Anzeige ein Akt der verfassungsrechtlich geschützten Kommunikation. Die von den Vorinstanzen vorgeschlagenenen Maßnahmen, Nutzer zum Abschalten von Adblockern aufzufordern oder sie – wie bei bild.de geschehen – vom Angebot auszuschließen, seien inadäquat, da es dem Verlag darauf ankomme, das Adblocking zu verhindern und nicht etwa Reichweite zu verlieren. Zudem stehe Adblocking auch dem Nutzerinteresse entgegen, da so weniger Geld in qualitative Berichterstattung investiert werden könne.
Springers Schaden
Eyeos Anwalt Axel Rinkler konterte, dass die Kläger ihre Schadensbehauptungen nie belegt hätten: "Wir haben für die behaupteten Gefährdungen keinerlei belastbaren Zahlen bekommen, obwohl das Verfahren seit 2014 läuft". So verbucht Eyeo die positiven Geschäftszahlen des Konzerns als Beleg dafür, dass der eigene Adblocker keinen unzumutbaren Eingriff in die Geschäfte Axel Springers darstelle. Zudem seien viele Verlage erfolgreich damit, Adblocker technisch zu umgehen.
Zudem habe sich mittlerweile auch in der Werbebranche die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Werbeindustrie unzumutbar gegen das Nutzerinteresse verstoßen habe. Als Beleg nannte Rinkler, dass Google als weltgrößter Werbekonzern in den eigenen Browser Chrome einen Adblocker eingebaut hat. Dem Argument, Adblock Plus zerstöre ein hochqualitatives Gesamt-Produkt, hielt Rinkler entgegen, dass Verleger angesichts der Verbreitung von programmatischen Werbenetzwerken überhaupt keine Kontrolle darüber hätten, welche Werbung überhaupt ausgespielt werde.
Die Kammer will am Nachmittag bekannt geben, ob es ein Urteil gibt oder das Verfahren noch einmal vertagt wird. (vbr)