Ärzte zur Digitalisierung: "Es wird viel gewünscht und wenig eingesetzt"

Mediziner hierzulande sind unzufrieden mit dem Stand der Digitalisierung.​ Das liege nicht zuletzt an zu hohen Datenschutzansprüchen, meint der Bitkom.

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(Bild: triocean/Shutterstock.com)

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Deutschen Ärztinnen und Ärzten geht es mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht schnell genug voran. Das hat der IT-Branchenverband Bitkom in Zusammenarbeit mit dem Hartmannbund in einer groß angelegten Befragung in niedergelassenen Praxen und Kliniken herausgefunden. Die Umfragedaten, erhoben unter 535 Ärztinnen und Ärzten in Deutschland, seien zwar nicht repräsentativ, ließen aber "sehr starke, sehr zuverlässige Aussagen" zu, erklärte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder zur virtuellen Ergebnisvorstellung.

Dabei sind inzwischen mehr Medizinerinnen und Mediziner optimistisch gestimmt, was den möglichen Einfluss von mehr IT auf das Gesundheitswesen angeht. Während bei der vorigen Befragung 2020 noch nur zwei Drittel von ihnen die Digitalisierung als Chance sahen, sagten das diesmal etwas mehr als drei Viertel (76 Prozent). Parallel sank die Einschätzung digitaler Gesundheitsversorgung als Risiko: von 27 auf 22 Prozent. Diese Entwicklung pro Digitalisierung ziehe sich wie ein roter Faden durch die gesamte Umfrage, erklärte Rohleder. Das skeptische Lager sei in niedergelassenen Praxen größer als in Kliniken. Das erkläre sich der Bitkom in der größeren individuellen Belastung des medizinischen Personals durch mehr IT, die in Kliniken wiederum auf mehrere Schultern verteilt werden könne.

Was bremst die hiesige Digitalisierung des Gesundheitswesens?

(Bild: Bitkom)

Parallel stieg auch die Frustration bezüglich des deutschen Stands der Digitalisierung der Medizin. Sagten 2020 noch 60 Prozent, Deutschland hänge im internationalen Vergleich zurück, stieg diese Zahl diesmal auf 78 Prozent. Zwei Drittel der Befragten daher auf mehr Tempo beim Ausbau digitaler Medizin. Als Bremse wirke demnach vor allem die Komplexität des Gesundheitssystems samt der hiesigen Bürokratie (91 Prozent), lange Zertifizierungs- und Genehmigungsverfahren (80 Prozent) und mangelnde Marktreife der digitalen Anwendungen (80 Prozent).

Auch eine "zu strenge Auslegung des Datenschutzes" bezeichneten immerhin 69 Prozent der Befragten als großes Hindernis. Diese Einschätzung teile der Bitkom: Man müsse die "Schutzgüter Gesundheit und Datenschutz in eine gut funktionierende Balance bringen" – eine bessere Datennutzung sei eine der größten Aufgaben, um international Schritt zu halten. Derzeit erhalte man meist eine "Therapie von der Stange", es fehle an passgenauen, individuellen Ansätzen, die sich sowohl an der Krankheit als auch dem Individuum orientierten.

Unter deutschen Medizinerinnen und Mediziner herrscht eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

(Bild: Bitkom)

Bei der Betrachtung der eingesetzten digitalen Angebote in der Versorgung zeigen die Bitkom-Daten ebenfalls einen großen Korridor zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Viele der möglichen Angebote wie telemedizinische Konsultationen oder digitale Aufklärungsbögen halten deutsche Medizinerinnen und Mediziner für sinnvoll, zum Einsatz kommen sie aber nicht. Skeptisch blickten in Kliniken Angestellte hingegen in Richtung Roboter-unterstützter OPs: Sie kommen bei 19 Prozent von ihnen zum Einsatz, für nützlich erachten sie nur weitere 25 Prozent. Auch Rohleder bezeichnete die Mensch-Maschine-Kooperation bei Operationen als "Zukunftsmusik". Dennoch fasst er die Ergebnisse zusammen: "Es wird viel gewünscht und wenig eingesetzt".

Auch die Leuchtturmprojekte im Bereich E-Health der Politik wie das E-Rezept, die elektronische Patientenakte (ePA) oder der KIM-Dienst (Kommunikation im Medizinwesen) kommen bei hiesigen Ärztinnen und Ärzten derzeit noch schlecht weg: Ein E-Rezept haben 5 Prozent von ihnen ausgestellt, die ePA nutzen 6 Prozent und per KIM kommunizieren 3 Prozent der Kliniken, 10 Prozent der Praxen. Große Sorge bereitet dem medizinischen Personal außerdem die Gefahr von Cyber-Angriffen: 83 Prozent fürchten sich vor Angriffen auf die eigene Einrichtung, 82 Prozent sehen die deutsche Medizin als nicht ausreichend gewappnet für derartige Attacken. Das sei als "Auftrag an die Industrie" zu verstehen, die "Kliniken und Praxen gut beschützen" müsse, meinte Rohleder.

Die gesamten Umfrageergebnisse und -daten stellt der ebenfalls beteiligte Hartmannbund zum kostenlosen Download bereit.

(jvo)