Amazon-Serie "You Are Wanted": Wilde Tage im Klischee

Am Freitag startet Amazons erste deutsche Serie: Matthias Schweighöfer wurde gehackt. Das führt ihn in dunkle Katakomben, in denen Computerfreaks in Hoodies vor ihren Monitoren hocken. Die Serie kann man trotzdem ganz gut angucken.

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Matthias Schweighöfer

(Bild: Amazon Originals)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Es ist ein kleiner Fehler mit fatalen Folgen: Auf seinem Handy öffnet ein Mann achtlos den Anhang einer E-Mail. Damit gerät er in die Fänge eines unbekannten Hackers – und sein beschaulich-neubürgerliches Leben komplett aus den Fugen. Das ist der Ausgangspunkt der ersten deutschen Serie, die exklusiv für Amazon Prime Video produziert wurde. Die ersten zwei Folgen von "You Are Wanted" hat Amazon zur Premiere am Mittwochabend in Berlin gezeigt. Ab Freitag sind dann alle sechs Folgen (jeweils rund 45 Minuten) auf Amazon Prime Video verfügbar.

Matthias Schweighöfer erwartet man nicht unbedingt in einem Thriller. Der auch mit Mitte Dreißig immer noch jungenhafte Schauspieler war bisher eher in fluffigen deutschen Romcoms unterwegs. "You Are Wanted" ist ein erwachseneres Format, mit dem Schweighöfer aus der Komödienecke ausbrechen will. Dabei geht der Schauspieler "All-in", die Serie ist sein Baby: Warner hat das Material (Buch: Hanno Hackfort, Bob Konrad und Richard Kropf) für ihn entwickelt, er produziert mit seiner Firma Pantaleon Entertainment und führt zusammen mit Kameramann Bernhard Jasper auch Regie. Das ist viel Schweighöfer für so eine Serie, vielleicht zu viel.

Lukas Franke (Schweighöfer) führt ein Bilderbuchleben in Berlin. Toller Job, tolle Frau, tolles Kind, tolle Freunde, tolles Haus, tolles Auto. Der tolle Lukas gerät ins Visier eines unbekannten Hackers, über dessen Motive man zumindest in den ersten zwei Folgen nichts erfährt. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Frankes Leben rasend schnell aus dem Ruder läuft, und ist dabei genau so ratlos: Warum passiert das alles? Es gibt zwar ein paar Andeutungen über die Vergangenheit des Muster-Daddys, aber noch lässt sich das Puzzle nicht zusammensetzen.

Den Zuschauer so im Dunkeln zu lassen ist nicht ohne Risiko. Das Interesse am "Whodunit" kann schnell in Desinteresse umschlagen, wenn die Geschichte den Zuschauer nicht bei der Stange halten kann. "You Are Wanted" gelingt es immerhin, die Spannung hoch zu halten. Die Serie funktioniert als Verschwörungs-Thriller einigermaßen gut, erfindet das schon gut erforschte Genre aber auch nicht neu. Und sie leistet sich ein paar unnötige Schwächen, die das Gesamtbild trüben.

Amazon Originals "You Are Wanted" (11 Bilder)

Willkommen im Klischee: Hacker hacken.
(Bild: Amazon Originals)

Ohne "Suspension of disbelief" – der Wille des Zuschauers, Unwahrscheinlichkeit zu ignorieren – funktioniert so eine Geschichte nicht. "You Are Wanted" bewegt sich da auf dünnem Eis: Die Welt der Hacker und Nerds. Lukas infiziert sich über einen Dateianhang. Der Hacker ist schnell überall: In Frankes Computer, seinem Tablet, seinem Musiksystem. Mit Überwachungskameras in der Stadt verfolgt der Hacker seine Opfer, zu denen auch Julia (Katrin Bauerfeind) gehört. Der Hacker dichtet ihr eine Affäre mit Lukas an, was dessen Ehe in eine Vertrauenskrise stürzt.

Schon bald stecken wir knietief im Klischee. Lukas sucht Hilfe bei ein paar Computernerds, die ketterauchend und Shooter spielend in irgendwelchen zum Technikmuseum umgebauten Berliner Industriekatakomben vor multiplen Monitoren hocken. Hacker tragen, natürlich, Hoodies. Im Neo-Spießer-Traumland hängt derweil der Haussegen schief: Lukas' Frau Hanna (Alexandra Maria Lara) ist zwar erfolgreich in einem Kreativberuf, gibt aber sonst das verunsicherte Vorstadt-Muttchen. Und obwohl sie Zeuge wird, wie der Hacker den Rechner ihres Mannes übernimmt, zweifelt sie zunehmend an Lukas.

Das ist ein rein erzählerischer Kniff, um die Hauptfigur zu isolieren. Solchermaßen funktionales Storytelling kennt man von zahllosen US-Serien. Doch seine Renaissance hat das Format den Qualitätsserien der US-Kabelsender und Streaminganbieter zu verdanken, die neben ihrer Geschichte Wert auf glaubhafte Figuren legen, die auch ihre Schattenseite haben. "You Are Wanted" hat hier – zumindest in den ersten 90 Minuten – seine Defizite. Ambivalenz ist Schweighöfers Sache nicht: Der heilige Lukas ist die zentrale Figur, das prominent besetzte Ensemble (u.a. Karoline Herfurth und Tom Beck) bleibt zunächst funktionale Staffage. Immerhin kommt die Handlung so schnell in Fahrt.

Abgesehen von solchen Schwächen bewegt sich die Produktion auf internationalem Niveau. Jasper und Schweighöfer schwelgen zwar stellenweise in der schon etwas angestaubten Bildsprache des klassischen Paranoia-Thrillers (Überwachungskameras!), legen aber eine modern fotografierte und flott erzählte Geschichte vor. Dass Berlin in filmischen Erzählungen längst zum eigenen Klischee erstarrt ist, daran ändert auch "You Are Wanted" nichts. Mit einer Ausnahme: Die prototypische Prenzlauer-Berg-Familie Franke lebt in Dahlem. Die Dreipfuhlsiedlung wurde in den 1950er Jahren für die Familien von US-Besatzungsoffizieren gebaut und sieht aus wie eine amerikanische Vorstadt. Drinnen herrscht dann wieder das Prenzlberg-Klischee: Vintage Designermöbel und Kunstbände.

[Update 22.03.2017: Leider gewinnen die Nebenfiguren im weiteren Verlauf der Serie nicht an Kontur. Auch die Geschichte meidet jede originelle Idee – und verschenkt damit ein Potenzial, was in den ersten Folgen durchaus angelegt ist. Schweighöfer nimmt Holzhammer statt Florett und macht damit die Geschichte so platt wie möglich. "You Are Wanted" will alles richtig machen und geht überhaupt kein Risiko ein. Schweighöfer dreht das ganz große Rad (NSA!), schafft es aber nicht, die Motive seiner Figuren plausibel zu machen. Bei der Auflösung bleibt der Zuschauer dann einigermaßen ratlos zurück.]

Amazon investiert kräftig in eigene Filme und Serien für seinen Streamingdienst. Mit "You Are Wanted" betritt das Unternehmen Neuland: Es ist die erste Serie, die für ein deutsches Publikum und den Weltmarkt produziert wurde. "Das ist was ganz Neues für die deutsche TV-Branche", sagt Christoph Schneider, Geschäftsführer von Amazon Video Deutschland. Das Ergebnis kann man gut angucken, auch wenn es nicht der ganz große Wurf geworden ist. Schweighöfer und Jasper scheinen ein bisschen zu verkrampft ein Format auf US-Niveau hinlegen zu wollen. Das ist nicht ganz gelungen, aber der Versuch ist immerhin gültig – und interessanter als die didaktische Volksaufklärung, die öffentlich-rechtliche Sender hierzulande unter dem Etikett "TV-Krimi" betreiben, ist "You Are Wanted" schon. Auch wenn die Serie gegen Ende dann doch wie ein für den US-Markt produzierter Tatort wirkt.

Ob das auch beim internationalen Publikum gut ankommt, wird sich nun zeigen müssen: "You Are Wanted" ist in 200 Ländern verfügbar, in fünf Sprachen und mit Untertiteln. Zur Absicherung vermarktet Amazon die Serie auf allen Kanälen: Die Geschichte stammt von Bestseller-Autor Arno Strobel. Der Roman zur Serie erscheint bei Amazons Edition M, dazu gibt es natürlich eine Kindle-Version und ein Hörbuch auf Audible.

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Update: Nach Ansicht der ganzen Serie einen Absatz eingefügt und die Bewertung im vorletzten Absatz ergänzt. (vbr)