Amazon.com: Harry-Potter-Alarm zum zehnten Geburtstag

Vor zehn Jahren startete Jeff Bezos mit der Geschäftsidee, die ihn zum Internet-Star machte. Spätestens mit dem Platzen der New-Economy-Blase war aber auch die unkritische Euphorie über den lange mit Verlusten arbeitenden Online-Shop zu Ende.

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Von
  • Renate Grimming
  • dpa

Ausgerechnet zum zehnten Jubiläum steht Amazon.com eine Menge Arbeit ins Haus. Während der Internet-Buchhandelspionier am Samstag Geburtstag feiert, wird der Buch-Versand weltweit auf Hochtouren laufen: Ab Samstag 01.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit kommt mit dem sechsten Band der Abenteuer von Harry Potter ein Buch in den Handel, das es schon vor Auslieferung zum Welt-Bestseller gebracht hat. "Mit Harry Potter haben wir nicht gerade ein Sommerloch", sagt Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber. Die Abenteuer des Zaubererlehrlings aus Hogwarts kurbeln seit geraumer Zeit auch das Geschäft des Internet-Händlers kräftig an: Vom neuen Buch wurden bei Amazon weltweit mehr als 1,4 Millionen Exemplare vorbestellt.

Vor genau zehn Jahren startete Jeff Bezos mit seiner Geschäftsidee, die ihn schon nach kurzer Zeit zum Internet-Star machte. Er sei fasziniert gewesen vom Internet, das einen Handel ohne physische Regalbeschränkungen eröffnete, sagt Kleber. "Seine Idee war, den größten Online-Shop der Welt aufzubauen." Der heute 41- Jährige kündigte seinen Job an der Wall Street, zog gemeinsam mit seiner Frau von New York nach Seattle und bezog dort ein kleines Büro mit einem einzigen Computer und Internet-Zugang.

Das Startkapital erhielt Bezos von seinen Eltern, die felsenfest an ihren Sohn glaubten: Er selbst nämlich rechnete sich eine Erfolgschance von gerade einmal 30 Prozent aus. Nach dem Platzen der Internet-Spekulationsblase stimmten so manche Analysten denn auch schon den Abgesang auf den Internet-Buchhändler an. Tatsächlich addierten sich die Verluste der ersten Jahre auf die monumentale Summe von drei Milliarden Dollar. Dem stand -- nachdem es auch zu massiven Entlassungen gekommen war -- 2003 ein erster Jahresgewinn von 35 Millionen Dollar gegenüber. Doch die Ausdauer sollte sich lohnen: Vergangenes Jahr verdiente Amazon.com 590 Millionen Dollar bei 7 Milliarden Dollar Umsatz.

Bezos' ursprüngliche Namens-Idee für seine Firma sei seinerzeit nach einem kurzen Telefongespräch mit seinem Anwalt geplatzt, erzählt Kleber. Kadabra (von dem magischen Zauberwort Abra Kadabra) wollte der Internet-Pionier seinen virtuellen Buchladen nennen. Als sein Rechtsanwalt am Telefon jedoch zurückfragte: "Was meinen Sie, Kadaver?", habe es sich Bezos auf der Stelle anders überlegt.

Die ersten Bücher verkaufte Bezos an Freunde und Verwandte. Als Motivation ließ er einen Klingelton installieren, der bei jedem verkauften Buch ertönen sollte. Groß war die Freude, als zum ersten Mal nicht ein Familienmitglied, sondern ein Fremder bestellt hatte. Sehr schnell allerdings wurde die Klingel wieder ausgestellt. Bereits im zweiten Jahr mussten Mitarbeiter aller Abteilungen im Versandzentrum Pakete packen, da die Anzahl der Bestellungen weit unterschätzt worden war. Noch heute soll es Tradition bei Amazon sein, dass zur Weihnachtszeit auch Geschäftsführer und Direktoren im Versandzentrum aushelfen.

Auf der allerersten, noch sehr schlicht gehaltenen Startseite hatte Amazon bereits eine Million Buchtitel im Angebot. "Aber es gab auf der Seite nicht einmal eine Suchfunktion", bemerkt Kleber. In Deutschland ließ sich drei Jahre später eine "Rumpfmannschaft" im Industriepark Halbergmoos bei München nieder. "Wir sind dort sehr amerikanisch gestartet, nur fünf Minuten vom Flughafen entfernt, und ohne große Fußwege zu erreichen", sagt Kleber. Die deutsche "Keimzelle" war der damalige ABC-Bücherdienst aus Regensburg, der damals bereits über Katalogversand, Fax-Bestellungen und eine Website verfügte.

Doch bereits im ersten Jahr habe Amazon.de "zwei Busladungen mit je hundert Leuten" angeheuert, um die schnell wachsende Arbeit zu bewältigen. Heute hat das Logistikzentrum in Bad Hersfeld eine Lagerfläche von 42.000 Quadratmetern. An Spitzentagen wie dem Tag der Potter-Veröffentlichung werden schon einmal 150.000 Bücher an einem Tag verschickt -- insgesamt liefert Amazon.de in 170 Länder weltweit. Den längsten Postweg habe ebenfalls Harry Potter gehabt, sagt Kleber. Ein Band des fünften Abenteuers sei in die Antarktis an eine deutsche Forschungsstation gegangen.

Längst hat sich Amazon vom Buchhändler zu einem gigantischen Gemischtwarenladen entwickelt. Heute gibt es auf Amazon kaum etwas, was nicht angeboten wird: Musik, Filme, elektronische Unterhaltungsgeräte, Computer- und Videospiele, Kleider, Gartenwerkzeug, Küchenartikel, Spielzeug -- und schließlich auch einen DVD-Verleih. Heute hat das Unternehmen Hunderttausende Partner, beschäftigt weltweit 9400 Mitarbeiter und zählt 49 Millionen aktive Kunden. "Die Arbeit geht uns nicht aus", sagt Kleber. "Wir wollen alles anbieten, und das ist genau genommen ziemlich viel." (Renate Grimming, dpa) / (jk)