Seattle: Amazon kämpft rabiat gegen Obdachlosen-Steuer

Amazon hat aus Protest zwei Bauprojekte für Büros neuer Mitarbeiter in Seattle gestoppt, weil der Stadtrat plant, eine Kopfsteuer zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit einzuführen. Die will Amazon nicht zahlen. Ein Stadtratsmitglied spricht von Erpressung.

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Amazon will Obdachlosen-Steuer nicht zahlen

Amazon Campus II in Seattle

(Bild: Amazon)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Oliver Bünte
Inhaltsverzeichnis

Der US-Onlinehändler Amazon hat aus Protest gegen eine geplante Steuer zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit ein bereits laufendes Bauprojekt sowie ein geplantes Bauprojekt für neue Firmenräume an seinem Firmensitz in Seattle gestoppt, berichtete The New York Times. Demnach sollten Büroräume für rund 7000 neue Mitarbeiter entstehen, für die Amazon nach Einführung der geplanten Steuer auch pro Kopf mehr als 500 US-Dollar jährlich bezahlen müsste. Der Stadtrat möchte die neue Steuer von großen Arbeitgebern erheben, um den Mangel an bezahlbaren Wohnungen und damit einhergehend die fortschreitende Obdachlosigkeit bekämpfen zu können.

Der Zuzug neuer Mitarbeiter von größeren Konzernen sorgt in der Stadt für explodierende Mietpreise, sodass viele Einwohner ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Der Stadtrat gibt sich von der Entscheidung Amazons überrascht, das Stadtratsmitglied Kshama Sawant wirft dem Unternehmen offen Erpressung vor.

Rund 75 Millionen US-Dollar würde die geplante Kopfsteuer von mehr als 500 US-Dollar für einen Vollzeitbeschäftigten nach Angaben des Stadtrates von Seattle für den Bau von bezahlbaren Wohnungen und die Betreuung und Unterbringung von Obdachlosen einspielen. Amazon allein hätte mit seinen 45.000 Mitarbeitern mehr als 22 Millionen US-Dollar pro Jahr zu entrichten. Ab 2021 soll die Obdachlosen-Steuer dann über die Lohnsteuer abgewickelt werden, was den Betrag noch erhöhen würde. Betroffen von der Steuer seien ausschließlich Unternehmen mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 20 Millionen US-Dollar pro Jahr. In Seattle seien das knapp 600 Unternehmen.

Amazon hat deshalb einen bereits laufenden Bau neuer Büroflächen für 4500 Beschäftigte eingestellt, ein für dieses Jahr geplanter Bau eines Büroturms für rund 7000 neue Mitarbeiter soll nach Angaben von Amazon-Sprecher Drew Herdener auf Eis gelegt worden sein. Gleichzeitig wies der Sprecher darauf hin, dass das Unternehmen andere Optionen auslote, berichtet die US-Zeitung weiter. Im Raum stehe sowieso der Bau eines zweiten Hauptquartiers. Einige Städte würden sich bereits darum reißen, dass sich Amazon bei ihnen als Arbeitgeber ansiedelt und geringe Steuersätze versprechen. Rund 20 Städte sind in der engeren Auswahl, zusätzlich sollen neue Arbeitsplätze in Vancouver und Boston entstehen. Amazon hat mittlerweile bekannt gegeben, dort Tausende neuer Mitarbeiter suchen zu wollen.

Im Stadtrat sehen einzelne Mitglieder wie Kshama Sawant Amazons Ankündigung, neue Jobs zu streichen und dort anzusiedeln, wo die Steuerlast geringer ist, als Erpressung des Stadtrats an, denn der hat über die Einführung der Obdachlosen-Steuer noch gar nicht entschieden. Eine Abstimmung ist erst für den 14. Mai geplant. Amazon hätte bereits seit mehreren Monaten Lobby-Arbeit gegen die Steuer betrieben, jetzt den Druck kurz vor der anstehenden Entscheidung noch einmal deutlich erhöht, berichtet die New York Times weiter.

Die Bürgermeisterin von Seattle, Jenny Durkan, hat als Reaktion angekündigt, eine gemeinsame Lösung finden zu wollen, rückt aber von dem Plan der Einführung grundsätzlich nicht ab. Sie befürchte zwar, dass dann keine neuen Arbeitsplätze entstehen, möglicherweise auch bestehende Arbeitsplätze in Seattle wegfallen könnten, macht aber gleichzeitig die Dringlichkeit einer Lösung des Obachlosen-Problems in ihrer Stadt deutlich. Durch den Zuzug gut bezahlter Amazon-Mitarbeiter seien die Mieten in Seattle so stark gestiegen, dass immer mehr Einwohner ihren Wohnraum nicht mehr bezahlen könnten und deshalb auf der Straße leben müssten. 2017 war Seattle nach New York und Los Angeles die Stadt mit der drittgrößten Zahl an Obdachlosen, zeigt der Jahresbericht des US-Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtentwicklung.

Mittlerweile sollen sich mehrere Dutzend weiterer in Seattle ansässiger Firmen auf die Seite von Amazon geschlagen haben, berichtet die Seattle Times. Die Unternehmen befürchten demnach indirekte Auswirkungen durch die Steuer wie Kaufkraftverlust und damit auch negative Auswirkungen auf kleinere Unternehmen. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch eine Studie des Consulting-Unternehmens ECONorthwest, die im Auftrag der Handelskammer Seattle durchgeführt wurde: Sie stellt fest, dass allein der Wegfall der 7000 Arbeitsplätze von Amazon rund 908 US-Dollar Verlust an direktem Einkommen und damit auch an Kaufkraft bedeuten würde. Dazu könnten der Studie zufolge weitere 7300 regionale Jobs entfallen, die direkt oder indirekt mit Amazon zu tun hätten. Die negativen Auswirkungen des Jobwegfalls könnten damit höher ausfallen als die geplanten positiven Auswirkungen durch die Steuer. (olb)