Amnesty: Ausufernder Sicherheitsstaat in Deutschland und der EU

Nach islamistischen Anschlägen haben viele EU-Staaten eilig unverhältnismäßige und diskriminierende Anti-Terror-Gesetze beschlossen, kritisiert Amnesty International. Hierzulande seien Geheimdienstbefugnisse massiv erweitert worden.

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Überwachung, Kamera
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John Dalhuisen, Direktor für die Region Europa bei Amnesty International (AI), schlägt Alarm: Zahlreiche EU-Staaten inklusive Deutschlands hätten in jüngster Zeit nach "verabscheuungswürdigen Anschlägen" im Eiltempo neue Anti-Terror-Gesetze und vergleichbare Regeln verabschiedet, mit denen "Grundrechte ausgehöhlt und mühsam errungene Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte ausgehebelt werden", kritisierte der Experte auf Basis eines am Dienstag veröffentlichten Berichts der Organisation zum "ständig expandierenden nationalen Sicherheitsstaat in Europa".

Schon einzeln betrachtet seien viele Anti-Terror-Vorkehrungen "besorgniserregend", warnt Dalhuisen. Zusammen betrachtet ergebe sich aber ein verstörendes Bild: "Für unsere Gesellschaften lange selbstverständliche Rechte werden nun unkontrolliert massiv eingeschränkt."

"Die Bedrohung durch den Terrorismus ist sehr real und muss entschieden bekämpft werden", räumt der Amnesty-Vertreter ein. "Allerdings ist es Aufgabe der Regierung, eine Sicherheitslage zu schaffen, in der alle Menschen ihre Rechte wahrnehmen können." Gesetzgeber dürften Menschenrechte nicht "unverhältnismäßig im Namen der Sicherheit" einschränken, was mittlerweile aber vielfach der Fall sei und nun nachträglich erst schrittweise durch Verfassungsgerichte korrigiert werden müsse. Amnesty hat hierzulande eine Beschwerde eingereicht.

AI hat mit dem Bericht die Rechtslage in 14 EU-Mitgliedsstaaten untersucht. Besonderer Kritikpunkt ist, dass vielfach Befugnisse von Sicherheitsbehörden ausgeweitet werden, wonach diese in Folge "ohne richterliche Genehmigung beziehungsweise Aufsicht in die Grundrechte eingreifen" dürften. Die Organisation kritisiert die unpräzisen und oft ungenügenden Definitionen von Terrorismus und die Einschränkungen der Rechte auf Privatsphäre sowie der Bewegungs- und Meinungsfreiheit.

Viele europäische Länder unterscheiden sich laut AI kaum noch von "Überwachungsstaaten", nachdem sie Polizei und Geheimdiensten weitreichende Kompetenzen "zur anlasslosen Massenüberwachung ohne die notwendige rechtsstaatliche richterliche Kontrolle einräumen". Neben Deutschland, Frankreich und Großbritannien erlaubten mittlerweile etwa auch Polen, Ungarn, Österreich, Belgien und die Niederlande "das anlasslose Abgreifen und den Zugang zu den Daten von Millionen von Menschen".

Hierzulande verweist Amnesty vor allem auf die jüngst in Kraft getretene Reform des Gesetzes für den Bundesnachrichtendienst (BND) mit ausgedehnten Kompetenzen zur "Ausland-Ausland-Aufklärung" sowie auf die zuvor bereits überarbeiteten Vorgaben für das Bundesamt für Verfassungsschutz, die ebenfalls schon mit erweiterten Befugnissen auch für den BND gekoppelt war. Zudem würden immer mehr Verdächtige in Deutschland und anderen EU-Staaten mit Ausgangssperren oder Reiseverboten belegt oder müssten eine elektronische Fußfessel tragen. In vielen Ländern seien ferner die Schwellen drastisch gesenkt worden, um Not- und Ausnahmezustände zu erklären. (vbr)