Angst vor Zensur: China wirbt im "Protokollkrieg" auf ITU-Ebene für IPv6+

Die chinesische Regierung hat eine neue Initiative gestartet, die Internetarchitektur umzugestalten. Statt New IP soll nun IPv6+ kommen, wiederum von Huawei.

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(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

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China lässt nicht locker bei seinen Bemühungen, das Internet nach eigenen Vorstellungen umzugestalten. Der jüngste Vorschlag Pekings kommt in Gestalt eines überraschenden Änderungsantrags für eine Resolution, die auf der Weltkonferenz für Telekommunikationsentwicklung angenommen werden soll. Der Kongress der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), der vor allem auf die Belange von Schwellenländern im globalen Süden ausgerichtet ist, findet vom 6. bis 16. Juni in Ruanda statt.

Die chinesische Regierung habe den Korrekturvorschlag erst vor zwei Wochen unter den anderen ITU-Delegationen verbreitet, schreibt das Portal "Euractiv". Darin werde in einer Fußnote das Konzept von IPv6+ eingeführt, das das Reich der Mitte als eine verbesserte Variante der neuesten Version des Internetprotokolls (IPv6) darstelle. IPv6+ wird seit einiger Zeit vor allem vom chinesischen Netzausrüster Huawei propagiert.

"IPv6+ kann eine offenere und aktivere Technologie- und Dienstleistungsinnovation, eine effizientere und flexiblere Netzwerk- und Dienstleistungsbereitstellung sowie eine exzellente Leistung und Benutzererfahrung ermöglichen", wirbt Peking laut dem Bericht in der Fußnote für den potenziellen Standard. Dieser habe drei entscheidende Vorteile: Daten könnten damit über ein Netzwerk effizienter verteilt werden, andere Technologien und innovative Lösungen einfach integriert werden. Die Organisation von Netzwerkressourcen lasse sich so insgesamt verbessern.

Der Staatsrat und das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas boxen die Ablösung von IPv4 durch IPv6 im Reich der Mitte seit Langem durch. Dabei sollen gleich "IPv6+-Mechanismen" zum Einsatz kommen. Ein Baustein davon ist das sogenannte Segment Routing (SRv6) für die automatisierte und vorausschauende Zuweisung von Netzressourcen. Laut Huawei handelt es sich bei IPv6+ generell um "ein auf die Cloud ausgerichtetes intelligentes IP-Netz", das IPv6 als Grundlage nutzt und darauf Techniken wie SRv6 sattelt.

Der Telekommunikationskonzern spricht von einer damit realisierbaren "sicheren Verbindung, die eine Echtzeit-Überwachung der Netzwerkleistung" erlaube. Unternehmen würden so dabei unterstützt, über den IPv6-Netzwerkstamm schnell in die Cloud zu gelangen. Netzbetreiber wiederum könnten Teile der Infrastruktur anwendungsbezogen und auf Abruf bereitstellen (Network Slicing).

Im Gegensatz zu anderen Standardisierungsorganisationen wie die in den USA sitzende Internet Engineering Task Force (IETF), die von Privatunternehmen dominiert werden, spielen in der ITU Regierungen eine tragende Rolle. Peking hat die UN-Institution daher wiederholt genutzt, um gleichgesinnte Länder wie Russland und afrikanische Staaten für gemeinsame Anträge zu gewinnen, die ähnliche Interessen an einer stärkeren staatlichen Kontrolle über das Internet haben. Von einem "Protokollkrieg" ist so bereits die Rede.

Für Stirnrunzeln im Westen sorgte dabei in jüngster Zeit vor allem der ebenfalls über Huawei verbreitete Vorschlag für ein neues Internetprotokoll mit der Bezeichnung "New IP": China wolle damit sein Modell des staatlich kontrollierten Netzes "inklusive Massenüberwachung" und Filter salonfähig machen, kritisierte diesen Vorschlag etwa Sibylle Gabler, Leiterin Regierungsbeziehungen beim hiesigen Normungsinstitut DIN. Mehrere Stiftungen zeigten sich ebenfalls besorgt. Die EU-Kommission nahm den New-IP-Vorstoß jüngst mit zum Anlass, um eine neue Normungsstrategie zu präsentieren und eine Führungsrolle in diesem Bereich zu proklamieren.

Die Kritik in den USA und in Europa auch an IPv6+ lässt daher nicht auf sich warten. "Bei IPv6+ und New IP handelt es sich um dasselbe Lied, nur in einer anderen Tonlage", erklärte Mehwish Ansari, Leiterin des Bereichs Digitales bei Menschenrechtsorganisation Article 19, gegenüber Euractiv. Die beiden Vorschläge wiesen ähnliche Merkmale auf, die die Privatsphäre einschränken und die Zensur ausweiten könnten.

Die Neuverpackung von New IP und das Setzen auf eine "Erweiterung" von IPv6 hält Ansari für eine kluge Strategie, da viele Entwicklungsländer bei der Einführung von IPv6 noch hinterherhinkten. Einige Nationen könnten sich so zu Infrastrukturprojekten verpflichten, wie sie China im Rahmen der "Neuen Seidenstraße" finanziere.

Mallory Knodel, Technikexpertin bei der US-Bürgerrechtsorganisation Center for Democracy and Technology (CDT) monierte eine irreführende Marketingkampagne, da IPv6+ kein technischer Standard wie IPv6 sei, sondern ein Unternehmensprodukt. Wenn der beworbene Ansatz mit den älteren Protokollen kompatibel gemacht werde, würden dem gesamten Datenverkehr zusätzliche Informationen hinzugefügt einschließlich detaillierter Zugangs- und Metadaten.

Laut Knodel könnte der chinesische Vorschlag auch den umstrittenen Ruf großer europäischer Netzbetreiber nach einer "fairen" Beteiligung von Internetriesen wie Amazon, Apple, Google, Meta, Microsoft und Netflix an den Kosten für den Ausbau der Infrastruktur und den von ihnen produzierten Datenverkehr unterstützen. Eine solche Abrechnung würde durch die Bereitstellung der Zusatzangaben zu den Datenpaketen vereinfacht.

Der europäische Telecom-Verband ETNO hält dies aber für unnötig, da die von den Inhalteanbietern genutzten Bandbreiten bekannt seien. Ihm zufolge sollte das Internet weiter offen, dezentralisiert und unter Einbezug aller Interessensvertreter nach dem Multi-Stakeholder-Modell verwaltet werden. Die europäischen Telekommunikationsunternehmen seien gegen IPv6+.

(axk)