Arbeitskultur im Homeoffice: Wer Kontrollverlust fürchtet, "führt falsch"

Corona wird viele Spuren hinterlassen. Eine ist Homeoffice. Diese Form der Arbeitsorganisation braucht aber neue Führungskultur, sagt Beraterin Teresa Hertwig.

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(Bild: Pheelings media / Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dem Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit einem Rechtsanspruch auf Homeoffice eine klare Absage erteilt. Das ist richtig so, meint Teresa Hertwig, obwohl die Beraterin davon lebt, Unternehmen bei der Einführung von Homeoffice zu helfen. "Eine Regelung würde voraussetzen, dass sich die meisten Firmen gegen Homeoffice sträuben", sagt Hertwig. Tun sie aber nicht.

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Hertwig geht davon aus, dass sich der Arbeitsmarkt ganz von selbst in Richtung Homeoffice öffnen wird, weil die Unternehmen mit Präsenzkultur schon bald keine Bewerbungen mehr bekommen und auch keine guten Mitarbeiter mehr halten können, denn "Corona hat allen gezeigt, dass Homeoffice gut funktionieren kann", sagt sie. Vorausgesetzt, die Spielregeln sind festgelegt und die Vorgesetzten können auf Distanz führen.

Teresa Hertwig

(Bild: Kimberly Jobson)

Ist Corona nun Auslöser dafür, dass Firmen sich ernsthafte Gedanken darüber machen, Homeoffice fest zu etablieren?

Corona ist in jedem Fall ein Katalysator fürs Homeoffice. Firmen, die eine solche Zusammenarbeit zuvor abgelehnt haben, sehen, dass Homeoffice funktioniert. Dank dieser Arbeitsorganisation ist die Produktivität vielerorts nicht so stark eingebrochen wie zunächst befürchtet. Ich begleite Firmen mit meinem Unternehmen seit drei Jahren bei der Einführung von Homeoffice und stelle fest, dass die Anfragen von Unternehmen stark steigen, die diese Form der Zusammenarbeit dauerhaft etablieren wollen.

Was ist den Firmen dabei am wichtigsten?

Aktuell gibt es einen Wildwuchs an Absprachen, Tools und Einzelentscheidungen. Das wollen die Unternehmen ändern und einheitliche firmenweit gültige Regeln einführen.

Was muss unbedingt geregelt werden?

Der Homeoffice-Anteil, also wie viele Tage sind im Homeoffice erlaubt. Mindestens ebenso wichtig ist: Wie viele gemeinsame Präsenztage es gibt, an dem sich alle aus dem Team persönlich treffen? Neben der Ortsunabhängigkeit der Arbeit sollte eine eventuelle Zeitsouveränität geregelt werden, also: gilt die Arbeitszeit vom Büro mit Kernzeiten oder gibt es eine Zeitunabhängigkeit? Ebenso unerlässlich ist es die Erreichbarkeit zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten zu definieren. Das darf nicht zufällig sein. Zuletzt zählt zu den wesentlichen Regelungen der Umgang mit neuen Tools.

Was genau meinen Sie damit?

Üblicherweise wird in konventionellen Arbeitsorganisationen häufig über E-Mail kommuniziert. Um auf Distanz zusammenzuarbeiten ist die E-Mail das falsche Kommunikationsmittel. Richtig sind Kollaborationstools wie Microsoft Teams oder Trello.

Wenn Homeoffice scheitert, was sind die ausschlaggebenden Gründe dafür?

Es sind immer die unterschiedlichen Erwartungen, deshalb sind die Spielregeln so immens wichtig. Dazu gehört, wie schnell man auf eine Anfrage reagieren sollte, wann man telefonisch erreichbar sein muss und ob man zwischendurch zum Einkaufen darf und die Arbeitszeit abends anhängen kann? Und wir dürfen nicht vergessen, dass uns ein kompletter Sinn im Homeoffice fehlt: das Sehen! Deshalb sollte im Homeoffice obligatorisch Video zur Kommunikation genutzt werden, weil Gestik und Mimik im Gespräch extrem wichtig sind.

Welche Rolle spielen Vorgesetzte beim Homeoffice?

Sie haben eine Vorbildfunktion und daher eine entscheidende Rolle. Vorgesetzte müssen mit gutem Beispiel vorangehen, dabei haben sie es doppelt schwer: Sie müssen sich wie jeder Mitarbeiter selbst im Homeoffice neu organisieren, zudem dafür sorgen, dass das Team sich gut organisiert und produktiv ist. Grundlegend dabei ist: Vertrauen ist das A und O und zwar in beide Richtungen. Denn Vertrauen ist keine Einbahnstraße.

In üblichen Arbeitsorganisationen sehen sich Mitarbeiter und Vorgesetzte. Fürchten die Vorgesetzten, diese Kontrolle zu verlieren?

Wer Angst hat, seine Mitarbeiter im Homeoffice nicht mehr kontrollieren zu können, führt grundsätzlich falsch, weil die reine Anwesenheit überhaupt nichts über Arbeitsqualität und -quantität aussagt. Führen nach Zeit und Anwesenheit ergibt keinen Sinn, führen nach Ergebnissen schon. Wer so führt, braucht allerdings viel mehr Zeit. Das setzt zeitliche Kapazität bei den Führungskräften voraus, leider haben die viele nicht, weil deren Schreibtische voll sind mit operativen Aufgaben.

Zu dem großen Berg an Arbeit kommt, dass nur wenige Vorgesetzte Erfahrung in Führung auf Distanz haben. Wie soll das gut gehen?

Die Unternehmen dürfen sich nicht auf einer veralteten Führungskultur ausruhen. In den letzten Jahrzehnten haben es Führungskräfte praktiziert, durch Anwesenheit und Kontrolle zu führen. Und jetzt – schwupp – sollen sie das ganz anders machen. Ja, das müssen sie leisten, denn Manager haben eine führende Rolle und dazu gehört, sich an neue Gegebenheiten anpassen zu können. Allerdings darf dieser Führungswandel nicht allein auf dem Rücken der Führungskräfte ausgetragen werden. Die Firmen müssen ihre Manager im virtuellen Führungsstil befähigen. Und die Mitarbeiter müssen mitmachen, im Idealfall die virtuelle Zusammenarbeit gemeinsam erarbeiten.

Welche Rollen haben dabei die Mitarbeiter?

Sie haben vor allem Erfahrung aus den letzten Monaten im Homeoffice. Was ist gut gelaufen, was nicht und welche neuen Gewohnheiten brauchen wir, damit die Zusammenarbeit funktioniert? Es ist ein Irrglaube, dass die Führungskraft allein Homeoffice einführen und am Leben halten kann. Dazu braucht sie ein Team, das mitmacht und von denen jeder einzelne sein Wissen und seine Erfahrung mit einbringt. Denn häufig sind Vorgesetzte in das Tagesgeschäft nicht tief integriert, sondern nur oberflächlich und wissen nicht, wie die Arbeit der Mitarbeiter im Detail aussieht.

Was sind die Fallen, in die Führungskräfte bei der Organisation von Homeoffice treten können?

Eine Falle ist, an der alten Kontrolle festzuhalten und damit nicht loslassen zu können, also die Vertrauensfrage. Vorgesetzte, die Mitarbeiter ständig anrufen, um zu kontrollieren, ob sie am Homeoffice-Arbeitsplatz sitzen oder E-Mails schreiben und die Antwortzeit messen, machen große Fehler. So entwickelt sich keine Kultur, in der Arbeiten auf Distanz funktionieren kann. Eine andere Falle ist, für Rituale keine virtuellen Alternativen zu schaffen. Wenn ein Team in den alten Zeiten mittwochs immer gemeinsam gefrühstückt und dabei locker miteinander geredet hat, dann macht man das in der neuen Welt eben zusammen per Video-Call.

(axk)