Arbeitsmodelle: Homeoffice im Ausland​

Manche Unternehmen bieten ihren Beschäftigten an, für einige Zeit vom Ausland aus zu arbeiten. Das Angebot soll die Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen.

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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In diesem Sommer war Sebastian Lohr, 27, eine Woche in London. Das Besondere daran: Für den Flug und die Verpflegung kam er selbst auf, die Kosten für die Unterkunft übernahm sein Arbeitgeber doubleSlash aus Friedrichshafen. Im Gegenzug dafür arbeitete Lohr von London aus sechs Stunden am Tag. "Ich fing früh an und hatte am Nachmittag frei." Workation nennt sich das Modell, das Arbeit (work) und Urlaub (vacation) verbindet. Für das Softwareunternehmen vom Bodensee ist Workation ein Pilotprojekt, mit dem es herausfinden will, ob dadurch die Attraktivität als Arbeitgeber steigt.

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DoubleSlash ist Dienstleister für IT-Beratung und Softwareentwicklung mit rund 260 Mitarbeitenden. Lohr hat einen Bachelor-Abschluss in angewandter Informatik und arbeitet seit knapp zwei Jahren in der Firma als Softwareentwickler für Anwendungen in der Elektromobilität. Von seinem Arbeitgeber war er fürs Ausland mit einem Laptop und einem zweiten Bildschirm ausgestattet, wie im Homeoffice zuvor. "Wenn mich der Blick aus dem Fenster nicht daran erinnert hätte, in England zu sein, hätte ich genauso gut in Friedrichshafen sitzen können." Das Internet und die Anbindung waren durchgängig stabil, was für ihn Voraussetzungen für effizientes Arbeiten sind, weil er in der Cloud entwickelt.

Lohr konnte in London viel Englisch sprechen bei Ausflügen in die Stadt. Das war ihm wichtig, um die Sprache zu üben, wie auch ein digitales Nomadenleben auszuprobieren, wenn auch in einer Kurzzeitversion. Ein Kumpel von ihm führt ein solches. Seine Freundin, die an einer Fern-Uni studiert, hat ihn nach London begleitet. "Wir haben über das Leben als digitaler Nomade gesprochen und finden beide den Gedanken ziemlich cool – allerdings für maximal ein Jahr." Dauerhaft wäre das nichts für die beiden. Sie träumen eher von der eigenen, gemeinsamen Wohnung.

Das Pilotprojekt läuft von Mai dieses Jahres bis März nächsten Jahres. 70 Mitarbeitende haben bis jetzt das Angebot angenommen und waren für eine Woche in einem Land der EU oder Großbritannien, üblicherweise für sieben Tage, von Samstag bis Samstag. Für die Dauer von drei Monaten dürfen sich Bürger der EU in allen anderen Mitgliedsstaaten aufhalten, ohne hierfür Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Darüber hinaus sind Aufenthalts- und Arbeitsrechte zu beachten.

"Wir hatten mehr Bewerber, als es unser geplantes Budget zuließ", sagt Personalleiterin Leonie Hlawatsch. Deshalb musste ausgewählt werden. Eine feste Mitarbeit und lange Festanstellung gaben den Ausschlag für Personen in einer Pattsituation. "Mit dem Projekt sollen Freizeit und Arbeit verbunden, der Jahresurlaub nicht ersetzt, sondern ergänzt werden", sagt Hlawatsch. So wurden keine Urlaubstage abgezogen und mitreisen konnten jeweils ein Kollege, Partner, Familienmitglied oder Freund.

Ob sich durch Workation die Attraktivität von doubleSlash als Arbeitgeber steigern lässt, wird die Personalabteilung in einem Review nach Ablauf der Pilotphase überprüfen. "Inzwischen bekommen wir Bewerbungsschreiben, in denen die Bewerber Bezug darauf nehmen. Sie erwähnen Workation, bewerben es aber nicht explizit deshalb", sagt Hlawatsch. Dafür ist eine Woche wahrscheinlich zu kurz.

Der Technologiekonzern Bosch hat im vergangenen Jahr eine Konzernbetriebsvereinbarung geschlossen, nach der die Mitarbeitenden selbst entscheiden, wie sie ihren Arbeitsalltag im Einklang mit den Aufgaben und den betrieblichen Anforderungen gestalten. Eine Erweiterung dieser Vereinbarung ermöglicht es den Beschäftigten seit diesem Jahr aus privaten Gründen bis zu 54 Tage im Jahr vom Ausland aus zu arbeiten – wenn die Tätigkeit das zulässt und die Führungskraft zustimmt. "Wir machen sozusagen die Welt zu unserem Office", sagt Filiz Albrecht, Arbeitsdirektorin bei Bosch.

Rund 500 Fälle wurden bislang genehmigt, etwa 400 haben bereits mobil aus anderen Ländern gearbeitet oder sind derzeit vor Ort. "Gerade für junge Menschen ist es inzwischen ein wichtiger Punkt, dass sie potenziell von überall auf der Welt arbeiten können", sagt Albrecht. Dies würde in Bewerbungsgesprächen immer öfter nachgefragt.

Bosch-Mitarbeitende dürfen weltweit mobil arbeiten und dass es gerade höchstens 54 Tage in einem 12-Monats-Zeitraum sind, hat rechtliche Gründe. Wie hoch die Anzahl möglicher Arbeitstage im Ausland ist, hängt von dem Land ab, in das die Mitarbeitenden reisen. Ein Chatbot ist die zentrale Anlaufstelle bei Bosch für die Bearbeitung von Mitarbeiteranfragen. Hier können sie sich über das mobile Arbeiten in einem bestimmten Land informieren und den eigenen Fall auf rechtliche Aspekte hin überprüfen. Auf Basis des Chatbot-Ergebnisses erfolgt stets eine Einzelfallprüfung und -abwicklung.

Gründe für mobiles Arbeiten im Ausland müssen nicht angegeben werden. In Gesprächen werden häufig Familienbesuche genannt oder ein Anschluss-Arbeiten aus einem Land, in dem Urlaub gemacht wurde.

Andreas Heberle, 53 und seit 35 Jahren bei Bosch, hat im Juli für zwei Wochen von Barcelona aus gearbeitet. "Unter der Woche saß ich wie üblich von morgens bis abends am Schreibtisch. Nach Feierabend sind wir in die Stadt und haben das mediterrane Flair am Meer genossen." Seine Partnerin, ebenfalls Mitarbeitende bei Bosch, hat ihren Arbeitsplatz für dieselbe Zeit von Stuttgart in die katalanische Hauptstadt verlegt. Heberle findet große Städte inspirierend.

Als Abteilungseiter ist er für Organisationsentwicklung und Change-Management im Konzern zuständig. "Seit Corona hat sich bei uns mobiles Arbeiten etabliert, wir sind es inzwischen gewohnt, von überall aus zu arbeiten." Doch nicht jedes Meeting lässt sich online abhalten. Weil Heberle als Führungskraft regelmäßig Termine hat, die seine persönliche Anwesenheit voraussetzen, sind die beiden nur 14 Tage geblieben.

Im nächsten Jahr will Heberle wieder für einige Zeit aus dem Ausland arbeiten. Von wo aus entscheidet er ganz pragmatisch: Welche Stadt kann man vom Flughafen Stuttgart aus direkt und mit geringem Zeitaufwand erreichen? Da kommen einige Städte für einige Wochen Abwechslung im Arbeitsalltag in Frage.

(axk)