Arbeitsschutz​: "Ein gesunder Arbeitsplatz ist ein gutes Argument"

Jedes Unternehmen muss für jeden Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz erstellen. Wenige kommen der Pflicht nach.

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg

Arbeit soll weder physisch noch psychisch krank machen. Deshalb ist jedes Unternehmen dazu verpflichtet, jeden Arbeitsplatz und jede Tätigkeit dahin gehend zu beurteilen, ob eine Gefährdung für die Beschäftigten vorliegt. Dies betrifft auch die Beurteilung der psychischen Belastung, die 2013 explizit in das Arbeitsschutzgesetz aufgenommen wurde. Was muss beurteilt werden und was bringt das den Beschäftigten? Das weiß Hannah Huxholl, Expertin für Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Immer mehr Menschen klagen über zu großen Druck am Arbeitsplatz. Steigt die psychische Belastung der Beschäftigten?

Der aktuelle Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt, dass die Arbeitsintensität auf sehr hohem Niveau ist. Tatsächlich ist die Anzahl derer, die das als belastend wahrnehmen, gestiegen. Subjektiv hat sich damit der Druck am Arbeitsplatz erhöht.

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Welche psychischen Belastungsfaktoren machen den Beschäftigten am meisten Stress?

Das sind die genannte Arbeitsintensität, dazu die Gestaltung der Arbeitszeit, geringer Handlungsspielraum bei den Aufgaben, schlechte soziale Beziehungen insbesondere zu den Vorgesetzten und auch die mangelnde Gestaltung der Arbeitsumgebungsbedingungen.

Jeder Arbeitgeber muss eine gesetzliche Unfallversicherung für seine Beschäftigten abschließen, sie versichert die Mitarbeitenden bei Arbeitsunfällen. Sind auch psychische Krankheiten abgedeckt?

Wenn ein Beschäftigter im Betrieb einen Arbeitsunfall erleidet und ein Trauma davonträgt oder daraufhin eine Angststörung entsteht, dann übernimmt die gesetzliche Unfallversicherung die Behandlungskosten. Bei der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es zudem den Bereich der Prävention. Laut gesetzlichem Auftrag sorgen wir auch dafür, dass arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren erst gar nicht entstehen. Um das zu erreichen, beraten Präventionsexpertinnen und -experten der Unfallversicherungsträger interessierte Unternehmen zu psychischer Belastung und bieten Qualifizierungsprogramme an.

Prävention soll vor Krankheit schützen. Müssen deshalb alle Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen für jeden Mitarbeitenden durchführen?

Mit der Änderung im Arbeitsschutzgesetz wurde 2013 klargestellt, dass neben physischen auch psychische Faktoren bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden müssen. Dazu ist tatsächlich jeder Arbeitgeber verpflichtet.

Wir haben etwa 10 Arbeitgeber und Arbeitnehmer befragt, ob sie diese Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchführen oder mit ihnen durchgeführt werden. Darunter kleine, mittlere und große Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Nur die großen Firmen kommen ihrer Pflicht nach und das mit geringem Engagement. Kleine und mittlere Firmen kennen die Vorschrift nicht einmal und machen deshalb auch nichts. Was sagen Sie dazu?

Ihre Erfahrung deckt sich mit meiner: Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung wird zurzeit nur von einer Minderheit der Betriebe vorgenommen. Kleinere Unternehmen meiden sie mehrheitlich, je größer der Betrieb, desto eher wird sie durchgeführt. Häufig erfüllen Unternehmen ihre Pflicht, wenn es eine Fachkraft für Arbeitssicherheit in der Firma gibt, eine Betriebsärztin oder ein Betriebsarzt bestellt ist oder wenn der Aufsichtsdienst den Betrieb besucht und die fehlenden Dokumente bemängelt hat.

Obwohl die Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, ignorieren viele die Vorschrift. Hat es Konsequenzen, wenn das auffliegt?

Wie oft sie die Beurteilung durchführen müssen, ist nicht festgelegt. Es gibt aber notwendige Anlässe dafür. Das ist die Erstbeurteilung an allen bestehenden Arbeitsplätzen und allen Arbeitstätigkeiten. Weitere Anlässe sind etwa betriebliche Veränderungen wie neue Maschinen oder wenn Arbeitsunfälle aufgetreten sind. Die Pflicht zur Beurteilung liegt immer beim Arbeitgeber, er kann aber geeignete Personen damit beauftragen. Das können der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin, die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder externe Dienstleister mit der erforderlichen Fachkenntnis sein. Staatliche Aufsichtsbehörden und die Unfallversicherungsträger kontrollieren die Einhaltung der Vorschriften. Wenn sie nicht eingehalten werden, kann das zu Sanktionen führen.

Bitte erklären Sie an einem praktischen Beispiel anhand eines Informatikers, was wie und warum beurteilt werden muss.

Das mache ich gerne an den Beispielen Arbeitsinhalte und -aufgaben. Reicht die vorhandene Qualifikation für die Tätigkeit aus oder ist man überfordert? Interessant ist es auch, auf das Informationsangebot zu schauen. Zu viele Informationen können zu einer Reizüberflutung führen, andererseits können die Informationen für eine Aufgabe lückenhaft sein und deswegen kann Stress entstehen. Kritisch kann zudem das Arbeitspensum sein: wie viel muss in welcher Zeit erledigt werden und wie groß ist der Einfluss darauf. Weiterhin kann der Arbeitsablauf relevant sein, etwa wenn es häufige Störungen gibt. Informatiker haben kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten, deshalb können Unterbrechungen ein großes Ärgernis sein, weil sie sich dann immer wieder in die Aufgabe hineindenken müssen.

Wer entscheidet anschließend, ob eine psychische Belastung vorliegt?

Letztendlich die Beschäftigten, denn nur sie können wissen, ob etwas belastend ist. Wenn eine psychische Gefährdung vorliegt, muss der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen korrigieren und das am besten gemeinsam mit dem Betroffenen.

Was bringt die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, wenn Unternehmen sie konsequent durchziehen?

Wenn die Beurteilung richtig durchgeführt wird, werden viele Gefahrenquellen eliminiert oder zumindest soweit wie möglich reduziert. Das macht die Arbeitsbedingungen menschengerechter. Das spüren die Beschäftigten und erhöhen ihre Leistungsbereitschaft und ein Arbeitsplatz, der sicher und gesund gestaltet ist, ist darüber hinaus ein positives Aushängeschild nach außen für die Gewinnung neuer Mitarbeiter. Bei dem großen Mangel an IT-Personal ist das ein gutes Argument.

(axk)