Arbeitswelt: "Ich sitze jeden Tag stundenlang in sinnlosen Meetings"

Eine Besprechung jagt die andere. Die Beschäftigten stresst das – und sie könnten sich die Hälfte der Meetings sparen. Tun sie aber meistens nicht.

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Seinen Namen kennen die wenigsten, den seines Arbeitgebers die meisten. Es ist ein bekanntes, großes Softwarehaus in Deutschland und er arbeitet eigentlich gerne dort. Deshalb will er anonym bleiben. "Was ich hier erlebe, werden auch andere kennen: Ich sitze jeden Tag stundenlang in sinnlosen Meetings und meine Arbeit bleibt liegen", sagt der 43-jährige Informatiker. Oft geht er deshalb abends frustriert nach Hause und weiß nicht, wann er seine Arbeit machen soll. Auch Kolleginnen und Kollegen klagen über massiven Meetingstress. Der Vorgesetzte am meisten. Wie sie der Meetinghölle entkommen können, weiß keiner. Weitergehen könne es so aber nicht mehr.

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SAP macht eine Meeting-Zäsur. Im Sommer vergangenen Jahres haben die Walldorfer probeweise einen ‚Focus Friday‘ eingeführt. Am letzten Tag jeder Arbeitswoche sollen möglichst keine Meetings mehr stattfinden, damit die Beschäftigten fokussiert arbeiten können. SAP will den konferenzfreien Freitag ein Jahr testen. Wenn er sich bewährt, wird er weltweit eingeführt. Die Idee könnte viele Nachahmer bekommen.

Einen radikalen Kahlschlag im Kalender ordnete das kanadische E-Commerce-Unternehmen Shopify zum Jahresbeginn an: Die Firma untersagt alle wiederkehrenden Meetings mit mehr als zwei Personen auf unbestimmte Zeit. Der Mittwoch bleibt meetingfrei und Führungskräfte sollen sich künftig aus großen Gruppen zurückziehen. Diese und weitere Meeting-Maßnahmen sollen den Angestellten mehr Arbeitszeit ermöglichen.

In den letzten Jahren haben Meetings stark zugenommen. "Die Gründe dafür sind andere Arbeits- und Organisationsformen wie New Work", sagt Niclas Schaper, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Paderborn. Selbstverantwortlichkeit, stärkere Teamorientierung, Angestellte in Entscheidungen einbeziehen – all das führt zu mehr Meetings und verändert die Führungskultur. Sie muss kooperativer werden. Corona hat mit dem nun weitverbreiteten Homeoffice als weiterer Grund zur Zunahme von Besprechungen geführt, um etwa den Kontakt zu daheim arbeitenden Beschäftigten aufrecht zu halten.

Aus dem US-amerikanischen Raum ist bekannt, dass Mitarbeitende durchschnittlich etwa 6 Stunden pro Woche in Meetings sitzen. Bei Vorgesetzten sind es mit 23 Stunden deutlich mehr. Sie verbringen bis zu 80 Prozent ihrer Arbeitszeit in Besprechungen. "Wenn Meetings nicht effizient genutzt werden, ist das Arbeitszeitvernichtung pur", sagt Schaper. Die Zahlen aus den USA ließen sich auf deutsche Verhältnisse übertragen.

Auch, dass die Hälfte aller Besprechungen ineffizient sind und als wenig effektiv eingestuft werden. Slack, ein US-Anbieter von Tools für Kollaboration und digitale Meetings, hat in einer Befragung unter 2.000 Angestellten in Deutschland im vergangenen Jahr herausgefunden, dass rund jede zweite Besprechung als überflüssig angesehen wird.

"Zu Recht stellen immer mehr Unternehmen Meetings in Frage", sagt Dirk Schmachtenberg, Geschäftsführer der Management- und Technologieberatung Plan D. Meetings bringen nach seiner Meinung oft nicht viel, weil der Fehler meistens schon darin liegt, dass es kein Ziel für die Besprechungen gibt. "Weil nicht klar ist, um was es gehen soll, wissen die Beteiligten auch nicht, welchen Beitrag sie leisten sollen", sagt Schmachtenberg. Anstatt zu Ergebnissen führen solche Meetings zu verschwendeter Arbeitszeit.

Schmachtenberg hat die Kosten von Meetings geschätzt und kommt in den meisten Fällen auf "deutlich jenseits von 1.000 Euro die Stunde". Wenn man nun bedenkt, dass jedes zweite Meeting nichts bringt, wird in diesen unnützen Sitzungen ziemlich viel Geld und wertvolle Zeit unnötig verbrannt. "Die Motivation, dennoch daran teilzunehmen, ist trotz verlorener Zeit für die Mitarbeitenden sehr hoch, weil es in den wenigsten Unternehmenskulturen eine vernünftige Dokumentation von Meetings gibt", sagt Schmachtenberg. Wer nicht dabei war, ist von Informationen ausgeschlossen.

Die meetingfreien Tage von SAP und Shopify hält Schmachtenberg deshalb für gut, weil sie wertvolle Tage sein können, um produktiv zu arbeiten. "Meetings, E-Mails oder Chats unterbrechen die Arbeit ständig, das stört die Konzentration und das Gehirn muss danach ständig neu hochfahren." Nach wissenschaftlichen Studien dauert es etwa 8 Minuten, bis die volle Konzentration nach einer auch noch so kurzen Unterbrechung wieder erreicht ist. Schmachtenberg ist davon überzeugt, dass viele Menschen es mittlerweile verlernt haben, überhaupt einmal zwei, drei Stunden am Stück zu arbeiten. Das sollte deshalb bei Bedarf trainiert werden.

Er spricht sich dafür aus, Meetings zu reduzieren, weil "unsere Meetingkultur die Diffusion von Verantwortung fördert und große und häufige Gesprächsrunden wenig Produktivität bringen". Für die dann übrigbleibenden, notwendigen Meetings hält er es für sehr wichtig, klare Ziele zu erstellen. Nur dann lassen sich Ergebnisse erzielen. Meetings einzuschränken, ist nach Meinung von Professor Schaper nicht ganz einfach. "Was hilft, ist hinterfragen." Was ist das Thema? Muss das gemeinsam besprochen und entschieden werden? Wer muss teilnehmen? Wenn diese Fragen von den verantwortlichen Personen gründlich beantwortet werden, lassen sich leicht viele Meetings streichen.

Für die, die stattfinden sollen, hat Schaper sieben Tipps für das erfolgreiche Gelingen eines Meetings:

  1. Vorbereitet sein und eine klare Agenda haben. Zu Beginn im Überblick zusammenfassen, welche Punkte besprochen werden.
  2. Festlegen, wer die Besprechung leitet. Wenn es nicht die Führungskraft ist, muss sichergestellt sein, dass seine Vertretung die Fähigkeiten zur Leitung hat.
  3. Zeit begrenzen. Meetings über eine Stunde sind wenig sinnvoll. Pausen einlegen.
  4. Störungen vermeiden. Handys lautlos, keine andere Beschäftigung nebenher erlauben.
  5. Kommunikationsregeln einhalten. Andere ausreden lassen, nicht unterbrechen. Bei Machtgerangel und anderen Nebensächlichkeiten muss der Moderator eingreifen und zur Ordnung rufen.
  6. Ausblick geben. Was sind die nächsten Schritte?
  7. Protokoll schreiben. Wer hat was bis wann zu tun?

(axk)