Ars Electronica 2008 diskutiert über partizipative Produktionsweisen
Die Linzer Ars Electronica wirft in diesem Jahr einen Blick auf eine neue Kulturindustrie, jenseits der "binär ablaufenden Debatte um Rechteinhaber und Piraten".
Die Linzer Ars Electronica wirft in diesem Jahr einen Blick auf eine neue Kulturindustrie, jenseits der "binär ablaufenden Debatte um Rechteinhaber und Piraten", wie Creative-Commons-CEO Joichi Ito zum Auftakt sagte. Heute Morgen wurde im Brucknerhaus in Linz diskutiert, was alte und neue Unternehmer tun können, wenn "Eigentum an seine Grenzen stößt" – so lautet der Untertitel des von Ito vorbereiteten Symposiumsprogramms der diesjährigen Ars Electronica. Statt beim "binären Weltbild" zu bleiben, wollen demnach die Teilnehmer in Linz überlegen, wie Unternehmen, Gesellschaft und Regierungen den Sprung zu neuen, partizipativen Produktionsweisen schaffen.
GNU++-Autor und Red-Hat-Manager Michael Tiemann kündigte in Linz des Start eines neuen Musikstudios für "saubere Musik" an, die Initiative Wissensraum Linz berichtete über anlaufende lokale Projekte zur Unterstützung der neuen Kulturindustrie. Die Stadt wird so ab dem 1. Januar 2009 Künstler mit höheren Fördersummen bedenken, die ihre Werke unter eine Creative-Commons-Lizenz stellen.
Yochai Benkler, Direktor des Berkman Center for Internet and Society, skizzierte den kollaborativen, auf externes Potenzial zu greifenden Produktionsprozess zu einem Muss der Wissensökonomie. Die Geschwindigkeit der Innovationszyklen mache einen kontinuierlichen Erfolg, der allein aus Bordmitteln und in klassischen Hierarchien bestritten werde, praktisch unmöglich. Ein Unternehmen wie General Motors sei zwar nicht ernsthaft bedroht, da "die Leute sich am Wochenende eben einfach nicht treffen, um ein Auto zu bauen". Im Bereich der Kultur suchten und fänden dagegen Künstler und die manchmal noch belächelten "Amateure" immer mehr den Weg zum Kunden und zum finanziellen Auskommen.
Benkler nannte zahlreiche Beispiele, etwa die Website "Daily Prophet" der Schülerin Meg Lawver, die aus dem Kampf gegen Warner Brothers als Berühmtheit hervorging und die Seite nun weiter entwickelt. Lawver hatte Artikel von Harry-Potter-Fans für das erscheinende Revolverblatt Daily Prophet gesammelt und war von dem Filmriesen abgemahnt worden. Als besonders erfolgreichen "Webmusiker" nannte Benkler den US-Amerikaner Jonathan Coulton. Das Erfolgskonzept der neuen Web-Unternehmen sei dabei die Zusammenarbeit der Vielen. Partizipation sorge nicht nur für Innovationen, sondern mache auch Spaß.
"Karaoke ist nicht so gut wie ein professionelles Konzert, aber die Leute wollen doch eher selbst etwas tun als nur im Konzert zu sitzen und zuhören", sagte Ito. Teilweise habe die Industrie das Prinzip des partizipativen Produktionsprozesses bereits erkannt und vereinzelt Veränderungen gewagt. Anreize für das Arbeiten im Team innerhalb des Unternehmens und das Outsourcing von Entwicklungsarbeiten seien dafür Beispiele. Allerdings fürchteten viele klassische Unternehmen den Verlust von Kontrolle.
Tiemann, verantwortlich für das Vorzeigebeispiel fürs partizipative Produzieren in der Open-Source Software-Branche, kritisierte dann die Musikindustrie doch noch heftig. "Einige wollen aus Angst vor dem Sterben die Geburt opfern", sagte Tiemann. Er verglich die Musikindustrie mit der Softwareindustrie, gegen die er sich mit der Gründung des ersten Open-Source-Unternehmens Cygnus Solutions 1989 gewandt habe. Seine Aktivität als GNU++-Autor und Cygnus-Gründer sei das Ergebnis der Erfahrung, dass eine von ihm entworfene Software von seiner Unternehmensleitung zwar gelobt, aber weder zur Anwendung kam noch weiterentwickelt wurde. "Niemals mehr werde ich an eine Software, die ich geschrieben haben, nicht erneut herangehen können, weil ich meine Rechte abgegeben habe."
Als weiteres erfolgreiches Projekt kollaborativer Kreativität präsentierte Tim Pritlove, Organisator des Chaos Communication Congress und des Camps, den deutschen Hackerclub. Die Hacker würden angerufen, wenn es um die wirklich schwierigen Fragen gehe, sagte er und kündigte die Wiederauflage der Berliner Blinkenlights an, der Installation eines interaktiven Displays am Haus des Lehrers vor einigen Jahren. Demnächst soll sie in der erwürdigen Cityhall von Toronto installiert werden. (Monika Ermert) / (anw)