Auf Sebnitzer Homepage tobt die Schlammschlacht

Die Gästebuch-Einträge im Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod des kleinen Joseph gehen in die Zehntausende und nehmen stündlich zu.

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Von
  • Wolfgang Stieler

Sachsens Staatsschützer lesen mit. Bei der Auswertung des Internet-Gästebuches der Stadt Sebnitz nach Straftatbeständen werden sie möglicherweise eine Menge zu tun haben: Die Einträge im Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod des kleinen Joseph gehen in die Zehntausende und nehmen stündlich zu.

Die Palette umfasst nahezu alles – vom Aufruf zur Gewalt über Schmähungen bis hin zur Beleidigung. Allerdings melden sich auch besonnene Stimmen zu Wort.

Da wird unverhohlen zum Mord gegen die Familie von Joseph aufgerufen. Und Ost- und Westdeutsche zerfleischen einander auf kaum vorstellbare Weise, beschimpfen sich gegenseitig als Schweine. "Honecker hatte recht! Die Mauer war in der Tat ein 'antifaschistischer Schutzwall'. Sie hat die Westdeutschen vor den Nazis geschützt", meint ein Schreiber – Absender in Westdeutschland? Marcel aus Frankfurt am Main schreibt: "Man kann sich für die Ossis nur schämen. Mein Vorschlag: Mauer hoch, eine Hälfte der Zone als Parkplatz, der Rest als Müllhalde und Ossi-Knast."

"Ihr im Osten habt echt alle 'nen kompletten Sockenschuss", meint Andre aus Mannheim. Die Antwort aus dem Osten an den Mannheimer lässt nicht lange auf sich warten: "Dein schönes Baden-Württemberg steht an zweiter Stelle der offiziellen Statistik antisemitischer Straftaten – weit vor den ostdeutschen Bundesländern."

Auf den Vorwurf, der gesamte Osten sei ein brauner Sumpf, bewohnt von "sowjetzonalem Spießerpack", antwortet ein Dresdner: "Will man denn im Westen behaupten, dass es dort keine Neonazis gibt? Dort laufen ja zum Teil noch die alten rum." Jemand aus Binz auf Rügen fragt entgeistert in Richtung Westen: "Was haben wir euch getan?"

Seit der Wende im Fall Joseph mehren sich jedoch auch Eintragungen, die Abbitte tun für die Verurteilung einer ganzen Stadt. "Odin" aus Duisburg entschuldigt sich für die "hirntoten Kommentare" vieler westdeutscher Landsleute. Auch Ralf aus Franken "verurteilt die Hetze". Ein "Optimist aus Berlin" macht den Einwohnern der Stadt Mut: "Sebnitz - Deine Blumen werden wieder blühen!"

Zu den besonnenen Stimmen gehört auch eine Angie aus Berlin, wobei sie offen lässt, ob sie im Ost- oder Westteil der Stadt zu Hause ist: "Ich finde es beschämend, welche Stimmen und Meinungen hier zu Wort kommen. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen, dass die Mauer weg ist und doch besteht immer noch bei vielen Leuten eine Mauer im Kopf."

Weil das Internet ein Spiegel der Gesellschaft sei, empfiehlt ein Münchner, aus dem virtuellen Gästebuch ein richtiges Buch als Dokument unserer Zeit zu machen. Eine Ausländerin, die nicht ihren Namen nennt, stellte nach der Lektüre fassungslos fest: "Wenn ich die Einträge in diesem Forum lese, wird mir Angst und Bange. Hass auf Ausländer, Hass auf Inländer (Ossis), Hass auf die Familie des toten Kindes. Und kein bisschen kühler Kopf und Zurückhaltung...Da kann ich nur sagen: die Ausländer im Ausland – wie ich – können von Glück reden, dass sie nicht in Deutschland leben müssen." (Peter Dietrich, dpa)

Siehe auch Telepolis: Das Gästebuch von Sebnitz.de (wst)