Auswanderer: Die Besten verlassen Deutschland
Pro Jahr verliert Deutschland 30.000 hochqualifizierte Fachkräfte. Nicht schlimm, meinen die einen, weil die meisten zurückkommen. Andere sehen ein Problem.
Deutschland laufen hochqualifizierte Fachkräfte davon. Innerhalb des vergangenen Jahrzehnts waren es durchschnittlich und jährlich rund 180.000 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Etwa 130.000 kehrten wieder zurück. Netto gehen damit in jedem Jahr 50.000 Bürger verloren. Das sind Zahlen einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, kurz BiB.
Wer geht, wer kommt zurĂĽck?
"Durch intensive Forschung wissen wir, wie viele Menschen jährlich auswandern. Wir wissen aber wenig über die Sozialstruktur der Auswanderer", sagt Nils Witte, Wissenschaftler am BiB und Mitarbeiter an der Studie. In der wurde untersucht: Wer geht, wer kommt zurück und warum überhaupt verlassen Menschen Deutschland? Bei einem so hohen Bedarf an Fachkräften könnte das ein großes Problem sein.
Für die Studie hat das BiB in Wiesbaden in Kooperation mit dem Institut für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen gut 10.000 deutsche Staatsbürger im Alter zwischen 20 und 70 Jahren befragt, die zwischen Juli 2017 und Juni 2018 ins Ausland gezogen oder nach Deutschland zurückgekehrt sind.
Wir Deutschen sind der Studie zufolge international eine vergleichsweise mobile Bevölkerung: Die Auswanderungsrate von 5,1 Prozent ist höher als in vielen anderen Industrienationen, etwa der von US-Amerikanern mit 0,7 Prozent. Insgesamt leben gegenwärtig etwa vier Millionen Deutsche im Ausland, mit einem Anteil von zwei Dritteln die meisten aber nur temporär.
Auswanderer höher qualifiziert
Aus- und Rückwanderer sind im Durchschnitt 36 Jahre und damit zehn Jahre jünger als die Gesamtbevölkerung. Von der hat rund ein Viertel einen Hochschulabschluss, bei den Auswanderern sind es dagegen drei Viertel. Auswanderer sind damit überproportional hoch qualifiziert.
"Dank der Studie können wir nun erstmals Aussagen über die Qualifikationsstruktur deutscher Auswanderer treffen. Wir kennen ihre Bildungsabschlüsse und ihre Berufe. Welche Fächer die Auswanderer studiert haben, wissen wir aber nicht“, sagt Witte. Die Entscheidung, das Land für längere Zeit zu verlassen, geht meistens auf mehrere Gründe zurück, wobei der Beruf eine zentrale Rolle spielt. Knapp 60 Prozent nennen eigene berufliche Anreize bei der Entscheidung für ein Leben im Ausland, weitere etwa 30 Prozent geben den Beruf des Partners oder der Partnerin an. Nur ein knappes Fünftel gab Unzufriedenheit in Deutschland als Grund fürs Auswandern an.
Auswandern lohnt sich außerdem finanziell, denn der monatliche Nettoverdienst steigt sofort um fast 1.200 Euro an. Die Schweiz ist mit einem Anteil von 13 Prozent das wichtigste Zielland von deutschen Auswanderern. Dann folgen Österreich mit 8 und die USA mit 7 Prozent. "Auswanderer bevorzugen Länder mit geringen Sprachbarrieren. Deshalb sind unsere beiden Nachbarländer und die englischsprachige USA so beliebt", sagt Witte. Seiner Meinung nach führt Auswanderung nicht zu einem Braindrain, also einem Verlust von Fachkräften, weil die meisten Auslandsaufenthalte zeitlich befristet sind und die Qualifikation der Auswanderer und Rückkehrer sehr ähnlich ist. "Die Besten gehen, es kommen aber auch die Besten zurück", sagt Witte.
Braindrain – ja oder nein?
Für Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel liegt dagegen ganz klar ein Braindrain vor, weil "wir in zehn Jahren eine halbe Million Leistungsträger verlieren". Für eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die stark auf gut ausgebildete Menschen angewiesen ist, sei das keine gute Nachricht. "Ausländische Einwanderer können das Minus nicht komplett ausgleichen, weil sie oft nicht ausreichend qualifiziert sind, es sprachliche und kulturelle Barrieren gibt, und sie vor allem selber häufig nach kurzem Aufenthalt wieder in ihre Heimatländer zurückgehen", sagt Felbermayr. Das gelte vor allem für Hochqualifizierte.
Die verlassen seiner Meinung nach Deutschland, weil in der Schweiz oder in den USA die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten besser sind. "Im internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte spielen Nettolöhne und damit Steuern und Sozialabgaben eine wesentliche Rolle", sagt Felbermayr. Hohe Steuern würden zwar vieles ermöglichen, etwa eine gute Infrastruktur, aber Deutschland eben auch unattraktiv für Leistungsträger machen. Umgekehrt wird der Standort genau für jene Migranten attraktiv, die im unteren Lohnsegment tätig werden.
Für Felbermayr muss Deutschland attraktiver werden, damit hochqualifizierte Zuwanderer aus anderen Industrieländern wie der Schweiz oder den USA kommen. "Dies könnte zum Beispiel durch steuerliche Vorteile in den Anfangsjahren erfolgen, wie das in Skandinavien der Fall ist." In Deutschland sind Steuern und Abgaben hoch, Nettolöhne für Hochqualifizierte im Vergleich zu anderen Ländern aber relativ gering.
Gegen die sogenannte Brain-Circulation hat Felbermayr nichts einzuwenden, "im Gegenteil, der laufende Austausch von Arbeitskräften ist höchst sinnvoll". Was uns zu denken geben solle, sei der Aderlass an hochqualifizierten Fachkräften.
Mehr Fachkräfte nötig
Werden Zuzug und Abwanderung gegeneinander aufgerechnet, ist laut Statistischem Bundesamt die Bevölkerung Deutschlands 2018 um rund 400.000 Einwohner gewachsen. 1,2 Millionen Menschen gingen ins Ausland, 1,6 Millionen kam nach Deutschland, 90 Prozent der Zuwanderer hatten keine deutsche Staatsbürgerschaft. Derzeit arbeiteten zugewanderte Migranten vergleichsweise häufig in Hilfspositionen. Anstellungen als Fachkraft oder Spezialistin sind laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge seltener.
Um mehr Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen, ist deshalb zum 1. März ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten. Als Fachkräfte gelten sowohl Akademiker mit einem in Deutschland anerkannten Hochschulabschluss als auch Arbeitskräfte mit einer qualifizierten, in Deutschland anerkannten Berufsausbildung. Nach Schätzung der Bundesregierung werden durch die neuen Regeln pro Jahr etwa 25.000 Fachkräfte zusätzlich nach Deutschland kommen. Bisher prüfte die Bundesagentur für Arbeit, ob es für eine Stelle passende Bewerber aus Deutschland oder der EU gibt, bevor ein Unternehmen eine Fachkraft aus einem anderen Land einstellen durfte. Diese Vorrangprüfung entfällt nun.
Da IT-Spezialisten besonders begehrt sind, gibt es für sie eine Sonderregelung: Sie dürfen auch ohne Ausbildung einreisen – vorausgesetzt, sie können nachweisen, dass sie im Ausland schon mindestens drei Jahre in der IT gearbeitet und ein Gehalt von mindestens 4020 Euro monatlich haben.
Ob das neue Gesetzt bringt, was es soll, wird die Zeit zeigen.
(mho)