Auswandern oder Abwarten? Unsichere Zukunft für deutsche Freelancer

Rentenpflicht und Scheinselbstständigkeit treiben Freiberufler um. Auf der Freelance-Unlocked-Konferenz wurde deutlich: Die Pläne der Regierung sind zu vage.

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Teilnehmer der Freelance Unlocked

Die aktuellen Pläne der Bundesregierung in puncto Versicherungspflicht für Selbstständige stießen auf ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Viel klüger wurde man allerdings nicht.

(Bild: Freelance Unlocked)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Nicolas Kopp
Inhaltsverzeichnis

Die Bundesregierung plant, Selbständige künftig in die gesetzliche Rentenversicherung mit einzubeziehen. So viel stehe schon mal fest, erklärte Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, auf der Konferenz Freelance Unlocked in Berlin. Nur das "wie genau" und "wann" blieb sein Vortrag schuldig: Schmachtenberg konnte letztlich wenig konkrete Antworten liefern, was denn nun genau auf die Freelancer in Deutschland zukommt.

Phasenweise wirkte der Vortrag des Staatssekretärs wie ein Sales-Pitch für die gesetzliche Rente. Doch auf Nachfrage aus dem Publikum, ob das Problem der Scheinselbständigkeit durch die Einbeziehung in die Rentenversicherung denn dann vom Tisch wäre, räumte Schmachtenberg ein, dass man hier lediglich von einer Abmilderung des Problems sprechen könne.

Dr. Rolf Schmachtenberg ging zunächst auf den aktuellen Stand der Pläne der Bundesregierung ein und verdeutliche den Status eines lebenden Dokuments anhand der Unterschiede zwischen den Legislaturperioden.

(Bild: Freelance Unlocked)

Selbstständige müssten demnach weiterhin mit Unsicherheiten leben, auch wenn die Einbeziehung in die Rentenversicherung durchaus einen gewissen Schutz bieten könne. Das geladene Publikum, welches überwiegend aus Solo-Selbstständigen bestand, schien hierbei einer grundsätzlichen Rentenpflicht durchaus nicht abgeneigt gegenüberzustehen – so lange im Gegenangebot hierfür Rechtssicherheit und ein gewisser Spielraum bei der konkreten Ausgestaltung der Rente gewährleistet wären. "Eigentlich erfüllt nur die Rürup-Rente die aktuellen Anforderungen der Politik", führte Schmachtenberg dahingehend aus. Gewisse Anpassungen innerhalb dieses Modells hingegen seien dann selbstverständlich möglich.

Einen Hoffnungsschimmer für Freiberufler hingegen bot das politische Panel zur Scheinselbständigkeit und der Zukunft des Freelancings in Deutschland. Jens Teutrine (FDP), Marc Biadacz (CDU) und Dr. Andreas Lutz vom Verband der Gründer und Selbständigen Deutschland (VGSD) diskutierten über die Herausforderungen und Chancen für Freelancer. Das diskussionsfreudige Panel ging aufeinander zu und endete schließlich mit einer Einladung in den Bundestag.

Das politische Panel zur Scheinselbstständigkeit sorgte für volle Stuhlreihen und das hohe Interesse wurde prompt genutzt, um ein paar statistische Auswertungen direkt am Publikum vorzunehmen.

(Bild: Freelance Unlocked)

Jens Teutrine kritisierte zunächst, dass Selbstständige in Deutschland als "Arbeiter zweiter Klasse" behandelt würden und das Land zu sehr auf Angestelltenverhältnisse fokussiert sei. Dr. Andreas Lutz betonte als Sprachrohr der Konferenzteilnehmer zusätzlich die dringende Notwendigkeit von Rechtssicherheit für Freelancer. Marc Biadacz ließ die Chance auf themenbezogene Wortbeiträge zunächst streckenweise ungenutzt, erkannte aber schließlich, dass aktives Zuhören die an dieser Stelle notwendige Strategie der Politik sein müsse. Schließlich sprach er eine parteiübergreifende Einladung an die Freelancer aus, in den Bundestag zu kommen und den Politikern ihren Arbeitsalltag zu erklären. Viele Abgeordnete seien zu weit vom Thema entfernt, um fundierte Entscheidungen zu treffen.

Die Diskussion verdeutlichte in erster Linie, dass es in der Politik noch viel Unklarheit und Nachholbedarf bezüglich der Bedürfnisse und Herausforderungen von (Solo-)Selbstständigen gibt – ein Nachholbedarf, der auch reichlich und aktiv genutzt wurde, um Stimmungsbilder des Publikums einzuholen. Auf Biadaczs Frage ins Publikum, wer aufgrund der politischen Lage Deutschland als unattraktiver als das Ausland empfindet, und die daraufhin zahlreichen Handmeldungen, zeigte er sich sichtlich überrascht und betroffen. Teutrine appellierte zusätzlich: "Schreibt euren Abgeordneten. Schreibt denen, was ihr tut und was euch wichtig ist. Die haben keine Ahnung, ihr müsst denen das erklären."

Zusätzlich zu den politischen Diskussionen bot die erstmalig ausgerichtete Konferenz mit starkem Tech-Fokus einen umfassenden Einblick in aktuelle Themen und Herausforderungen, denen sich Selbstständige gegenübersehen. Ein positives Echo fanden unter anderem die Beiträge von Jon Younger, der gleich in mehreren Beiträgen über die globale Freelancing-Wirtschaft und die Rolle von Plattformen sprach, sowie Matthew Mottola, dessen Keynote die Teilnehmer mit einem geschulten Blick in die Zukunft des freiberuflichen Daseins auf die Konferenz einzustimmen vermochte.

Natürlich durfte auch das Thema KI (hier mit einem Beitrag von Alessandro Pedori) nicht fehlen: Die zweitägige Konferenz war als Multitrack-Veranstaltung ausgelegt und im Regelfall liefen drei Vorträge parallel.

(Bild: Freelance Unlocked)

Dr. Benno Grunewald, der seit über 25 Jahren die rechtlichen Aspekte der Selbstständigkeit beleuchtet, ergänzte die politischen Ausführungen mit seinem Fachvortrag. Marco Wilde, Business Developer im Bereich Innovation und Digitalisierung bei Airbus, ließ sich spontan zu einem Vortrag über die Kundensicht und die Herausforderungen großer Konzerne beim Einsatz von Freelancern hinreißen, was auf großes Interesse stieß.

Thomas Marbella rundete die Konferenz mit seinem Vortrag schließlich auf einer hoffnungsvollen Note ab und zeigte Strategien und Wege auf, wie Freiberufler auch in schwierigen Zeiten erfolgreich Kunden gewinnen können. Die zweitägige Konferenz konnte insgesamt mit über 50 Sprechern und einer hohen Informationsdichte aufwarten. "Eine Wiederholung ist fest eingeplant", führt Manuel Meurer, Mitinitiator der Konferenz, sichtlich zufrieden aus.

(fo)