BND-Massenüberwachung: Schwarz-Rot will nur die Kontrolle stärken

Die große Koalition billigt den Regierungsentwurf weitgehend, wonach der BND global bis zu 30 Prozent aller Netze hacken und Bundestrojaner nutzen dürfen soll.

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(Bild: bluesroad/Shutterstock.com)

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Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD sehen beim umstrittenen Gesetzentwurf des Bundeskabinetts zur erneuten Reform der Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Kern nur noch an einem Punkt Nachbesserungsbedarf: Die parlamentarische Kontrolle des Auslandsgeheimdienstes soll eindeutig Vorrang haben vor einem neuen, allerdings der Regierung zugeordneten "unabhängigen Kontrollrat".

Laut der Initiative der Exekutive soll dem BND vor allem diese Aufsichtsbehörde mit 62 Mitarbeitern auf die Finger schauen und gerichtsähnliche Entscheidungen treffen. Der Rat kann dem Plan nach etwa Maßnahmen zur individuellen und zur massenhaften Überwachung schon im Vollzug der Anordnung durch die Spitze des Geheimdienstes sowie Suchmerkmale für die strategische Fernmeldeaufklärung prüfen.

Das bereits bestehende, momentan aus neun Abgeordneten bestehende Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) müsse aber "Primus inter Pares sein", Vorrang gegenüber dem Rat haben und aufgewertet werden, betonte der PKGr-Vorsitzende Roderich Kiesewetter am Freitag bei der 1. Lesung der geplanten Novelle im Bundestag. Die Zusammensetzung der Aufsichtsinstanz der Exekutive sollte zumindest vom Parlament mitbestimmt werden. Dieses sollte laut dem CDU-Politiker auch auf die Geschäftsordnung des Rates Einfluss nehmen können.

Ein gerichtsähnliches Kontrollorgan sei gut, es müsse aber "in enger Abstimmung mit der parlamentarischen Kontrolle arbeiten", ergänzte Volker Ullrich (CSU). Die SPD sehe Defizite beim PKGr, erklärte der Sozialdemokrat Uli Grötsch. Es müsse gestärkt und der Austausch mit der G10-Kommission verbessert werden, die über Abhörmaßnahmen im Bereich des Fernmeldegeheimnisses entscheidet.

Anlass für die Reform ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur verdachtsunabhängigen Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes in Form der strategischen Fernmeldeaufklärung. Die Karlsruher Richter erklärten damit den dafür eingesetzten Datenstaubsauger für verfassungswidrig. Sie stellten fest, dass sich der Schutz der Grundrechte nicht auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt.

"Der BND ist ein essenzieller Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur", begründete Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) nun das Vorhaben der Bundesregierung, an dem umstrittenen Instrument zur Massenüberwachung prinzipiell festzuhalten. "Wir müssen entscheiden in internationalen Konflikten, ob und wie wir Partei ergreifen." Dies sei etwa angesichts von Falschnachrichten und Desinformationskampagnen eine Herausforderung. Dazu kämen etwa Terrorismus und Cyberangriffe gegen Infrastrukturen oder Krankenhäuser.

Mit dem Entwurf soll der BND nun selbst eine breite offizielle Lizenz zum Hacken etwa von "ausländischen Vermittlungsanlagen, Telekommunikationsinfrastruktur" oder vergleichbaren IT-Systemen von Providern erhalten. Die Regierung will die deutschen Spione ferner zum Einsatz des Bundestrojaners ermächtigen. Mit dem Datenstaubsauger dürften sie bis zu 30 Prozent aller Netze weltweit strategisch durchrastern. Braun sprach von "ausgewogenen Regelungen", mit denen der BND "klaren rechtsstaatlichen Grenzen" unterliege.

Kiesewetter bezeichnete das Papier als "sehr gute Grundlage" für die weitere parlamentarische Arbeit. Grötsch sieht darin dagegen "nicht den großen Wurf". Zumindest könnten so aber die Vorgaben aus Karlsruhe eingehalten werden. Der BND müsse auf der Höhe der Zeit sein, denn "die Terroristen schlafen nicht". Der SPD-Politiker zeigte sich erleichtert, dass mit dem Urteil vom BND ausgeübte weitgehende Überwachungspraktiken entlang der Weltraum- oder Funktionsträgertheorie vom Tisch seien. Es sei "ein für alle Mal geklärt", dass Grundrechte nicht nur für Deutsche gälten. Sein Parteikollege Thomas Hitschler warf die Frage auf, ob der Schutz von Journalisten vor BND-Bespitzelung ausreiche.

"Was Sie versuchen, halte ich für riskant", ließ Stephan Thomae (FDP) die Koalition wissen. Geplant sei eine "Eins-zu-Eins-Umsetzung" der Ansage des Bundesverfassungsgerichts, "die keinen Deut mehr gibt". Wenn auch nur ein Punkt bei "0,9" bleibe, sei die nächste Klage programmiert. "Ein gutes Pferd springt weiter, wenn es scharf am Zügel geführt wird", warb auch der Liberale für eine stärkere BND-Kontrolle. Es fehle ein "Generalanwalt", der die Betroffenenrechte hochhalte. Nötig sei ein Beauftragter für alle Geheimdienste.

"Anlasslose Massenüberwachung war und ist verfassungswidrig", hob André Hahn für die Linke hervor. Den Entwurf habe die Regierung so zurechtgezimmert, dass dem BND all das erlaubt werde, "was er schon getan hat". Die Agenten könnten so mit staatlichem Hacking "in Systeme von Google, Facebook oder Apple eindringen" und am Frankfurter Netzknoten De-Cix sämtliche Kommunikation erfassen. Ein "klarer Affront für die Karlsruher Richter" sei, dass Operationen wie "Monkeyshoulder", die der Geheimdienst allein oder im Verbund mit Dritten durchführe, "völlig ohne Kontrolle" blieben.

Der Grüne Konstantin von Notz beklagte ebenfalls die "Verrechtsstaatlichung einer Praxis", die der BND rechtswidrig durchgeführt habe. Edward Snowden habe aufgedeckt, dass der Geheimdienst in einem weltumspannenden Überwachungssystem die "Rechte von Millionen Menschen im In- und Ausland über Jahre lang verletzt" und etwa mit der Weltraumtheorie "scheinlegitimiert" habe. Er warb nun dafür bei der Kontrolle über den BND durch das Parlament einen "rechtsstaatlichen Goldstandard" zu setzen, "den wir fürs digitale Zeitalter brauchen".

Das vorgelegte Bürokratiemonster sei zum Scheitern verurteilt, gab Christian Wirth (AfD) zu bedenken. Der BND werde damit "klassisch abgegrätscht". Es sei nicht nachvollziehbar, dass "unser Grundgesetz" auf der ganzen Welt gelten solle. Selbst wenn deutsche Soldaten unter Taliban-Feuer lägen, müsse ein Abhören so erst von einem Kontrollorgan überprüft werden.

(bme)