Geheimakte BND & NSA: Bad Aibling und die "Weltraumtheorie"

Der BND fängt über seine Außenstelle in Bad Aibling Kommunikation ab, die über Satelliten geleitet wird. Damit er die möglichst frei durchsuchen und weitergegeben werden darf, haben sich die Verantwortlichen eine Theorie zurechtgelegt – trotz Protestchen.

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Geheimakte BND & NSA: Bad Aibling und die "Weltraumtheorie"
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Inhaltsverzeichnis

Die Zuhörer trauten ihren Ohren zunächst kaum, als sie die als "Frau Dr. F." eingeführte Datenschutzbeauftragte des Bundesnachrichtendiensts Anfang Oktober 2014 im NSA-Untersuchungsauschuss in die unermesslichen Weiten der "Weltraumtheorie" einführte. Sie berate die Hausleitung datenschutzrechtlich, werde dabei aber auch manchmal "überstimmt", erklärte die Juristin. Dies sei etwa passiert, als es um die Rechtsgrundlage für die massenhafte Erfassung von Daten über Satellitenstellen beim BND-Horchposten in Bad Aibling ging.

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Geheimakte NSA-Ausschuss

Der NSA-Ausschuss des Bundestags beleuchtet seit 2014 die Ăśberwachungspraxis vor allem der deutschen Geheimdienste und macht dabei auch die Verschleierungsversuche der Regierung deutlich. heise online blickt in einer ausfĂĽhrlichen Serie zurĂĽck.

Die einzelnen Kapitel erscheinen im Wochenrhythmus und zwar in der folgenden Gliederung:

Diese Informationserhebung erfolge ihrem Verständnis nach mit einem klaren Inlandsbezug im Geltungsbereich des Geheimdienstes und müsse daher im Einklang mit den Vorgaben aus dem BND-Gesetz erfolgen, konstatierte die Zeugin. Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler habe sich aber entschieden, eine abweichende Auffassung zu vertreten. Da in Bad Aibling Datenströme aus der Satellitenerfassung etwa aus Afghanistan zusammenliefen, sei der damalige Behördenchef ihrer Meinung nicht gefolgt, erläuterte F. den gravierenden Disput.

Was sich zunächst nach einem rein formaljuristischen Streit anhört, hat es in sich. Hinter der Linie der BND-Führung steht die von Winkeladvokaten des Auslandsgeheimdienstes im Kern erst nach den Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 entworfene "Weltraumtheorie". Sie besagt, dass die Erfassung von über Satelliten laufender Kommunikation an der Außenstelle in Bad Aibling nicht auf bayerischem Grund und Boden stattfindet, sondern allenfalls im Ausland beziehungsweise letztlich auf den Erdtrabanten im All und damit in einem weitgehend rechtsfreien Raum, in den das Grundgesetz nicht hineinreicht.

Bad Aibling ist nicht irgendein BND-Dienstsitz, sondern neben der von Pullach nach Berlin ziehenden Zentrale eine der wichtigsten Schaltstellen der Behörde. Bis 2014 versuchte sich der Posten nach außen hin als "Einheit der Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr" zu tarnen, obwohl seine auffälligen weißen Radome für die Erfassung von Satellitenverkehren schon von Weitem gut sichtbar sind. Die Dienstelle befindet sich auf dem Gelände der Mangfall-Kaserne der oberbayerischen Stadt, direkt neben einem ehemaligen US-amerikanischen Militärstützpunkt, der als "Bad Aibling Station" bekannt war.

Nach Abzug der US-Streitkräfte übernahm der BND 2004 einen Teil der Abhörstation der NSA offiziell. Bereits am 28. April 2002 hatten der deutsche Auslandsgeheimdienst und sein US-Partner eine Kooperationsübereinkunft für Bad Aibling gefasst, die in der Regel als "Memorandum of Agreement" (MoA) oder "Memorandum of Understanding" (MoU) bezeichnet wird. Die Inhalte der Absprachen und ihre später ausgearbeiteten Anhänge sind geheim.

Aus den Snowden-Dokumenten geht hervor, dass in Bad Aibling allein im Dezember 2012 rund 500 Millionen Verbindungsdaten aus der abgehörten Satellitenkommunikation aufliefen und der BND diese zu einem großen Teil an die NSA weitergab. Einem Bericht von Zeit Online vom Mai 2015 zufolge soll die Spionagebehörde sogar 1,3 Milliarden abgegriffene Verbindungsdaten pro Monat direkt an die NSA transferieren.

R. U.

(Bild: Stella Schiffczyk )

Der Leiter der Außenstelle, der nur seine Initialen R. U. mitteilte, gab erstmals im September 2014 den Abgeordneten spärliche Einblicke in die Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten. 120 Mitarbeiter arbeiten demnach dort mit dem Schwerpunkt Fernmeldeüberwachung alias "Technische Aufklärung".

Daten, die in der BND-Niederlassung ausgewertet werden, stammen laut R. U. vor allem aus der Satellitenkommunikation "in Krisengebieten" wie Afghanistan. Dabei richte man sich nach dem geheimen "Auftragsprofil der Bundesregierung" etwa zum Schutz deutscher Truppen. Bezogen auf den gesamten Satellitenverkehr, der von Bad Aibling aus rein theoretisch erfassbar wäre, handle es sich um Mengen im Promillebereich. Eine komplette Aufzeichnung der Telekommunikation mit Satelliten-Handys fände auch in Afghanistan nicht statt. Internetdaten kämen dazu, wobei sich der Zeuge hier aber sehr bedeckt hielt. Insgesamt war von ihm häufig zu hören: "Meine Aussagegenehmigung gibt das nicht her."

Inhaltsdaten aus dem Internetbereich werden laut dem Geheimdienstvertreter "nach wenigen Tagen überschrieben". Sollte sich eine Kommunikation auf Terrorverdächtige beziehen, werde diese "ein bis zwei Jahre" in einem BND-System in Pullach gespeichert. In Echtzeit gelangten keine abgehörten Informationen auf die Rechner der Analysten, vielmehr vergingen bis dahin einige Stunden.

Das MoU bezeichnete R. U. als eine Art Rechtsgrundlage für den Datentransfer an die NSA. Bis 2012 habe die NSA auch noch eine gemeinsam eingerichtete Verbindungsstelle in Form einer "Joint Signal Activity" (JSA) in Bad Aibling betrieben. Diese sei dann aber aus finanziellen Gründen aufgelöst worden. Nach wie vor besteht als Übergabepunkt aber ein Joint Analysis Center (JAC).

Frühere US-Geheimdienstler hatten den BND im Juli 2014 vor dem Ausschuss als "Wurmfortsatz" der NSA bezeichnet, der ausdrücklich eine Überwachung auch deutscher Bürger zugelassen habe. Zugriffsmöglichkeiten auf hiesige Glasfaserleitungen seien Teil der Übereinkunft mit dem "großen Bruder". R. U. betonte dagegen, dass Bad Aibling "keine Zweigstelle der NSA" sei.

Satellitenaufklärung sei technisch komplex, führte der Zeuge aus, was schon bei der richtigen Antennenausrichtung anfinge. Die Auswertung werde allein von BND-Mitarbeitern in einem "abgeschirmten Netzwerk" betrieben. Einen wechselseitigen Zugriff auf die Datenbestände gebe nicht. Es würden aber nach deutschen Vorschriften gefilterte Informationen an den US-Partner weitergeben.

Die Arbeit in Bad Aibling dürfe keineswegs auf das NSA-Analyseprogramm XKeyscore reduziert werden, das die dort beschäftigten Aufklärer aber einsetzten, gab R. U. zu Protokoll. Die Software werde für eine erste Analyse von Internetdaten genutzt. Analysten machten damit die eingeflossenen Netzinformationen für sich "lesbar". Sie könnten so etwa herausfinden, "ob Inhaltsdaten drin sind, die für uns relevant sind". Man müsse aber "viel nachdenken", um das Werkzeug "effizient nutzen zu können". Von sich aus enthalte XKeyscore wenig intuitive, intelligente Funktionen. Der BND könne ein solch komplexes System aufgrund seiner beschränkten Ressourcen nicht herstellen. Man sei aber etwa in der Lage, XKeyscore selbst auf einem Rechner zu installieren. Updates lieferten nach wie vor "die Amerikaner".

Der langjährige Chef des Bundeskanzleramts, Frank-Walter Steinmeier, stellte sich im März 2016 bei seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss hinter die Absprachen mit der NSA zur Zusammenarbeit in Bad Aibling. Er habe das MoU nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit abgesegnet, berichtete der jetzige Bundespräsident. Es sei dabei vor allem darum gegangen, die einstige NSA-Abhörstation in Bad Aibling weiter zu nutzen. Berichten, dass diese ins Spionagenetzwerk Echelon eingebunden gewesen und auch zur Industriespionage missbraucht worden sein soll, "sind wir nachgegangen", meinte der SPD-Politiker. "Uns wurde von Seiten der USA versichert, dass sie nur zur Auslandsaufklärung eingesetzt wird". Andere "belastbaren Erkenntnisse" habe die Bundesregierung nicht besessen.

Der "bindende Vertrag" enthalte "feste Parameter", wonach bei dem Horchposten der BND die volle Kontrolle haben, völlige Transparenz herrschen und das hiesige Recht voll beachtet werden müsse, konstatierte der Chefdiplomat. Es habe "keinen Souveränitätsrabatt für die USA" und keinen "Freifahrtschein für die NSA" gegeben, "in Deutschland Daten über Deutsche zu erfassen". Es sei darum gegangen, "Auslandsaufklärung in den Herkunftsländern des Terrorismus" wie Afghanistan zu betreiben und später auch die Truppensicherheit dort zu verstärken. Ein sogenannter Ringtausch zwischen Geheimdiensten verschiedener westlicher Länder, mit dem restriktive nationale Schutzvorschriften umgangen werden könnten, "war explizit verboten".

Die Atmosphäre sei damals gerade im Zusammenhang mit der "Hamburger Zelle" der Attentäter vom 11. September von Furcht geprägt gewesen, warb Steinmeier für Verständnis. Es habe die Erwartung geherrscht, "größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten mithilfe aller erreichbaren Information". Dabei habe man aber mit der Vereinbarung "die richtige Balance gewahrt". Der Rechtsstaat sei nicht vom Sicherheitsstaat "usurpiert" worden. Ohne Austausch mit anderen Geheimdiensten wäre es zudem gar nicht möglich, beispielsweise Waffenstillstände auszuhandeln oder zu prüfen, ob diese eingehalten würden.

Nachdem die Bedeutung von Bad Aibling für den BND und die NSA umrissen ist, lässt sich die Funktion der Weltraumtheorie besser einordnen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst nutzt den Posten als zentrale Schnittstelle zu dem US-Partner und leitet darüber an ihn im großen Stil Telekommunikationsdaten weiter, ohne dies groß zu prüfen oder zu dokumentieren.

Spätestens im Lichte der Snowden-Enthüllungen und dem damit aufkeimenden Interesse des Parlaments an der Außenstelle brauchte der BND eine juristische Rechtfertigung für die seit Jahren gelebte Praxis. In einem "Kurzgutachten" lieferten BND-Fachleute diese in Form der Möchtegern-Theorie und machten sie nicht nur der Leitungsebene der Behörde schmackhaft, sondern auch der Aufsicht im Kanzleramt.

"Die These, dass wir direkt an Satelliten Informationen erheben, halte ich für zutreffend", konstatierte in diesem Sinne Werner Ader, Leiter des BND-Justiziariats, im November 2011 im NSA-Ausschuss. Obwohl in Bad Aibling "sehr anspruchsvolle Technik" nötig sei, um den teils nicht geostationären Satelliten überhaupt zu folgen und atmosphärische Störungen auszufiltern, halte er das Konstrukt "mitnichten" für abwegig. Er räumte aber ein, dass es sich nicht um eine "Theorie im naturwissenschaftlichen Sinn" handle.

"Das Thema Datenschutz ist nicht in allen Bereichen der Abteilung Technische Aufklärung im erforderlichen Maße präsent." BND-Datenschutzbeauftragte "Frau Dr. F."

Die Folgen der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen ihr und Ex-Präsident Schindler sowie Ader versuchte die Datenschutzexpertin der Behörde im Herbst 2014 zunächst kleinzureden. In der Praxis wirkten sich die divergierenden Einschätzungen "nicht so gravierend aus", meinte F. Unabhängig davon, ob man bei der Datenerfassung über Bad Aibling von einem Inlandsbezug ausgehe oder diese ins All verlagere, gälten für jegliche Verarbeitung personenbezogener Informationen allgemeine Vorgaben wie der Schutz der Menschenwürde, das Willkürverbot und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Auf Nachfragen der Abgeordneten räumte F. aber dann doch ein, dass sich das abweichende Rechtsverständnis vor allem bei Übermittlungen an ausländische Stellen wie die NSA durchaus auswirke. Hier gälten ihrer Auffassung nach laut BND-Gesetz die gleichen recht strengen Auflagen wie für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Demnach hat eine Weitergabe zu unterbleiben, "wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen". Ein Transfer ist aktenkundig zu machen, der Empfänger auf die Zweckbindung hinzuweisen. Dies würde F. zufolge eine Einzelfallprüfung verlangen, was die BND-Führung mit der Weltraumtheorie zu umgehen suche.

"Ich bin ĂĽberstimmt worden. ansonsten wĂĽrde es ja strengere Regeln geben." BND-Datenschutzbeauftragte "Frau Dr. F."

Ganz neu war die Weltraumtheorie nicht. Der BND habe schon seit Längerem "die Auffassung vertreten, aller nicht leitungsgebundene Fernmeldeverkehr sei 'offen', könne also einfach abgehört werden", schrieb der 2005 verstorbene Politikwissenschaftler und Bürgerrechtler Jürgen Seifert 2002. Das ehemalige Mitglied der G10-Prüfkommission des Bundestags verwies damit auf die schon damals genährte These vom "offenen Himmel", was sich erneut an eine Art rechtsfreien Raum erinnert.

Gerhard Schindler

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Schindler befand bei seiner zweiten Vernehmung im Juni 2015 daher, dass die Legenden vom offenen Himmel und vom Weltraum schier von Anbeginn an herrschende Meinung in der Behörde gewesen seien. Eigentlich hätte er sich die Frage nach deren Validität gar nicht stellen und kein Gutachten dafür in Auftrag geben müssen, erläuterte der damalige BND-Präsident. "Das wurde mir bei Dienstantritt so erklärt" und das werde dann ja wohl auch irgendjemand mal geprüft haben. Es habe sich um eine "gelebte Rechtsauffassung" gehandelt.

Die massiven Bedenken von F. habe er trotzdem "ganz gut" gefunden, erinnerte sich Schindler: "Ich war ihr sehr dankbar für ihre eigene Meinung. aber ich habe mich trotzdem anders entschieden." Schließlich gebe es auch gute Gründe für die Einschätzung, dass die Datenerhebung über Bad Aibling zumindest im Ausland und so "nicht im Geltungsbereich" deutscher Gesetze erfolge.

Volksvertreter sahen angesichts der BND-internen Auseinandersetzungen Nachbesserungsbedarf rund um die Datenschutzorganisation bei dem Geheimdienst. Die einschlägige Beauftragte müsse künftig für alle anfallenden personenbezogenen Informationen zuständig sein, befand der SPD-Obmann Christian Flisek. Ihr Schwerpunkt dürfe sich nicht nur auf Daten von Ausländern beziehen. Die Linke Martina Renner rügte, es sei nicht nachvollziehbar, "dass divergierende Auffassungen einfach stehen gelassen werden". Der Grüne Konstantin von Notz sorgte sich, dass der Datenschutz beim BND offenbar "im heftigen Nebel" kontrolliert werde.

2016 kam die bizarre Weltraumtheorie noch einmal ausführlich im Ausschuss zur Sprache. Christina Polzin, die früher das Geheimdienstreferat 601 im Bundeskanzleramt geleitet hatte, vertrat dabei die Meinung, der Geheimdienst habe das sperrige Gedankengebäude errichtet, um lästige und langwierige juristischen Detaildiskussionen über Dokumentationspflichten zum Transfer großer Datenmengen an die NSA zu umschiffen. Die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen, wäre zwar auch ohne das Konstrukt machbar gewesen. Zu groß sei im Sommer 2013 aber bereits der allgemeine Druck gewesen, nach den Snowden-Leaks überhaupt zu klären, was in Bad Aibling lief.

Schon bei ihrer ersten Zeugenaussage im November 2015 hatte Polzin im Ausschuss auf eine Kontroverse hingewiesen, die sie im August 2013 mit ihrem Vorgesetzten im Kanzleramt, Geheimdienstkoordinator Günter Heiß, und Schindler ausgetragen habe. Sie hatte demnach damals klargestellt, dass sie die Weltraumtheorie rechtlich nicht überzeugend finde, sich mit ihrer Meinung aber ähnlich wie F. nicht durchsetzen können.

Es sei dann entschieden worden, erläuterte die Juristin im Nachgang, "dass man die Weltraumtheorie vertreten will". Das Kanzleramt habe sich die BND-Linie also "zu eigen gemacht". Dass dieser Kurs auch mit Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla besprochen worden sei, "ist nicht fernliegend". Sie habe die Angelegenheit aber nicht direkt mit dem Christdemokraten diskutiert. Ob neben der Hausleitung auch Bundeskanzlerin Angela Merkel informiert worden sei, bleibe "reine Spekulation".

Besonders bedenklich: Der Bundesdatenschutzbehörde hat das Kanzleramt bis heute das "Kurzgutachten" nicht direkt vorgelegt und die dortigen Facharbeiter immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Gabriele Löwnau, im Stab der Bundesdatenschutzbeauftragten unter anderem für Geheimdienste zuständig, lehnte die ihr vom Hörensagen bekannte These trotzdem bei ihrem ersten Termin im NSA-Ausschuss im November 2015 ab. Sie unterstrich: die Signale würden von Antennen in Bad Aibling erfasst und unterlägen so deutschem Recht: "Die Weltraumtheorie überzeugt mich nicht."

Generell kritisiert Löwnau die eigenmächtige Datenverarbeitung des Bundesnachrichtendiensts in Bad Aibling deutlich als "rechtswidrig". Bei zwei Besuchen der Kontrollbehörde im Dezember 2013 und Oktober 2014 an dem Lauschposten habe sich herausgestellt, "dass bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt sind."

"Vier bis fünf" von sechs in Bad Aibling geführten Dateien hätten etwa nicht der Auflage entsprochen, vom Kanzleramt und der Datenschutzaufsicht abgesegnet zu werden, berichtete die Referatsleiterin. Nicht einmal die BND-Datenschutzbeauftragte sei darüber informiert worden. Dabei handle es sich nicht um eine Formalie, da die Genehmigungen "eine wichtige rechtliche Voraussetzung" für den Betrieb der Datenbanken seien. Infolge könne eine Weitergabe der erhobenen Informationen ebenfalls nicht rechtskonform sein.

Noch fataler fiel die offizielle Bilanz der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff zur Zusammenarbeit zwischen BND und NSA in Bad Aibling aus. 18 massive Rechtsverstöße machte sie in ihrem Prüfbericht vom März 2016 aus, "die herausragende Bedeutung haben und Kernbereiche der Aufgabenerfüllung des BND betreffen". Zwölf offizielle Beanstandungen sprach die CDU-Rechtspolitikerin parallel aus. Das rund 60-seitige Papier ist eigentlich geheim eingestuft, Netzpolitik.org veröffentlichte es aber im September 2016 vollständig im Wortlaut.

Im Gegensatz zur BND-Datenschutzbeauftragten kommt Voßhoff zu dem Schluss, dass die Daten aus den ohne Anordnung angelegten Dateien "unverzüglich zu löschen sind. Sie dürfen nicht weiter verwendet werden." Die in ihrer Schärfe kaum zu überbietende Protestnote bezieht sich auf zwei Systeme zur Verkehrsdatenanalyse (Veras), die Datenbank für die inhaltliche Bearbeitung (Inbe), das Datenfiltersystem (Dafis), das von der NSA bezogene Werkzeug XKeyscore und die Datenbanken "Scrabble" und "TND", in denen der BND laut Voßhoff Selektoren des US-Partners speichert. Letztere brauche die deutsche Behörde aber nicht für ihre Arbeit, sodass schon damit ein Verstoß gegen das BND-Gesetz vorliege.

Bei XKeyscore rügt die Bundesdatenschützerin vor allem, dass der Auslandsgeheimdienst die Software nicht nur zur Analyse, sondern auch zur Datengewinnung mit "frei definierbaren und verknüpfbaren" Zielvorgaben verwende. Damit durchsuche der BND "weltweit den gesamten Internetverkehr" mit Meta- sowie Inhaltsdaten und speichere die getroffenen E-Mails, Chats, Inhalte öffentlicher sozialer Netzwerke und Medien sowie für den allgemeinen Nutzer nicht sichtbarer Nachrichten in Webforen nebst Absendern, Empfängern oder Teilnehmern. In Echtzeit ordne XKeyscore diese Verkehre Personen zu und mache die Daten "les- und auswertbar".

Aufgrund der Konzeption des Werkzeugs erfasse der BND so in den Trefferfällen unweigerlich auch eine "Vielzahl personenbezogener Daten unbescholtener Personen", beanstandet Voßhoff. Das Verhältnis zwischen Ziel- und Kontaktpersonen liege bei 1:15. Das bedeutet, dass im zugehörigen Speichersystem zu einem Treffersatz Angaben zu 15 weiteren, damit verbundenen Leuten lagen. Das genaue Ausmaß dieser illegalen Erhebung sei unbekannt, ist dem Report zu benehmen. Die damit verknüpften Grundrechtseingriffe seien gravierend, zumal der BND diese Daten "unstreitig" gar nicht benötige.

Die BND-Datensschutzbeauftragte Dr. F. musste bei ihrem zweiten Auftritt vor dem NSAU im Dezember 2016 schließlich ihre frühere Aussage korrigieren, der Geheimdienst dürfe Metadaten von Kontaktpersonen eigentlich Überwachter "bis in die vierte, fünfte Ebene" sammeln. Es gebe in diesem Bereich gar keine Grenze, erklärte die Juristin und versetzte die Zuhörer damit in Staunen. Das System bremse die Datenjäger allenfalls selbst aus, wenn die ganze Struktur "einfach zu unübersichtlich wird".

Beim Dafis, das Daten deutscher Grundrechtsträger im Einklang mit dem in Artikel 10 Grundgesetz festgeschriebenen Telekommunikationsgeheimnis aus den abgefischten Verkehren aussortieren soll, hat die Datenschützerin "erhebliche systemische Defizite" festgestellt. Zu schützende Personen würden damit "nicht vollumfänglich ausgesondert". Auch die Zusatzmaßnahmen mit einer "Positivliste" für deutsche Bürger oder Unternehmen, die der BND ergreife, seien unzulässig, da die Behörde dafür die Telekommunikationsmerkmale der geschützten Personen oder Firmen vorab kennen und speichern müsse.

Dass der BND Selektoren der NSA weitgehend ungeprüft und anlasslos übernehme, wertet Voßhoff als weiteren "schwerwiegenden Verstoß" gegen das BND-Gesetz. Dazu komme, dass der BND nach dem unvollständigen Dafis-Einsatz Metadaten selbst von Unverdächtigen drei Monate speichere, analysiere und daraus gewonnene Erkenntnisse einsetze, um eigene Selektoren zu gewinnen. Völlig unklar bleibt hier, wie diese Praxis mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Vorratsdatenspeicherung vereinbar sein soll. Vor dem Kontrollbericht habe der Geheimdienst einen Teil der Verbindungs- und Standortdaten gelöscht, beklagt die Verfasserin weiter. obwohl ihm dies zumindest zur Laufzeit des Untersuchungsausschusses durch ein Moratorium untersagt war.

Offenbar wird mit dem Bericht ferner, dass der BND an dem oberbayerischen Horchposten nicht nur Daten von Satelliten aus Krisengebieten abfängt, sondern mit dem Projekt "Smaragd" zusammen mit einem "ausländischen Nachrichtendienst" auch an mindestens ein Internetkabel geht und die Datenströme an dem Horchposten ankommen. Dies war von Mitarbeitern der Spionagebehörde zuvor nach dem Aus der Operation Eikonal immer abgestritten worden.

Außen vor blieben bei der Kontrolle der Datenschutzbehörde zahlreiche weitere BND-Außenstellen wie die in Schöningen, Rheinhausen oder Gablingen, an denen ebenfalls große Datenmengen zusammenkommen. Nicht zuletzt beschwert sich Voßhoff, dass der Auslandsgeheimdienst ihre Arbeit in Bad Aibling "rechtswidrig mehrfach massiv beschränkt" habe: "Eine umfassende, effiziente Kontrolle war mir daher nicht möglich."

"Missing Link"

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Getan hat sich aufgrund des Berichts beim BND zumindest bis Herbst 2016 auch offenbar nichts. "Wir haben nur die Möglichkeit, zu berichten und zu beanstanden", erklärte Löwnau aus dem Stab der Bundesdatenschutzbeauftragten zu diesem Zeitpunkt den Abgeordneten bei ihrem zweiten Auftritt im Ausschuss. "Wenn wir geprüft haben, monieren wir", führte die Juristin aus. Das Ergebnis werde dann auch an das entsprechende Ressort des Kabinetts wie hier das Bundesinnenministerium und das Kanzleramt geschickt. Die hätten die Möglichkeit, "Stellung dazu zu nehmen". Dann sei die Frage, ob eine beanstandete Praxis abgestellt werde.

Dieser Diskurs sei in der Frage des BND-Prüfberichts "etwas umfangreicher gelaufen", gab Löwnau zu Protokoll. "Es gibt schon mal einen Dissens", ergänzte sie. Sonst seien der unabhängigen Datenschutzbehörde aber weitgehend die Hände gebunden. Zusätzlich könne die Bundesdatenschutzbeauftragte Beanstandungen anderer Behörden "als solche" zwar auch in ihrem Tätigkeitsbericht öffentlich machen. Problem bei dem Bericht: Obwohl Netzpolitik.org die Ergebnisse der Kontrolle und die zugehörige Rechtsbewertung veröffentlichte, legt das Kanzleramt nach wie vor größten Wert darauf, dass der Bericht als geheim eingestuft ist und bleibt. Somit darf er von offizieller Seite öffentlich nicht dargestellt oder kommentiert werden.

Löwnau ließ sich noch aus der Nase ziehen, dass ihr zumindest im Untersuchungszeitraum zwischen 2001 und Frühjahr 2015 keine Fälle bekannt seien, in denen der BND eigene Daten nach beanstandeten Verstößen gelöscht habe. Sie erinnere sich auch an keinen Vorgang, in dem der Geheimdienst Betroffene über eine Rechtsverletzung informiert habe. Laut dem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums für 2014 hat der BND nur 0,02 Prozent beziehungsweise vier Personen bei insgesamt 25.209 "qualifizierten Verfahren" darüber benachrichtigt, dass ihre Kommunikation von der Behörde überwacht wurde.

Bis nach ganz oben in die Spitzen der Politik gelangte der Mängelbericht der Bundesdatenschutzbeauftragten nicht, obwohl er ein lautes Presseecho erzeugte. Merkel beantwortete bei ihrer Zeugenaussage die Frage, ob sie die Untersuchung kenne, knapp mit "Nein". Mit der Kooperation zwischen BND und NSA habe sie sich auch nicht im Detail beschäftigt. (mho)