Babylonische Verwirrung bei Domain-Namen

Der Run auf Domainnamen mit internationalen Zeichensätzen ist nicht mehr aufzuhalten. Unklar bleibt aber immer noch, wie multilinguale Domains tatsächlich umgesetzt werden.

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Von
  • Monika Ermert

Der Run auf Domainnamen mit internationalen Zeichensätzen ist nicht mehr aufzuhalten. Nach dem Start der Registrierung im November in China habe man jede Minute rund 1.000 Registrierungen erhalten, sagte bei der Jahrestagung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) Qian Hualin vom China Network Information Center. Koreas Network Information Center rechnet mit dem Registrierstart im ersten Halbjahr 2001. Am vergangenen Freitag hat NSI/Verisign mit der Registrierung asiatischer com-, net- und org-Adressen begonnen.

"Das ist die größte Veränderung seit der Einführung von IP überhaupt", sagte John Klensin, der Vorsitzende des Internet Architecture Board (IAB), in einem von der ICANN eilig aufs Programm gesetzten Workshop zu den mehrsprachigen Domains. Weil die Arbeit einer von der Internet Engeniering Task Force (IETF) eingesetzten Arbeitsgruppe noch nicht abgeschlossen ist, warnte Klensin allerdings davor, nicht-kompatible Lösungen für die Darstellung der nicht-lateinischen Zeichensätze einzuführen. Es sei kein Problem, neue Dinge einzuführen: "Wenn wir es aber nicht richtig machen, müssen wir sehr, sehr lange mit den Konsequenzen leben." Klensin verwahrte sich auch entschieden dagegen, dass durch voreilig ins Feld gebrachte Systeme Druck auf die Arbeitsgruppe ausgeübt werde.

Für NSI/Verisign beeilte sich Chuck Gomes mit einer symbolischen Verbeugung in Richtung der Standardisierungsdiskussion, seine Kooperationsbereitschaft zu versichern. Noch werden die über Verisign und zwei Dutzend ICANN-akkreditierter Registrare eingegangenen und mittels "Raw Ascii Compatible Encoding" (RACE) übersetzten Zeichenkombinationen lediglich in die Verisign-Datenbank aufgenommen. Gomes kann den Kunden noch nicht einmal zusichern, ob sie die Namen tatsächlich behalten werden. "Unser Ziel ist die Migration auf einen von der IETF verabschiedeten Standard", sagte Gomes. Kunden, die jetzt registriert hätten, könnten dadurch eventuell ihre als ASCII-Kombination gespeicherte Registrierung verlieren. Über die Registrierzahlen wollte Gomes keine Auskunft geben.

Auch Verisign/NSI-Parnter i-DNS betonte, man fühle sich an die Entscheidung der IETF gebunden. i-DNS-Mitgründer James Seng erklärte außerdem, alle von seiner Firma ins Feld gebrachten technischen Varianten würden keinerlei laufende Anwendungen stören. i-DNS bietet Registry- und Registrar-Software für 59 verschiedene Sprachen an. Seng machte darauf aufmerksam, dass man die Einführung der multilingualen Domains nicht allein unter technischen Gesichtspunkten betrachten dürfe. "Keine UDRP wird die Frage lösen, wie identische Zeichenkombinantionen, die es in unterschiedlichen Sprachen gibt, vergeben werden sollen." China, Japan und Korea benutzen teilweise überlappende Schriftsysteme. Ungeklärt ist auch noch die Frage, ob mit der Registierung eines Begriffes dem Kunden alle möglichen Schreibvarianten zustehen.

Technische Standardisierung sieht auch Qian Hualian nicht als Problem. Auch China werde sich einem IETF-Standard anschließen, meinte er. Allerdings wehre sich seine Regierung dagegen, dass ausländische Firmen über Partner in China chinesische Domains registrierten. Das Ministerium für die Informationsindustrie (MII) hat in der vergangenen Woche eine Verordnung erlassen, nach der sich alle in China tätigen Registrare lizensieren lassen müssen. "Wenn Firmen mit untereinander nicht kompatiblen Systemen in China aktiv werden, schadet das den Usern", sagte Qian. Dass die offizielle Vorstellung, China könne eine Autorität über chinesischsprachige Domains im Netz schlechthin geltend machen, letztlich nicht durchsetzbar ist, weiß man aber auch Peking.

"Keine regionale Autorität kann sich auf Grund der Geographie darauf berufen, für eine gesamte Sprachgruppe zu sprechen", betonte Tan Tin Wee, Vorsitzender von MINC (Multilingual Internet Names Consortium). Das MINC bemüht sich um die Koordination verschiedener Initiativen für multilinguale Domains und ein multilinguales Internet insgesamt. Der Bioinformatiker ist skeptisch, dass ICANNs Autorität auch für die Aufsicht über vollständig multilinguale – nicht wie von NSI jetzt beworbene chinesische com-Adressen – im asiatischen Sprachraum ohne weiteres akzeptiert wird. (Monika Ermert) / (jk)