Bahndigitalisierung: Gezerre um den Stuttgarter Knoten
Ein Prestigeprojekt der Deutschen Bahn AG (DB) ist zum Zankapfel geworden: Es geht um die Digitalisierung des Stuttgarter Bahnknotens.
- Peter Schmitz
- mit Material der dpa
Auf ihrer Webseite "Digitale Schiene Deutschland" frohlockt die Deutsche Bahn AG (DB) unter dem Leitspruch "Zuverlässiger, pünktlicher, leistungsstärker" über das Mammutprojekt des Digitalen Knotens Stuttgart (DKS, PDF). Als erster Bahnknoten in Deutschland soll dieser voll digitalisiert arbeiten – das heißt in der Konsequenz, dass die Züge wie mit einer Art ferngesteuertem Tempomaten laufen sollen. Die Bahnstrecke teilt der Zugelektronik mit, wann das Schienenfahrzeug genau an welchem Ort sein soll, und diese regelt das Tempo passend in einem Korridor aus möglichen Geschwindigkeiten: Ist der Zug spät dran, fährt er mit höchstzulässigem Tempo, bei planmäßigem Betrieb hingegen möglichst energiesparend.
Was so attraktiv klingt, hat sich allerdings in der langjährig ausgelegten Planungs- und Baupraxis zu einem nicht enden wollenden Gezerre entwickelt: Die zahlreichen Maßnahmen für das Projekt sind in mehrere "Bausteine" aufgeteilt. Die Bausteine 1 und 2 betreffen die Infrastruktur im Kern des Knotens mit den Zentraleinheiten für die Stuttgarter S- und Fernbahn; deren Realisierung schreitet derzeit voran. Im Zuge der Arbeiten wurden mehr als 800 km Kabel gezogen. Aber bereits bei diesen ersten Bausteinen ist es aus sehr unterschiedlichen Gründen zu erheblichen Verzögerungen gekommen; die ersten digitalen Stellwerke (DSTW) und das European Train Control System (ETCS) wird man erst deutlich später als geplant in Betrieb nehmen können. In Bezug auf das hochautomatisierte Fahren (Automatic Train Operation, Grade of Automation 2 – ATO GoA 2) sind immerhin erste Testfahrten auf der Schnellfahrstrecke (SFS) Wendlingen-Ulm fürs Ende des laufenden Jahres vorgesehen. 2026 soll es möglich sein, ATO und eine erste Stufe des Capacity & Traffic Management System (CTMS) kommerziell in Betrieb zu nehmen.
Der finale Baustein 3 weist noch weiter in die Zukunft – und gerade um ihn gibt es derzeit Ärger. Er soll nicht nur mehr als 300 weitere Streckenkilometer mit DSTW und ETCS ausrüsten, sondern darüber hinaus weitere Techniken im gesamten Knotenbereich einführen. Dafür ist wiederum eine neue Fahrzeugausrüstung nötig; außerdem haben die Planer bereits vielfältigen Konfliktstoff aufgespürt, der von der Anbindung nichtbundeseigener Eisenbahnen und von Gleisanschlüssen über bauliche Veränderungen vieler Bahnübergänge bis hin zu Genehmigungsproblemen reicht. Bei der DB arbeiten derzeit mehr als 150 Leute an der Planung für den dritten Baustein mit; diese soll bis Ende 2025 abgeschlossen werden. Die Bauaufgaben will die Bahn auf Grundlage des "Partnerschaftsmodells Schiene" noch im Lauf des Jahres 2025 vergeben, im Sommer 2026 könnte es mit der Realisierung losgehen. Allerdings soll es dann noch zwischen drei und acht Jahren dauern, bis es dazu kommen kann, die im Zuge des Bausteins 3 fertigzustellenden Einrichtungen kommerziell zu nutzen.
Gemeinschaftsinvestition von Staat und Bahn-Aktiengesellschaften
Im Dezember 2023 drohte die Finanzierung des dritten Bausteins daran zu scheitern, dass die DB Netz AG, Betreiberin der Bahn-Infrastruktur und 100-prozentige Tochter der DB, die nötige Vereinbarung nicht unterschreiben wollte. Auf Druck des Landes Baden-Württemberg tat sie es am 23. Dezember dann doch. Am 27.12. 2023 unterzeichnete auch das Bundesverkehrsministerium (BMDV).
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Im Lauf des Jahres 2024 wurde dann aber wieder vieles fraglich. Die DB äußerte immer deutlichere Vorbehalte gegen Umsetzungs- und Finanzierungsdetails des dritten Bausteins. Mittlerweile gilt es sogar als unklar, ob die konzipierte letzte Stufe der Digitalisierung im DKS vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage überhaupt kommen wird. Der Bahnvorstand stoppte das Digitalprojekt schließlich zunächst per Gremienvorbehalt.
Das Land macht Druck
Die Baden-Württembergische Landesregierung will die zunehmend unsicher gewordene Situation nicht hinnehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat nach der Aufsichtsratssitzung in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor einem Scheitern des gesamten DKS-Projekts gewarnt. Darin warf er der hoch verschuldeten Bahn vor, dass diese beim eigentlich fürs DKS-Projekt gedachten Geld eigene Pläne durchsetzen wolle: "Nach unserem Eindruck versucht die DB jedoch, die hierfür reservierten Bundeshaushaltsmittel auf die Sanierung des Bestandsnetzes umzulenken."
Weiter kritisiert Kretschmann: "Bei allem Verständnis dafür, dass das Bestandsnetz hohe Priorität genießt, darf im Poker um die knappen Mittel nicht die wichtige Zukunftsinvestition in die 'Digitale Schiene' geopfert werden." Zudem warnt Kretschmann davor, dass der Ruf der Bahnindustrie insgesamt Schaden nehme: "Eine Absage hätte auch eine industriepolitisch fatale Signalwirkung für den gesamten Bahnsektor", schreibt er. Deutschland drohe bei einem Scheitern "ein umfassender Innovations- und Kompetenzverlust in einem für die Zukunft der Schieneninfrastruktur zentralen Feld".
Kurz nach Kretschmanns Brief beschäftigte sich der Aufsichtsrat des Unternehmens mit dem Thema. Das Ergebnis: Es gibt noch zahlreiche offene Fragen rund um die Digitalisierungsvorhaben. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Bundesverkehrsministerium (BMDV) soll diese nun klären.
Nach Kretschmann macht nunmehr auch der Baden-Württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Druck und fordert in einem Brief an seinen Kollegen im Bund, Volker Wissing (FDP), mehr Mitsprache für seine Landesregierung bei den anstehenden Klärungen in Bezug auf den DKS. Er will selbst in der gemeinsamen Arbeitsgruppe mitwirken. Den Brief hat auch Thomas Bopp mit unterzeichnet, der Vorsitzende des Verbands Region Stuttgart. Die Region ist Träger der Stuttgarter S-Bahn.
Hermann und Bopp verweisen darauf, dass Land und Region im Vertrauen darauf, dass der digitale Knoten komme, Verträge zur Ausrüstung Hunderter Züge mit Digitaltechnik geschlossen hätten. Auch der Bund sei bei der Förderung im Boot. "Darüber hinaus", schreiben sie, "beschafft das Land eine eigene Ersatzfahrzeugflotte, deren Fahrzeuge ebenfalls mit den notwendigen Techniken ausgerüstet werden." Bund, Land und Verband Region Stuttgart sollten deshalb in der Arbeitsgruppe zusammen ihre gemeinsam Interessen gegenüber der Bahn vertreten.
(psz)