Bayerns Innenminister fordert Überwachung mit Live-Gesichtserkennung
Bayerns Innenminister Herrmann drängt auf Echtzeit-Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Der Landesdatenschutzbeauftragte hält mit massiven Bedenken dagegen.
Die bayerische Polizei soll eine Live-Gesichtserkennung mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) im öffentlichen Raum vornehmen können. Dafür setzt sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ein. "Die Polizei braucht dringend mehr Möglichkeiten, zur Täterfahndung auch die biometrische Gesichtserkennung nutzen zu können", fordert der Politiker. Er will dafür laut dem Bayerischen Rundfunk (BR) bereits installierte Kameras in Bahnhöfen oder auf größeren Plätzen nutzen. Probleme mit dem Datenschutz sehe er nicht: "Es ist klar, dass Fotos, die keinen Treffer ergeben, sofort wieder gelöscht werden."
Sollte ein Programm Alarm schlagen und eine Übereinstimmung melden, müssten die Polizisten laut dem Innenminister zunächst prüfen: "Stimmt das auch wirklich?" Denn auch die Software mache Fehler, erklärte Herrmann gegenüber dem BR. Trotzdem zeigte er sich zuversichtlich, Fahndungserfolge mit dieser Technik wesentlich zu steigern. Das Landeskriminalamt (LKA) nutzt schon seit vielen Jahren die Möglichkeit, Bildmaterial mit unbekannten mutmaßlichen Tätern mit Fotos aus einer Straftäter-Datenbank des Bundeskriminalamts abzugleichen. Dabei geht es um ein spezielles Register, das die Ermittler bei einem konkreten Tatverdacht abfragen. Das Internet wird dabei nicht nach Fotos durchforstet.
Prinzipiell hält Herrmann diesen Ansatz für erfolgreich: Das LKA habe 2023 im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen mehr als 4600 Fälle mit Gesichtserkennungssoftware bearbeitet. In rund 1200 davon habe es Übereinstimmungen mit bereits gespeicherten polizeibekannten Personen und damit "wertvolle weitere Ermittlungsansätze" gegeben. Doch nun will er zusätzlich auf den Einsatz von Echtzeit-Gesichtserkennung nicht mehr verzichten. Diese Überwachungsform galt bei den Verhandlungen über die KI-Verordnung der EU als heißes Eisen. Die Endfassung sieht vor, dass eine Echtzeit-Identifikation "zeitlich und örtlich begrenzt" möglich sein soll: zur gezielten Suche nach Opfern von Entführungen, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung oder zur Abwehr "einer konkreten und gegenwärtigen terroristischen Bedrohung". Als weiterer Zweck wird die Lokalisierung oder Identifizierung von Verdächtigen im Zusammenhang mit mehreren schweren Straftaten genannt.
"Schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte"
Der bayerische Datenschutzbeauftragte, Thomas Petri, bringt verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Plan vor: "Das ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte aller Menschen, die sich auf diesen öffentlichen Plätzen fortbewegen und aufhalten", monierte er gegenüber dem BR. Auch die Alltagstauglichkeit sei zweifelhaft: Selbst wenn die Trefferquote bei 98 Prozent liege, würden etwa am Münchner Hauptbahnhof noch Hunderte Menschen fälschlicherweise aus dem Verkehr gezogen.
Kai Engelbrecht, Ministerialrat beim Landesdatenschutzbeauftragten, hob gegenüber heise online hervor, dass eine Echtzeit-Gesichtserkennung "allenfalls zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter und unter engen Eingriffsvoraussetzungen" möglich wäre. Ferner müsste "durch geeignete Vorkehrungen sichergestellt werden, dass Fehlidentifikationen nahezu ausgeschlossen sind" und "unbescholtene" Bürger im Nachhinein nicht fälschlicherweise mit polizeilichen Maßnahmen überzogen würden.
Dem Landesbeauftragen sei bislang noch kein Gesetzentwurf bekannt, berichtete Engelbrecht. Es habe daher noch keine Veranlassung bestanden, Stellung zu nehmen und ein solches potenzielles Vorhaben datenschutzrechtlich zu bewerten. Der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) bewerte die Fernverarbeitung biometrischer Daten im öffentlichen Raum aber als unverhältnismäßigen Eingriff. Auch die Datenschutzkonferenz von Bund und Ländern warne bei automatisierter Gesichtserkennung vor "erheblichen Risiken".
Faeser ist auch für mehr biometrische Fahndung
Ein Mitarbeiter der sächsischen Datenschutzbeauftragten Juliane Hundert betonte jüngst: "Angesichts der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu präventiven Maßnahmen der automatisierten Kennzeichenerfassung dürfte es keinen Zweifel daran geben, dass die biometrische Echtzeit-Verarbeitung und ein Live-Abgleich der Gesichtsbilder von Personen, die eine Überwachungskamera im öffentlichen Raum passieren, gegen die Verfassung verstößt."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will es Polizeien von Bund und Ländern auf der Suche etwa nach mutmaßlichen Terroristen und Schwerverbrechern erlauben, einen "biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet" durchzuführen. Dies gälte nicht nur für Verdächtige, sondern auch für "Kontaktpersonen, Opfer und Zeugen". Eine Live-Komponente sieht Faesers Vorstoß aber nicht vor, sodass dieser Herrmann nicht weit genug geht. Trotzdem warnen Kritiker auch hier vor einer "Totalüberwachung des öffentlichen Raums".
(are)