Beeindruckender Colossus
Schnauf, ratter, rumms: Anlässlich der Einweihung brannte einem rekonstruierten Dechiffrier-Computer aus dem zweiten Weltkrieg eine Röhre durch. Nach der Reparatur stellte der Computer-Saurier seine immer noch beeindruckende Leistung unter Beweis.
- Detlef Borchers
- Dusan Zivadinovic
Schnauf, ratter, rumms: kurz vor dem entscheidenden Durchlauf brannte dem Nachbau des Colossus Mark II eine Röhre durch. 45 Minuten dauerte es, bis der Ur-Computer wieder anlaufen konnte. Am Freitagmittag um 13:15 Uhr UTC hatte Colossus beim Cipher Event die Nachricht entschlüsselt, die in Paderborn mit der Schlüsselfernschreibmaschine SZ42 von Standard Elektrik Lorenz am Donnerstag um 9:00 UTC verschlüsselt und mit historischen Funkgeräten abgesetzt worden war. 3 Stunden und 35 Minuten benötigte der Proto-Rechner für seine Brute-Force-Attacke auf den Schlüsseltext, die Zwangspause beim Röhrentausch nicht mitgerechnet. Wie bereits berichtet, gewann ein anderer den Wettbewerb. Der 40-jährige Bonner Funkamateur Joachim Schüth (Rufzeichen: DL2KCD) konnte bereits am Donnerstagmittag den Klartext liefern, nachdem er um 12:00 Uhr das abgehörte Funksignal aufzeichnen konnte. 46 Sekunden benötigte sein eigens für den Cipher Event in Ada geschriebenes Programm auf einem 1,4 GHz Laptop (Betriebssytem NetBSD, obwohl das unter Ada keine Rolle spielt).
So klar der Sieg ausgefallen ist, so beeindruckend sind doch die Leistungen der beiden ungleichen Kontrahenten. Zwei Monate lang programmierte und optimierte der Physiker Joachim Schüth seinen Code. Schüth, der als Mitarbeiter im Prüflabor für IT-Sicherheit bei T-Systems in Bonn hauptberuflich die Sicherheit von Mikrocontrollern prüft, entschied sich dafür, gleich die schwierigste von drei Aufgaben zu lösen. 14 Jahre brauchte ein Team um Tony Sale vom Computermuseum Bletchley Park, um Colossus Mark II nachzubauen. Sichtlich stolz berichtete er nach dem erfolgreichen Knacken des Schlüsseltextes, dass der Colossus-Nachbau in nur 15 Minuten die zentrale Dechiffrier-Routine erledigte. Norbert Ryska, Geschäftsführer des Paderborner Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) rechnet nach: "Im Vergleich zu den knapp 50 Sekunden unseres Bonner Freundes ist das etwas mehr als Faktor 15 in über 60 Jahren. Damit ist Colossus für seine Zeit extrem schnell gewesen. Wenn man Moore's Law für den Zeitraum 1943 - 2007 als gültig annimmt und 60 Jahre / 2 = 30 rechnet, ergibt sich die wahre Dimension. Damit würde Colossus mit heutiger Technologie 1 Billion mal so schnell sein wie damals."
Vom Start weg war das Cipher Event nicht unbedingt mit Glück geschlagen. Vergebens bemühte sich die Leitung des HNF um freies Geleit für die Lorenz-Chiffriermaschine: weil es in Deutschland kein Exemplar des Fernschreibers mehr gibt, der den obersten Kommandostellen der Wehrmacht vorbehalten war, sollte ein sorgsam in Großbritannien behüteter Kriegsschatz kommen, komplett mit Rückführungsgarantie durch deutsche Behörden. Der Fall beschäftigte etliche Beamte im Kanzleramt, bis am Ende ein hoher Beamter die Erklärung mit der Begründung ablehnte, es sei doch sehr fraglich, ob es sich bei einer Maschine um ein Kulturgut handeln könne. Der Lorenzschreiber kam dennoch, ständig bewacht von britischen Soldaten.
Besser verliefen die Verhandlungen mit der für den Funk zuständigen Bundesnetzagentur. Verschlüsselte Funksendungen im Amateurfunkbereich (als 1:1 Simulation des Militärfunks) sind eigentlich verboten. Nach der Genehmigung kam der Rückschlag für den Plan, einen Klartext im Stil der Wehrmacht für den Cipher Event zu nehmen. Ein Alliierten-Kontrollgesetz sorgt dafür, dass solche Funksprüche nie mehr in Deutschland gesendet werden dürfen. Aus der Not wurde eine werbliche Tugend gemacht: der schwierigste Text, den es schließlich zu entschlüsseln galt handelte von der nächsten Sonderausstellung im deutschen Computermuseum, die die wunderbare Welt von null bis unendlich zum Thema hat. Entsprechend beginnt der Funkspruch so:
"FASZINIEREND_UND_SPANNEND:_DIE_WELT_DER_ZAHLEN__VON_DER_GLUCKSZAHL _UBER_TELEFONNUMMERN_BIS_ZUR_GEHALTSABRECHNUNG_WIRD_UNSER_ALLTAG_ VON_ZAHLEN_BESTIMMT._DASS_ZAHLEN_NICHT_LANGWEILIG_SEIN_MUSSEN,_KANN _JEDER_IN_EINER_GROSSEN_AUSSTELLUNG_DES_HEINZ_NIXDORF_MUSEUMSFORUMS_ IN_PADERBORN_VOM_1._FEBRUAR_BIS_18._MAI_2008_ERLEBEN_IM_'JAHR_DER_ MATHEMATIK'_PRASENTIERT_DAS_HNF_AUF_700_QUADRATMETERN_'ZAHLEN,_BITTE'_ DIE_WUNDERBARE_WELT_VON_NULL_BIS_UNENDLICH'._DIE_AUSSTELLUNG_SPANNT_IN _ZE"
Kurz vor dem Start des Cipher Event am Donnerstag passierte dann noch das, was eigentlich nicht passieren durfte. Die Sicherungen der Lorenzmaschine, die in fünfmonatiger Arbeit restaueriert worden war, brannten durch und zerstörten Schaltungen. Der eigens aus Bletchley Park angereiste Restaurator der Maschine, der Physiker Craig Sawjers, konnte die SZ42 in einer Notoperation retten. Während er an dem Gerät arbeitete, besuchte Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing das Museum. So kam es zu einer seltsamen Wiedersehensfeier: Sawjers hatte als Chef der Firma Oxford Instruments die Geräte gebaut, die von Klitzing für seine Versuche benötigte, die ihm schließlich den Nobelpreis einbrachten.
Als am Donnerstag der Klartext in den wieder funktionierenden Chiffrierschreiber getippt wurde und die verschlüsselte Nachricht mit historischen Funkgeräten nach einem alten Funkprotokoll verschickt wurde, kam die nächste Panne. Aufgrund von atmosphärischen Störungen verrauschte die erste Aussendung der Wettbewerbtexte. Auch die zweite und dritte Auslieferung waren problematisch, aber reichten für den Bonner Funkamateur Joachim Schüth. In Bletchley Park hingegen musste man die 16:30 UTC warten, bis ein brauchbarer Mitschnitt des Textes vorlag. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit entschloss man sich, den nachgebauten Colossus Mark II erst am nächsten Morgen mit dem Schlüsseltext zu füttern, in leichter Abwandlung von der Original-Handlung: im II. Weltkrieg war Bletchley Park rund um die Uhr mit Kryptologen, Technikern und Hilfskräften besetzt, die Arbeit keineswegs vergebens. Die erfolgreiche Entschlüsselung der Wehrmacht-Kommunikation sorgte unter anderem dafür, dass die Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 die Wehrmacht überraschte - kurz bevor Colossus Mark II zum Einsatz kam. Militärhistoriker sind heute der Meinung, dass der Krieg insgesamt um 18 Monate verkürzt werden konnte.
Der Cipher Event ist vorüber, die Schlüsselfernschreibmaschine Lorenz SZ42 sitzt längst wieder in ihrer Vitrine in der Sonderausstellung zum Tricksen, Täuschen und Tarnen im Paderborner Computermuseum. Gleich neben ihr steht ein Siemens-Geheimschreiber, dessen Geschichte eng mit der von Colossus Mark II verbunden ist. Mit ihm wollte Claus Graf Stauffenberg nach einem gelungenen Attentat auf Hitler dem deutsche Volk den Machtwechsel mitteilen. Im Hintergrund der beiden Verschlüsselungsgeräte flattert als blaue Fahne die geplante Nachricht über die "Sofortmaßnahmen", alle Gestapo- und SS-Offiziere zu verhaften. Sie sollte der Nachrichtenoffizier Fritz Erich Fellgiebel damals an alle Wehrkreis-Befehlshaber senden.
So passte es, dass am 15. November zum 100. Geburtstag von Stauffenberg der Cipher Event gestartet wurde. Denn als das Hitler-Attentat 1944 gescheitert war, trat in Deutschland ein Sonderausschuss zusammen, der die Sicherheit der militärischen Chiffrierverfahren erörterte. Die Verschlüsselungsvorschriften wurden verschärft, und bei den britischen Mithörern in Bletchley Park riss der Strom dekodierter Informationen ab. Das ging für mehrere Wochen so, ausgerechnet in der kritischen Situation nach der Landung der alliierten Streitkräfte in der Normandie. Nur die frisch in Betrieb genommenen Colossi Mark II konnten schließlich den Schlüssel wieder brechen.
Siehe dazu auch:
- Colossus geschlagen
- Wer schlägt Colossus?
- Tricksen, täuschen und tarnen im Computermuseum
- Historische Kryptographie mit Hindernissen
(Detlef Borchers) / (dz)