Bei Anruf Arzt: Wie Videosprechstunden praktisch ablaufen

Fanden vor Corona vergleichsweise wenig Videosprechstunden statt, stellten während der Pandemie viele Praxen ihr Angebot um. Doch wie funktioniert das?

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Bei Anruf Arzt: Wie Videosprechstunden praktisch ablaufen

(Bild: Billion Photos/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Angelika Mayr
  • dpa
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Statt in die Praxis führt der Weg nur noch zum Smartphone oder an den Computer. Eine Videoverbindung zwischen Arzt und Patient wird aufgebaut, und los geht die Sprechstunde. Das ist nicht neu, doch durch die Einschränkungen im Zusammenhang mit Corona hat die Telemedizin zuletzt viel Auftrieb bekommen.

"Einen Durchbruch" nennt Prof. Friedrich Köhler von der Charité Berlin die vergangenen Wochen und Monate. "Die Telemedizin hat viele Patienten, die keine Praxen und Kliniken aufsuchen konnten, vor einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands bewahrt", sagt Köhler, der Mitglied der Kommission Telemedizin der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ist. Doch gleichzeitig wurde klar: "Sie ist zu den klassischen Behandlungssäulen ambulant und stationär nur eine Ergänzung und damit eine dritte Säule."

Damit es mit der Videosprechstunde klappt, müssen auf beiden Seiten – bei Arzt und Patient – die Voraussetzungen vorhanden sein. Die Praxis muss ein zertifiziertes Programm einsetzen. Außerdem brauchen Ärzte besondere Qualifikationen in der Kommunikation. Hier gibt es aus Sicht von Köhler noch Nachholbedarf.

"Bisher gibt es dafür keine regelhaften Schulungs-Module", sagt der Kardiologe. "Studenten sollten diese auf dem Lehrplan haben", so der Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité."

Zudem sollten sich Arzt und Patient im Idealfall schon vorher kennen, auch wenn der Ärztetag das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert hat", sagt Köhler. Demnach können Ärzte ihre Patienten auch ohne vorherigen Erstkontakt im Einzelfall telefonisch oder etwa über Videochats behandeln.

Für den Patienten sind die Voraussetzungen überschaubar: "Ein Computer, Tablet oder Smartphone mit Bildschirm oder Display, Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sowie eine Internetverbindung reichen aus", sagt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Zudem muss man vor der ersten Videosprechstunde seine Einwilligung erklären. Videosprechstunden sind eine Kassenleistung.

Bei Allgemeinmediziner Jens Wagenknecht im niedersächsischen Varel läuft eine Tele-Sprechstunde wie folgt ab: "Die Patienten oder die Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen verabreden sich mit Mitarbeitern unserer Praxis zu einem Termin", erklärt Wagenknecht. Der Teilnehmer erhält dann eine E-Mail-Bestätigung mit einem Zugangslink und wählt sich auf einer sicheren Website ein.

"Sobald beide aktiv sind, beginnt die Sprechstunde: Dann kann der Patient in Wort und Bild seine Beschwerden beschreiben und ich sie einordnen", sagt Wagenknecht, der Mitglied im Bundesvorstand des Hausärzteverbandes ist. Nach der Sprechstunde erstellt sein Praxisteam die abgesprochenen Verordnungen oder Rezepte, die später abgeholt werden können.

Für Friedrich Köhler bestehen die Vorteile der Telemedizin darin, dass Patienten nicht immer in die Praxis kommen müssen und trotzdem häufiger Kontakt mit dem Arzt aufnehmen und akute Ereignisse oder neue Beschwerden schneller besprechen können.

Die Nachteile: Manche haben Vorbehalte gegenüber der Telemedizin, vielen anderen fehlen schlicht die Voraussetzungen, um sie nutzen. "Wir dürfen beim Patienten eine digitale Kompetenz nicht zwingend voraussetzen", so Köhler. "Was ist etwa bei einem dementen Patienten oder einem ohne Internetzugang? Patienten haben ein Recht auf analoge Versorgung und dieses Wahlrecht muss erhalten bleiben."

Viele Patienten seien außerdem vor der Kamera gehemmt, wobei es auch den umgekehrten Fall dazu gibt: Köhler verweist auf Berichte aus der Psychotherapie und Psychosomatik, wonach sich manche Patienten bei Videosprechstunden sicherer fühlen und deshalb offener sprechen.