Bei der Siemensaffäre stinkt der Fisch wohl doch vom Kopf

Auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer soll doch bereits vor den ersten öffentlichen Vorwürfen von der systematischen Korruption im Siemenskonzern gewusst haben. In Zukunft soll eine eigene Ermittlergruppe den Konzern sauber halten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 88 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Angela Meyer

Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer könnte doch deutlich früher von der systematischen Korruption im Konzern gewusst haben, als bisher angenommen. Und mit der inzwischen auf 1,3 Milliarden Euro angewachsenen Schmiergeldsumme, die Siemens Ende Januar eingeräumt hatte, sind möglicherweise immer noch nicht alle Korruptionsfälle im Konzern aufgedeckt.

Nachdem die Fahnder bisher vor allem in der Com-Sparte Hinweise auf dubiose Zahlungen entdeckt hatten, berichtet Spiegel online unter Berufung auf eine exklusive Meldung von Bloomberg, dass die Untersuchungen auch bei der Energieübertragungs- und -verteilungssparte PTD noch einmal intensiviert worden seien. Die PTD ist bereits mehrfach wegen illegaler Preisabsprachen in die Schlagzeilen geraten. Im Januar hatte Siemens für die PTD Schmiergeldzahlungen von 80 Millionen Euro in den Jahren 1999 bis 2006 angegeben. Darin sollen etliche Mitarbeiter einschließlich des ehemaligen Zentralvorstands Uriel Sharef verwickelt sein, was dessen Anwalt gegenüber Bloomberg bestritten haben soll.

Spektakuläre neue Erkenntnisse zum Umfang der Korruptionsfälle scheint aber zumindest Siemens-Manager Andreas Pohlmann nicht mehr zu erwarten. Die großen Komplexe seien aus Unternehmenssicht abgearbeitet, sagte der Chief Compliance Officer von Siemens im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der dem neuen Konzernchef Peter Löscher und dem Rechtsvorstand Peter Solmssen direkt unterstellte Pohlmann arbeitet seit Herbst 2007 bei Siemens an der Aufarbeitung. "Jetzt geht es darum, auch die Verantwortung der alten Führung zu klären." Die einstige Unternehmensspitze habe in jedem Fall schwere Fehler gemacht.

Laut Handelsblatt greift damit zum ersten Mal ein hochrangiger Siemens-Manager die frühere Führung unter dem langjährigen Vorstandschef Heinrich von Pierer frontal an. "Nach meiner Einschätzung waren auch frühere Vorstände entweder aktiv, initiativ am Korruptionsskandal beteiligt oder sie haben die Sache übersehen, dann liegt eine Aufsichtsverletzung auf der Hand", zitiert das Blatt den Chef der Siemens-internen Kontrollstrukturen weiter. Dies würde nach dem jetzt Ende Mai beginnenden ersten Strafverfahren gegen den früheren ICN-Manager nicht nur weitere Strafverfahren auch gegen die frühere Unternehmensspitze bedeuten. Der Konzern würde laut Pohlmann auch entsprechend hohe Schadensersatzansprüche stellen.

Pierer und weitere Mitglieder des Zentralvorstands haben laut einem Bericht auf Spiegel online bereits im April und Mai 2004 in bisher unbekannten Vermerken des ehemaligen Leiters der Compliance-Abteilung Albrecht Schäfer von einem konkreten Korruptionsfall in Italien erfahren, bei dem Siemens mit Schmiergeldzahlungen den Verkauf von Turbinen an den Stromerzeuger Enel erreicht haben soll. Bereits damals soll Schäfer auf die Möglichkeit der inzwischen laufenden Untersuchung durch die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC hingewiesen und aus dem Beschluss eines Mailänder Untersuchungsrichters zitiert haben: "Insbesondere die ... Existenz schwarzer Kassen bei Siemens zeige, dass die von Siemens praktizierte Aufsicht völlig ineffizient war und das Unternehmen Schmiergeldzahlungen zumindest als mögliche Unternehmensstrategie ansah."

Nach außen hin blieb die Siemens-Welt aber noch bis Anfang 2006 in Ordnung. Im Fortschrittsbericht 2006 über das Jahr 2005 (PDF-Datei) zur gesellschaftlichen Verantwortung des Konzerns schrieb der damalige Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld noch: "Seit November 2003 ist Siemens Mitglied im Global Compact, der Corporate Social Responsibility Initiative des UN‐Generalsekretärs Kofi Annan. Zielsetzung des Global Compact ist es, durch freiwillige Zusammenarbeit zwischen Staaten, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft bessere Lösungen für die Probleme der Welt zu ermöglichen. Durch unsere Mitgliedschaft im Global Compact dokumentieren wir unsere Bereitschaft, dafür auch in Zukunft spürbare Beiträge im Rahmen unserer Möglichkeiten zu leisten." Kurz danach wurde dann deutlich, dass die Möglichkeiten nicht wirklich genutzt worden waren. Seit Ende 2006 arbeitet Siemens nun parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in mehreren Ländern an der Aufarbeitung des völligen Versagens der offiziell schon vorher vorhandenen Kontrollstrukturen. Den Fortschrittsbericht 2007 (PDF-Datei) über das Jahr 2006 gibt es bisher erst in einer vorläufigen Fassung, die vor allem auf die notwendig gewordenen Veränderungen im Konzern hinweist.

Hierzu hat Pohlmann laut Handelsblatt nun eine eigene Ermittlertruppe angekündigt, die künftig korrupte Systeme oder Betrugsringe im Konzern aufdecken soll. Dafür soll er eigens einen Abteilungsleiter von Interpol aus Lyon abgeworben haben, der bis Mitte des Jahres eine Mannschaft aus rund einem Dutzend Ermittlern haben soll, um weltweit in allen Siemens-Niederlassungen zu ermitteln. Zum neuen System gehöre auch eine Whistle-Blower-Hotline, die Hinweise auf Korruption und krumme Geschäfte annehme. Die Anrufe gingen in den USA bei einer externen Firma ein und würden dann binnen 24 Stunden von speziell geschulten Mitarbeitern im Erlanger Siemens-Standort geprüft. Die Motivation zu einer ernsthaften Umsetzung des Global Compact finden die neuen Manager nicht nur in ihren eigenen Wertvorstellungen. Nicht nur die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC und das US-Justizministerium werden Siemens wohl noch auf lange Zeit ganz fest im Visier haben. (anm)