Bell Labs ziehen wissenschaftliche Aufsätze zurück

Als Reaktion auf den Datenfälschungs-Skandal um den Physiker Jan Hendrik Schön haben die Bell Labs jetzt acht wissenschaftliche Aufsätze und sechs Patentanmeldungen formal zurückgezogen.

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Von
  • Wolfgang Stieler

Als Reaktion auf den Datenfälschungs-Skandal um den Physiker Jan Hendrik Schön haben die Bell Labs jetzt acht wissenschaftliche Aufsätze und sechs Patentanmeldungen formal zurückgezogen. Schön hatte, so das Ergebnis einer internen Untersuchungskommission, in mindestens 16 verschiedenen Fällen Daten in wissenschaftlichen Aufsätzen manipuliert oder frei erfunden. Ende September wurde der Physiker daraufhin entlassen.

In einer Mitteilung, die heute im Wissenschaftsmagazin Science erschienen ist, führen Zhenan Bao, Betram Batlogg, Steffen Berg, Ananth Dodabalpur, Robert Haddon, Harold Hwang, Christian Kloc, Hong Meng und Hendrik Schön acht Aufsätze auf, die zwar "möglicherweise richtige Beiträge und Ideen" enthalten, aber aus "Verantwortung gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft" komplett zurückgezogen werden. Es handelt sich im Einzelnen um:

  1. J. H. Schön, S. Berg, Ch. Kloc, B. Batlogg, Ambipolar pentacene field-effect transistors and inverters, Science 287, 1022 (2000)
  2. J. H. Schön, Ch. Kloc, R. C. Haddon, B. Batlogg, A superconducting field-effect switch, Science 288, 656 (2000)
  3. J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg, Fractional quantum Hall effect in organic molecular semiconductors, Science 288, 2338 (2000)
  4. J. H. Schön, Ch. Kloc, A. Dodabala-pur, B. Batlogg, An organic solid state injection laser, Science 289, 599 (2000)
  5. J. H. Schön, A. Dodabalapur, Ch. Kloc, B. Batlogg, A light-emitting field-effect transistor, Science 290, 963 (2000)
  6. J. H. Schön, Ch. Kloc, H. Y. Hwang, B. Batlogg, Josephson junctions with tunable weak links, Science 292, 252 (2001)
  7. J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg, High-temperature superconductivity in lattice-expanded C60 , Science 293, 2432 (2001)
  8. J. H. Schön, H. Meng, Z. Bao, Field-effect modulation of the conductance of single molecules, Science 294, 2138 (2001)

Weitere 23 Aufsätze von Schön, die er gemeinsam mit insgesamt 19 Koautoren verfasst hat, werden -- wenn diese Koautoren zustimmen -- ebenfalls noch zurückgezogen. Als Konsequenz aus dem Skandal wollen die Bell Labs ein neues System der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle installieren.

Der Physiker Jan Hendrik Schön wurde hinter vorgehaltener Hand als potenzieller Nobelpreisträger gehandelt. Seit dem 26. September ist diese Karriere allerdings endgültig vorbei; und einige spektakuläre wissenschaftliche Durchbrüche aus den ehrwürdigen Bell Labs, in deren Räumen unter anderem der Transistor erfunden wurde, erweisen sich als Luftblasen.

Schön hatte gemeinsam mit Kollegen eine Reihe von Aufsehen erregenden Arbeiten zu Polymer-Lasern, organischen Transistoren und zur Supraleitung von Polymeren und Fullerenen publiziert: Dreh- und Angelpunkt bei vielen dieser Arbeiten war ein -- eigentlich simpler -- Feldeffekt-Transistor, dessen Gate-Isolator aus aufgesputtertem Aluminiumoxid besteht. Dieser Isolator erwies sich als außerordentlich spannungsfest und damit als Schlüssel zum Erfolg von Schön, denn die beteiligten Wissenschaftler konnten das aktive Material in dem FET auf diese Weise sehr hohen Feldstärken aussetzen.

Und so führte Schön der staunenden wissenschaftlichen Öffentlichkeit nicht nur einen ambipolaren organischen Feldeffekt-Transistor vor, der sogar auch noch Licht emittieren konnte, sondern wenig später auch völlig neuartige supraleitende Materialien. Im August vergangenen Jahres beispielsweise präsentierte Schön gemeinsam mit Kollegen spezielle Kristalle aus fußballähnlich geformten Kohlenstoffmolekülen -- so genannte Bucky Balls --, die unterhalb einer vergleichsweise hohen Temperatur von 117 Kelvin (minus 156 °C) supraleitend werden. Der neue Supraleiter verlor also schon bei Kühlung mit flüssigem Stickstoff seinen elektrischen Widerstand, war aber im Unterschied zu keramischen Hochtemperatur-Supraleitern wesentlich günstiger und einfacher herzustellen.

Die C60-Moleküle kondensieren zu einem Festkörper, der unter anderem mit Alkaliatomen dotiert werden kann, um ihn supraleitend zu machen. Bis zu Schöns Veröffentlichung galt allerdings schon eine Sprungtemperatur von 40 Kelvin als sehr hoch. Das Team aus den Bell Labs baute nun in Kristalle aus Fullerenen die Substanzen Chloroform und Bromoform ein und streckte den Kristall auf diese Weise. Dadurch schafften sie quasi Platz für zusätzliche Ladungsträger, die sie mit einem elektrischen Feld in den Kristall pumpten. Die Wissenschaftsgemeinde war fasziniert. Möglicherweise, so wurde spekuliert, könnte man mit der aufgezeigten Methode nahezu jedes Material in einen Supraleiter verwandeln. Unglücklicherweise gelang es bis heute keiner anderen Forschungsgruppe, diese Resultate zu verifizieren. (wst)