Bericht: AOL steht radikaler Kurswechsel bevor

Statt auf bezahlte Mitgliedschaft will der Internet-Dienstleister künftig auf die Loyalität seiner Kunden setzen und sein Geld größtenteils mit Werbung verdienen.

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In zwei Wochen will AOL-Chef Jonathan Miller dem Vorstand des Mutterkonzerns Time Warner einen Plan vorlegen, wie das Ruder beim Internet-Provider herumgerissen werden soll. Schon seit einiger Zeit wird gemutmaßt, AOL werde sich größtenteils von seinen ohnehin schon abwanderungswilligen festen Kunden – im Jargon der Firma Mitglieder genannt – trennen und wie die Konkurrenten von Google, Microsoft und Yahoo auf Werbung setzen. In Europa ist Time Warner bereits dazu übergegangen, das Breitband-Geschäft von AOL anderen Firmen zum Kauf anzubieten. Dem Wall Street Journal zufolge prognostiziert AOL durch den Kurswechsel einen Umsatzrückgang beim Verkauf von Internet-Zugängen von derzeit 4,2 Milliarden US-Dollar auf 1,5 Milliarden im Jahr 2009. Dieser soll auf Dauer durch Werbeeinnahmen aufgefangen werden.

Jedoch rechnet AOL dem Bericht nach mit einem Rückgang des Gesamtumsatzes der Sparte einschließlich des Verkaufs von Werbung von 6 Milliarden US-Dollar auf 4,9 Milliarden im Jahr 2008. Im Jahr 2009 soll der Umsatz der Time-Warner-Tochter auf 5,3 Milliarden US-Dollar angestiegen sein. In diesem Bilanzmodell nicht enthalten sind die Zahlen von AOL Europe, dessen Schicksal noch nicht geklärt ist. Momentan schrumpfen bei AOL allerdings auch die Zugriffszahlen: 14,8 Milliarden Page Impressions waren es im Mai 2006, das sind 27 Prozent weniger als im Vergleichsmonat 2005. Im gleichen Zeitraum sind die Zugriffe auf das Yahoo-Angeobt um 10 Prozent auf 38,1 Milliarden gestiegen.

Von den momentan 18,6 Millionen AOL-Nutzern gehen sechs Millionen über einen fremden Breitband-Anbieter ins Internet. Diese Nutzer sollen ihre Mitgliedschaft künftig kostenlos erhalten. Kunden, die über AOL per Schmalband ins Internet gehen, werde ein Wechsel zu einem fremden Breitband-Provider angeboten, schreibt die New York Times weiter. AOL rechnet damit, dass diese Kunden weiterhin der Time-Warner-Tochter nutzen werden, wenn sie beispielsweise ihren E-Mail-Account kostenlos behalten können. Auch Gratis-Software könnte dazu beitragen, dass die Aufmerksamkeit für die AOL-Webseiten gesteigert wird.

Auf den Webseiten, über die AOL seinen E-Mail-Service anbietet, will das Unternehmen künftig mehr Werbung vermarkten. Dies seien schließlich die meistbesuchten Seiten. Vor kurzem hat AOL damit angefangen, auf den Seiten, auf denen die Kunden ihre E-Mails lesen können, Werbung zu schalten. Darunter seien auch solche Anzeigen, die aussehen, als seien sie Bestandteil der E-Mail, heißt es weiter in dem Bericht.

Konsequenzen von Millers Plan wären ein Stopp der Vermarktung der AOL-Internetzugänge, gesunkene Gebühren für die verbliebenen Kunden und tausende Entlassungen, schreibt die New York Times. Analysten kritisieren demnach, AOL und Time Warner orientierten sich zu sehr an dem darbenden Aktienkurs, anstatt sich voll auf das Geschäft zu konzentrieren. Die Aktie werde einer verbesserten Leistung folgen, zitiert die Zeitung die Merrill-Lynch-Analystin Jessica Reif Cohen. Michael Zeman von Starcom MediaVest erinnert AOL an Chicago vor dem großen Brand. Momentan hinke AOL der Konkurrenz hinterher, vermutlich sei das Unternehmen aber gut positioniert, um mit seinem Breitband-Angebot vor MSN und Yahoo abzuschneiden.

Allerdings, so schreibt das Wall Street Journal, hatte AOL im vergangenen Jahr einen Aderlass an diversen hochrangigen Managern hinnehmen müssen. AOL-Chef Miller selbst hatte bereits einige Anläufe genommen, seine Firma wiederzubeleben, heißt es in der Zeitung: Mit AOL als Online-Shopping-Dienstleister, mit einem Premium-Service und exklusiven Inhalten sowie einem Breitband-Zugang für 25,90 US-Dollar im Monat und zuletzt mit AOL.com als Portal. (anw)