Bericht: Ă„rzte bei Start-up Avi Medical mit Zielvorgaben unter Druck gesetzt

Das Start-up Avi Medical kauft Praxen auf und digitalisiert sie mit eigener Software. Nach aktuellen Recherchen geht es dabei eher weniger um das Patientenwohl.

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Ă„rztin mit einem Tablet

(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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Avi Medical kauft Praxen auf und modernisiert sie mit eigener Software. Viele Patienten können vor Ort, aber auch telemedizinisch in der App behandelt werden. Ärzte sollen sich um das Thema Digitalisierung nicht mehr kümmern müssen und erhalten im Gegenzug eine moderne Ausstattung, wenn sie sich in die Hände des Dienstleisters begeben. Dass diese Abhängigkeit für die inzwischen rund 14 Hausarztpraxen auch Folgen haben kann, zeigen aktuelle Recherchen von Business Insider. Demnach bestehen Vorwürfe, dass bei Versicherten nicht erfolgte Behandlungen abgerechnet wurden.

Teilweise sollen Patienten sogar überhaupt nicht erst untersucht worden sein. Versicherte wussten oft nichts davon. Mitarbeiter, die an dem Vorgehen Kritik übten, haben das Unternehmen verlassen müssen. Aus den Business Insider vorliegenden internen Dokumenten geht hervor, dass sich die ärztlichen Leitungen zweier Avi-Praxen beschwerten, das Unternehmen würde Vorgaben machen, damit Ärzte möglichst lukrativ abrechnen. Die ärztlichen Leitungen mehrerer Avi-Praxen hatten sich Ende 2021 beim Management in einem gemeinsamen Brief über die Abrechnungspraxis ihres Unternehmens beschwert. Mehrere derzeitige und ehemalige Angestellte hätten dies ebenfalls bestätigt.

Gegenüber Business Insider bestreitet Avi-Gründer und COO, Julian Kley, die Vorwürfe. Den Brief habe es zwar gegeben, allerdings seien die Abrechnungen durch eine Abrechnungs-Managerin durchgeführt worden, die "Abrechnungen prüft und Suchläufe durchführt". Dabei könne es "natürlich vorkommen, dass eine Ziffer ursprünglich fälschlicherweise zu viel oder zu wenig angesetzt wurde". Nicht erfolgte, aber trotzdem abgerechnete Untersuchungen habe es jedoch nicht gegeben.

Den Recherchen zufolge hat es auch Zielwerte für "extrabudgetäre Zusatzleistungen" – die Ärzte in jedem Fall mit den Krankenkassen abrechnen können – gegeben. Avi Medical wollte die entsprechenden Behandlungen mehr als viermal so häufig abgerechnet haben. Auf Ärzte wirkten diese Zielwerte wie "ein Druckmittel". Gegenüber Business Insider behauptet Kley, dass die Werte in der Tabelle dem Qualitätsmanagement dienen und von den Kassenärztlichen Vereinigungen bereitgestellt würden.

Hierzulande ist das Geschäftsmodell von Avi Medical und Unternehmen wie Doktor.de und Patient21 heftig umstritten. Die Systeme decken den gesamten Patientenzyklus ab – von Terminbuchungen über digitale Fallpauschalen und Abrechnungen bis hin zu Videosprechstunden. Dabei werden in den Praxisverwaltungssystemen auch allerlei Daten zusammengeführt. Die Arztpraxen werden zu medizinischen Versorgungszentren zusammengeführt.

Dank der Technik und der Apps für Patienten würden die Ärzte und das Management sehr schnell profitabel. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach befürchtet laut Business Insider, dass die Unternehmen die Verschreibung von besonders lukrativen Behandlungsmethoden forcieren. Daher will Lauterbach dem künftig mit einem Gesetz entgegenwirken. Falls das Gesetz tatsächlich kommt, würden Unternehmen wie Patient 21 sich vermehrt aufs Ausland konzentrieren.

(mack)