Bionic Reading: Wie eine typografische Methode das Web lesbarer machen soll

Seit Kurzem steht die Lesemethode Webentwicklern und für Apps per Schnittstelle zur Verfügung. Wie Erfinder Renato Casutt darauf gekommen ist.

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Mit der Lesemethode Bionic Reading sollen digitale Texte besser zu lesen sein.

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Mit einer Lesemethode namens Bionic Reading soll das Lesen von Texten besonders online einfacher werden. Seit einigen Jahren ist die Technik bereits in einigen Apps, wie dem RSS-Reader Reeder für iOS und macOS integriert. Vor kurzem hat Erfinder Renato Casutt eine Schnittstelle freigegeben, mit der Web- und App-Entwickler die Methode nutzen können. Neu gibt es auch eine Browsererweiterung für Google Chrome.

Auf den ersten Blick sieht Bionic Reading wie ein Darstellungsfehler aus: Mehrere Buchstaben eines jeden Wortes sind fett geschrieben. Was wahllos wirkt, hat System. Das Hervorheben der Anfangsbuchstaben regt das Gehirn dazu an, die Wörter zu vervollständigen. Dadurch erhöht sich der Lesefluss. Texte sind leichter zu lesen.

Viele kennen den Effekt von Buchstabendrehern in Worten: Die werden gerne mal übersehen, da das Gehirn den Fehler automatisch korrigiert.

"Wie ich auf Bionic Reading gekommen bin ist eine etwas sonderbare Geschichte", erinnert sich Renato Casutt auf Nachfrage von heise online. "Es war so, dass ich während meines Studiums eine Buchgestaltung für einen Schweizer Bestseller-Autor erarbeiten durfte. Sozusagen eine kleine Competition. Dieser Buchautor hat jedoch seine Texte nicht in deutscher Schriftsprache verfasst, sondern in einer Dialektform der Schweizer Sprache, die ich mit Lesen nicht verstanden habe. So habe ich gemerkt, dass ich grosse Schwierigkeiten habe, den Text zu lesen." Dabei sei ihm aufgefallen, dass das Lesen von Fragmenten eine gute Methode ist, um den Dialekt, den er sonst nur vom Hören kennt, auch in Textform zu verstehen. Und aus diesem Erlebnis heraus sei dann die Methode entstanden.

Nachdem Bionic Reading einige Jahre nur ausgewählten Apps vorbehalten blieb, sei die Resonanz auf die Öffnung sehr positiv: "Obschon mir bewusst ist, dass vor allem iOS-/MacOS-Entwickler Bionic Reading lieber nativ in ihrem Produkt haben wollen." Die API macht es besonders für Webentwickler leicht, die Lesemethode auf Webseiten zu integrieren. Mit der Chrome-Browsererweiterung kann die Lesemethode einfach auf Webseiten genutzt werden.

Die Wertschätzung für gute Typografie im Netz steigt. Erst im April wurde bekannt gegeben, dass die Web Fonts Working Group des W3C für die Einführung von Web-Schriftarten ausgezeichnet wurde. Mit Blick auf das gesamte Web sieht der typografische Gestalter aber noch viel Luft nach oben, wenn es um gute Lesbarkeit geht. "Und das nicht nur bei Indie-Entwicklern oder Laien-Websites. Nein, auch große bis ganz große Unternehmen unterschätzen die Möglichkeiten für ein stringentes Lesen", sagt Casutt. "Aber ich hoffe sehr, dass durch die Aufmerksamkeit, die Bionic Reading derzeit erlangt, auch das Bewusstsein für Typografie und optimales Lesen am Bildschirm geschärft wird."

(mki)