Branchenreport Medizintechnik: Wachstum auf Rezept

Medizintechnik ist ein Wachstumsmarkt beim Umsatz und in der Beschäftigung. Die Branche bietet zukunftssichere Jobs, die Menschen helfen und Leben retten.

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eHealth, Big Data in der Medizin, Medizintechnik, Puls
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Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Dialysegeräte zur Blutwäsche gibt es schon lange. Im vergangenen Jahr wurde die künstliche Niere 75. Das ist ein stolzes Alter für ein medizintechnisches Gerät. Was die Grundfunktion betrifft, hat sich in all den Jahren an der Waschmaschine fürs Blut nichts geändert: Hydraulik zieht das Blut aus dem Körper, das läuft durch Filter, die die Funktionen der Nieren nachbilden, dann wird das Blut frei von giftigen Stoffen in den Körper zurückgepumpt.

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Für die Dialyse werden eigentlich immer zwei Zugänge gebraucht: einer für die Entnahme des Blutes, am anderen wird es in den Körper zurückgeführt. "Innovationen an den Dialysegeräten sind differenzierte Therapieformen für bestimmte Patientengruppen“, sagt Michael Reindl, Leiter Entwicklung Dialysegeräte bei B. Braun in Melsungen. Der Medizintechnikhersteller hat für Patienten mit schlecht ausgebildetem Zugang zum Blutgefäß eine Therapievariante entwickelt, bei der Blutentnahme und –rückführung über eine einzige Nadel möglich sind. Dafür braucht die Maschine eine andere Steuerung. Reindel, von Beruf Informatiker, hat rund 150 Mitarbeiter. Weltweit hat das Unternehmen 74.000 Beschäftigte, davon 16.000 In Deutschland. In den vergangenen fünf Jahren hat B. Braun seinen Personalbestand pro Jahr um etwa fünf Prozent aufgestockt.

Medizintechnik ist ein stetiger Wachstumsmarkt. "Der Umsatz der Branche lag im vergangenen Jahr bei geschätzten 31 Milliarden Euro“, sagt Marcus Kuhlmann, Leiter des Fachverbands Medizintechnik im deutschen Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien Spectaris. Seit Jahren steigt der Umsatz kontinuierlich zwischen drei und vier Prozent. Bei der Beschäftigung sind die Wachstumsraten ähnlich. Nach Auskunft des Bundesverbands Medizintechnologie hat die Branche aktuell rund 200.000 Mitarbeiter. In den letzten fünf Jahren sind über 12.000 neue Stellen entstanden.

"In erster Linie werden Ingenieure gesucht, im Idealfall mit medizintechnischem Hintergrund“, sagt Kuhlmann und meint damit insbesondere Medizintechnik-Ingenieure. Solche speziellen Studiengänge gibt es immer mehr. Auch Wirtschaftswissenschaftler sind nach wie vor stark gefragt, außerdem Mediziner, Biotechnologen "und immer mehr Juristen, weil immer stärker reglementiert wird“, stellt der Verbandsmann fest. Einen speziellen dualen Ausbildungsberuf gibt es für die Branche nicht.

B. Braun bildet jährlich etwa 60 Azubis in einem technischen Beruf aus. Darunter Mechatroniker, Elektroniker und Fachinformatiker. "Einen Teil davon qualifizieren wir parallel zur Ausbildung über ein duales Studium zu Ingenieuren und Informatikern weiter“, sagt Personalchef Jürgen Sauerwald. Und das Unternehmen stellt Absolventen dieser Fachrichtungen ein. Zurzeit werden insbesondere Informatiker gesucht. "Leider wissen viele Studenten dieser Fachrichtung nicht, dass es für sie in der Medizintechnik spannende Jobs gibt“, so Sauerwald. Anders ist das bei Medizin-Informatikern, denn auch dieses Studienfach gibt es.

Von Reindels 150 Mitarbeitern haben fast alle studiert. Bei jedem fünften stand das Wort "Medizin" im Studienfach. Die anderen sind Maschinenbauer, Elektrotechniker oder Informatiker. "Wir brauchen die Mischung aus Spezialisten und Generalisten“, sagt Reindel. Die speziell für die Medizintechnik ausgebildeten Mitarbeiter sind eher die Generalisten, weil universell einsetzbar. Ein Job in der Medizintechnik hat viel mit Softskills zu tun. „Wir entwickeln Produkte, die die Gesundheit von Menschen schützen und verbessern oder, wie im Fall der Dialysemaschinen, das Leben erhalten“, so Reindel.

Daher muss die Motivation an der Arbeit eine besondere sein. Eine andere geforderte Fähigkeit ist die des vertikalen Arbeitens: breit denken, vernetzt arbeiten, mit unterschiedlichen Disziplinen. Und, ganz wichtig, wie schon geschrieben, ist Medizintechnik stark reglementiert. Das spiegelt sich in der täglichen Arbeit wider, weil sie klar definierten Prozessen folgt mit einer Dokumentation aller Arbeitsschritte. B. Braun entwickelt und produziert Dialysegeräte, Infusionssysteme und Verbrauchsmaterialien wie Katheder. Bei solchen Nichtaktiven Systemen wie dem zuletzt genannten sind Ingenieure vor allem darin gefordert, einen einfachen Artikel in hohen Stückahlen automatisiert zu produzieren.

Kuhlmann vom Fachverband erwartet weiterhin kontinuierliches Wachstum beim Umsatz und in der Beschäftigung. "Alles andere wäre aufgrund der demographischen Entwicklung wenig realistisch.“ Auf der Nachfrageseite sind die Treiber des Wachstums die wachsende Weltbevölkerung und immer mehr ältere Menschen aufgrund der demografischen Entwicklung. Ältere sind anfälliger für Krankheiten als Junge. Steigendes Gesundheitsbewußtsein sowie Einführung oder Modernisierung der Gesundheitssysteme in Schwellenländern erhöht ebenfalls die Nachfrage. Bei einer Exportquote von etwa zwei Dritteln ist das Ausland der wichtigste Markt für die Medizintechnik.

Der größte Treiber für Wachstum ist auf der Angebotsseite die Digitalisierung. "Einerseits die Produktionsprozesse mittels Industrie 4.0, zum anderen die Digitalisierung der medizinischen Prozesse“, so Kuhlmann. Telemedizin, Telemonitoring und E-Health, etwa Fitness-Apps in Verbindung mit Wearables zum Blutdruckmessen. Der Fachverband Medizintechnik hat im Herbst 2018 eine Studie zur Gesundheit 4.0 in Auftrag gegeben. Die kam zu dem Ergebnis, dass der Umsatz mit solcher digitaler Medizintechnik in zehn Jahren um das Fünffache auf dann 15 Milliarden ansteigen wird. Das wäre ein Drittel des gesamten Umsatzes mit digitalen Produkten.

Neben B. Braun gehören Fresenius und Siemens Healtineers zu den größten Arbeitgebern der Branche. Das Gros der Medizintechnikunternehmen aber stellen mittelständische Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern. Nach Auskunft von Sauerwald liegt das Anfangsgehalt von Facharbeitern bei etwa 35.000 Euro jährlich, das von Ingenieuren und Informatikern bei 60.000 Euro. (axk)