Brandbrief der Wirtschaft: KI-Verordnung gefährdet technologische Souveränität

Über 150 Manager europäischer Unternehmen wie Airbus, Deutsche Telekom und Siemens fordern die EU-Gesetzgeber auf, ihren Plan zur KI-Regulierung zu überdenken.

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(Bild: Erstellt mit Midjourney durch heise online)

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Spitzenkräfte der europäischen Wirtschaft schlagen in einem offenen Brief an die Vertreter der Kommission, des Parlaments und des Ministerrats der EU Alarm, dass der aktuelle Entwurf für eine Verordnung für Künstliche Intelligenz (KI) "die Wettbewerbsfähigkeit und technologische Souveränität Europas gefährden" würde. Die Herausforderungen, "vor denen wir aktuell und künftig stehen", gehe die Initiative dagegen nicht wirksam an. Die massive Kritik bezieht sich vor allem auf die Position, die die EU-Abgeordneten Mitte Juni abgesteckt haben und mit der sie nun in die Verhandlungen über einen endgültigen Kompromiss mit den Mitgliedsstaaten und der Kommission gehen.

Vor allem bei Systemen generativer KI, die neue Texte, Bilder, Musik oder Videos auf Basis vorhandener, oft geschützter Werke und damit trainierter grundlegender Modelle generieren kann, drohen den Briefschreibern zufolge Rückschläge. Vor allem hier eingesetzte europäische KI-Basismodelle würden "unabhängig von ihren Anwendungsfällen stark reguliert" – gemeint sind Foundation Models wie das hinter ChatGPT von OpenAI oder Luminous von Aleph Alpha. Unternehmen, die in Europa solche Systeme entwickeln und implementieren, "wären mit unverhältnismäßigen Compliance-Kosten und Haftungsrisiken konfrontiert". Eine solche Regulierung könnte dazu führen, dass hochinnovative Firmen "ihre Aktivitäten ins Ausland verlagern und Investoren ihr Kapital aus der Entwicklung europäischer" KI-Systeme abzögen. Das Ergebnis wäre "eine kritische Produktivitätslücke zwischen beiden Seiten des Atlantiks".

Zu den Unterzeichnern des Appells zählen über 150 Führungskräfte von Unternehmen und Verbänden wie Airbus, Bitkom, Burda, Deutsche Post, Dr. Oetker, Eon, FlixBus, Heineken, Holtzbrinck, Orange, Renault, Siemens und Viessmann. Auch Timotheus Höttges und Ralph Dommermuth, die Chefs der Deutschen Telekom und des 1&1-Mutterkonzerns United Internet, haben unterschrieben.

"Wie die Erfindung des Internets oder der Durchbruch von Siliziumchips ist auch die generative KI eine Technologie, die für die Leistungsfähigkeit und damit die Bedeutung verschiedener Regionen entscheidend sein wird", heben die Verfasser hervor. "Staaten mit den leistungsstärksten großen Sprachmodellen werden einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil haben." Chatbots würden etwa Suchmaschinen ersetzen "und sich als Assistenten unseres täglichen Privat- und Berufslebens etablieren". Damit entwickelten sie sich "zu leistungsstarken Werkzeugen, die nicht nur unsere Wirtschaft, sondern auch unsere Kultur prägen". Europa könne es sich "nicht leisten, abseits zu stehen".

Die "inhärente Komplexität" und die Schwierigkeiten, die generative KI mit sich bringt, sowie die "unbestreitbare Notwendigkeit einer angemessenen Regulierung" wollen die Manager keineswegs leugnen. Angesichts der "tiefgreifenden Auswirkungen der KI auf viele Lebensbereiche" sei es unerlässlich, "diese Modelle ordnungsgemäß zu trainieren und ihre sichere Verwendung zu gewährleisten". Sorgfaltspflichten bei der Modellentwicklung, die standardmäßige Kennzeichnung KI-generierter Inhalten sowie Sicherheitstests vor der Einführung neuer Modelle müssten durchgesetzt werden. Dafür reichte aber die Selbstregulierung der Wirtschaft aus.

Entsprechende Regeln gesetzlich zu verankern und "mit einer starren Logik" für deren Einhaltung zu versehen, sei jedoch ein "bürokratischer Ansatz" und erfülle letztlich nicht seinen Zweck, ist dem Aufruf zu entnehmen. Das europäische Recht sollte sich demnach "auf die Festlegung allgemeiner Grundsätze in einem risikobasierten Ansatz beschränken. Die Umsetzung dieser Prinzipien könnte einer speziellen Regulierungsbehörde übertragen werden, die sich aus Experten auf EU-Ebene zusammensetzt". Wichtig sei dabei ein agiler Prozess, der in der Lage ist, sich kontinuierlich an das schnelle Tempo der technologischen Entwicklung anzupassen. Nur so könne Europa "Teil der technologischen Avantgarde" werden, von der die Zukunft des Kontinents maßgeblich abhänge.

Der Aufbau eines transatlantischen Gesetzesrahmens wird von den Verfassern des Appells ebenfalls gefordert und als Voraussetzung für die Einführung glaubwürdiger Schutzmaßnahmen und die "Schaffung rechtlich verbindlicher sowie fairer und gleicher Wettbewerbsbedingungen" betrachtet.

Zuvor hatte etwa der mitunterzeichnende KI-Bundesverband gewarnt, dass der Kurs des Parlaments "eine unbegründete und unverhältnismäßige Angst vor einer neuen Technologie" widerspiegele. Die Volksvertreter stellten KI-Basismodelle "unter Generalverdacht im Sinne einer Hochrisiko-Anwendung" und gefährdeten deren Entwicklung so langfristig.

"Es ist bedauerlich, dass die aggressive Lobby einiger weniger andere seriöse Unternehmen kapert", hält Dragoș Tudorache, einer der Verhandlungsführer des Parlaments, dagegen. Der Gesetzentwurf sehe "einen von der Industrie geleiteten Prozess zur Definition von Standards" und ein "leichtes Regulierungssystem" vor. "Das erfordert Transparenz", unterstrich der Liberale, "sonst nichts."

OpenAI hat sich bereits erfolgreich dafür eingesetzt, dass wesentliche Teile der geplanten Verordnung abgeschwächt und die Auflagen für das US-Unternehmen reduziert werden. Laut einem jüngst publik gewordenen Lobby-Papier schlug der Microsoft-Partner einschlägige Änderungen vor, die das Parlament in seiner Linie zu der weltweit beachteten Gesetzesinitiative übernahm. Demnach soll generative KI nicht von vornherein als Hochrisiko-Technologie eingestuft werden. Betreiber von Basismodellen müssten diese aber auf vorhersehbare Risiken für Gesundheit, Sicherheit, Grundrechte, Umwelt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hin prüfen und ausgemachte Gefahren gegebenenfalls abmildern.

Update

Absatz zum transatlantischen Framework ergänzt. (sih)

(hag)