Brasiliens Präsident will Moderation von sozialen Netzwerken beschränken

Jair Bolsonaro – wegen seiner Aktivität auf Netzwerken selbst in der Kritik – will Möglichkeiten der Betreiber beschränken, Inhalte und Accounts zu sperren.

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Zwei Nutzer sozialer Medien schütteln Hände.

(Bild: gov.br)

Lesezeit: 3 Min.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat ein Dekret erlassen, mit dem die Moderation von Inhalten auf sozialen Netzwerken beschränkt werden soll. Die willkürliche und unmotivierte Entfernung von Konten, Profilen und Inhalten könne die öffentliche Debatte beeinträchtigen und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einschränken, gibt Bolsonaro als Grund an.

Laut dem Dekret, das Bolsonaro am Tag vor dem heutigen Unabhängigkeitstag seines Landes erlassen hat und das noch vom brasilianischen Parlament bestätigt werden muss, müssen Betreiber sozialer Netzwerke einen nicht näher erläuterten "gerechtfertigten Grund" angeben, wenn sie einen Account löschen oder sperren. Sie müssen Nutzer über einen solchen Vorgang informieren und dabei Wege aufzeigen, die Entscheidung anzufechten.

Falls sich Bolsonaro mit seinem Vorhaben durchsetzt, würde Brasiliens Marco Civil da Internet modifiziert werden. Die 2014 erlassene "Internet-Verfassung" des Landes regelt die Rechte der Internetnutzer und -nutzerinnen; darüber hinaus sollen Provider nicht für Inhalte haften, die Nutzer bei ihnen veröffentlichen, sie sollen aber gerichtlichen Anordnungen folgen, um solche Inhalte zu löschen, die gegen die Gesetze verstoßen. Nach dem Willen Bolsonaros soll das Marco Civil da Internet unter anderem um Passagen erweitert werden, durch die Nutzer und Nutzerinnen über Strategien und Verfahren von sozialen Netzwerken für die Inhaltsmoderation besser informiert werden.

Facebook befürchtet laut dem brasilianischen Sender Globo, dass seine Möglichkeiten eingeschränkt werden, gegen missbräuchliche Verwendung seiner Plattform vorzugehen. Experten stimmten dem Betreiber zu, dass das Dekret verfassungsmäßige Rechte und Garantien verletze. Google betont, dass seine Richtlinien für Youtube Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Experten und der Zivilgesellschaft seien, mit denen die Vielfalt der Meinungen erhalten werde.

Twitter betont, das Marco Civil da Internet sei das Ergebnis eines breiten und demokratischen Diskussionsprozesses unter Unternehmen, Wissenschaft, Nutzer, Behörden und Zivilgesellschaft gewesen. Es gelte als innovativ im Schutz der Nutzerrechte, bei der Erhaltung von Innovation und freiem Wettbewerb. Bolsonaros Dekret widerspreche allem, was mit diesem Prozess war und was damit aufgebaut wurde.

Das unabhängige brasilianische Forschungszentum Internetlab meint, Bolsonaro schade mit seinem Schritt den Internetnutzern. Es vergleicht ein soziales Netzwerk mit einem Konzertsaal, in dem manches Verhalten nicht toleriert werde. Auch müsse ein Netzwerk wie Wikipedia in der Lage sein, Inhalte zu entfernen, die seinen Kriterien nicht entsprechen. Zudem würden Dienste mit Spam überschwemmt, dem Einhalt geboten werden müsse, damit diese weiter arbeiten können.

Facebook hatte im Sommer 2020 Accounts, Seiten und eine Gruppe aus seinem sozialen Netzwerk sowie Konten bei Instagram entfernt, die einem Desinformationsnetzwerk brasilianischer Konten von Bolsonaro-Anhängern zugeordnet werden konnten. Später löschte Facebook diese Accounts auch im Ausland. Bolsonaro selbst wird von Reporter ohne Grenzen vorgeworfen, vor allem über soziale Medien immer wieder gegen Reporter gehetzt zu haben.

Ähnlich wie Bolsonaro geht auch der US-Bundesstaat Florida mit dem Hebel der Meinungsfreiheit gegen die Obligenheiten von Betreibern sozialer Netzwerke vor. Diesen ist es dort nun verboten, Kandidaten und Kandidatinnen für öffentliche Ämter länger als 14 Tage zu sperren. Das Gesetz gilt als eine direkte Antwort auf das Vorgehen von Twitter, Facebook & Co. gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.

(anw)