Britischer Ausstieg könnte EU-Gemeinschaftspatent gefährden

Großbritannien hat seine Ratifizierung des EU-Gemeinschaftspatents widerrufen. Deutschland will weitermachen, sieht sich jedoch juristischer Kritik ausgesetzt.

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Britischer Ausstieg könnte EU-Gemeinschaftspatent gefährden

(Bild: Maksim Kabakou/Shutterstock.com)

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Von
  • Christian Kirsch
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Bevor überhaupt die nötigen Institutionen existieren, wird die Zukunft des EU-Gemeinschaftspatent immer unsicherer: Die britische Regierung unter Boris Johnson hat jetzt die noch von Vorgängerin Theresa May vorgenommene Ratifizierung des Abkommens über das Patentgericht (EPGÜ) widerrufen. Dieser Schritt konnte kaum überraschen, da Johnson sämtliche Bindungen zur EU kappen will. Vor allem sollen EU-Gesetze im Vereinigten Königreich keinen Vorrang vor nationalen Regeln haben, wie es das Patentabkommen vorsieht.

Mit dem endgültigen britischen Ausstieg dürften auch die Kritiker des deutschen Vorgehens bei der Ratifizierung ihre Position gestärkt sehen. Zwar hatte der Bundestag das entsprechende Gesetz 2017 gebilligt, das Bundesverfassungsgericht erklärte das Vorgehen jedoch Ende März 2020 für verfassungswidrig. Es verlangte die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, die seinerzeit bei weitem nicht erreicht war.

Widerspruch kommt auch vom Deutschen Anwaltsverein (PDF-Dokument), der das EU-Gemeinschaftspatent grundsätzlich begrüßt. Er wendet jedoch unter anderem ein, das Abkommen enthalte zahlreiche Elemente des anglo-amerikanischen Verfahrens. Da nach dem Brexit Irland das einzige EU-Mitglied sei, das diesen Prinzipien folge, könnte es Bedarf für Nachverhandlungen des zwischenstaatlichen Vertrages geben.

Ein zentraler Aspekt des Abkommens über das EU-Patentgericht ist der Sitz seiner drei Kammern: Bisher sind dafür Paris, München und London vorgesehen. Da London nun ausfallen wird, müsste ein neuer Standort gefunden werden. Die Bundesregierung und die EU-Kommission möchten diesen jedoch erst nach Inkrafttreten des Abkommens festlegen. Bis dahin sollen Paris und München die Aufgaben der Londoner Zweigstelle übernehmen. Diese Aufteilung sieht nicht nur der Deutsche Anwaltsverein als problematisch an.

Auch die italienische Regierung erhebt in einem Positionspapier Einwände dagegen. Sie vertritt die Auffassung, als EU-Mitglied mit der drittgrößten Anzahl von Patentanmeldungen (nach Deutschland und Frankreich) stehe ihm der ursprünglich in Großbritannien geplante Sitz des Patentgerichts zu. Eine Übertragung der Londoner Zuständigkeit auf Paris und München bedeute eine Änderung des Abkommens über das EU-Patentgericht und sei damit eine Verletzung des Wiener Übereinkommens über Recht der Verträge von 1969.

Dem Ende 2012 beschlossenen EU-Gemeinschaftspatent gingen jahrzehntelange Verhandlungen voraus. Im Ergebnis entstand ein kompliziertes Konstrukt: Einerseits eine EU-Verordnung, die den Rahmen für die EU-weiten Patente absteckt und in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltendes Recht ist. Andererseits sind das gesamte materielle Patentrecht sowie die Gerichtsbarkeit jedoch in einem zwischenstaatlichen Abkommen geregelt, das nicht Teil es EU-Rechts ist.

Es handelt sich vielmehr um einen Vertrag zwischen den Mitgliedsstaaten, den 13 von ihnen ratifizieren müssen, damit er in Kraft treten kann. Großbritannien, Frankreich und Deutschland müssen zu diesen gehören. Er legt unter anderem die Regeln für Patente und den Sitz des EU-Patentgerichts fest.

Als Vorteil gegenüber dem seit Jahrzehnten existierenden Europäischen Patent, an dem nicht nur die EU-Staaten beteiligt sind, führen die Anhänger des Gemeinschaftspatent Vereinfachungen an. Es gelte automatisch in der gesamten EU und müsse nur in Englisch, Französisch oder Deutsch beantragt werden. Europäische Patente hingegen sind für jedes Land, in dem sie gelten sollen, separat zu übersetzen und zu beantragen. (ck)