Bundestag zu Wirecard: "Das ist kollektive Unverantwortlichkeit"

Der schwere Bilanzskandal beim Dax-Konzern Wirecard hat im Bundestag zu einer bewegten Debatte geführt. Die Finanzaufsicht soll reformiert werden.

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Bundestag zu Wirecard: "Das ist kollektive Unverantwortlichkeit"

(Bild: Wirecard)

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Cum-Ex, Anlegerskandal, jetzt Wirecard. "Wir müssen endlich aus Fehlern lernen und Strukturen schaffen, dass effektiv geprüft wird", forderte der Grüne Danyal Bayaz am Donnerstag im Bundestag bei einer von seiner Fraktion beantragten aktuellen Stunde zu der Bilanzaffäre bei Wirecard. Es dürften jetzt nicht nur sämtliche Beteiligte mit dem Finger auf den jeweils anderen zeigen.

Im Fall Wirecard hätten sich bei den Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young (EY) und den Aufsichtsbehörden alle nur auf den anderen verlassen, monierte Bayaz: "Das ist kollektive Unverantwortlichkeit." Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) habe selbst jetzt noch die Chuzpe zu sagen, dass das seit Mitte Februar laufende Verfahren gegen Wirecard "im Juli 2020" beendet sein dürfte.

Der Oppositionspolitiker rief den bei der Sitzung nicht anwesenden Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) auf, er müsse jeden Stein umdrehen und die Aufsicht so aufstellen, dass sie endlich ihren Job machen könne. Seit Jahren gebe es Vorwürfe über gefälschte Bilanzen bei dem insolventen Unternehmen, die irgendwann auch mal über den Schreibtisch des Ministers gegangen sein müssten. Die Aufsicht habe prinzipiell eine unverzichtbare Funktion in der sozialen Marktwirtschaft. Dafür brauche sie aber auch gut bezahlte IT-Experten und kriminalistisch denkende Leute.

Der Skandal "hat den Finanzplatz Deutschland erschüttert", sagte Matthias Hauer (CDU). Ein Drittel der Bilanzsumme Wirecards sei eine Fata Morgana, "da gibt es sehr viel aufzuklären" und Versäumnisse gehörten offen auf den Tisch. Der "einmalige Vorgang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte" müsse "konsequent und lückenlos aufgeklärt" werden. Hauer plädierte dafür, Lücken und Schwächen im Aufsichtsregime etwa von Fintechs zu schließen, wobei sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf ihre wichtigen Kernaufgaben konzentrieren sollte.

Regierungsvertreter hätten den Vertrag mit der DPR gekündigt, unterstrich Jens Zimmermann (SPD). "Jetzt müssen wir mit der Aufklärung schauen, wie wir das Ganze neu aufstellen." Nötig seien etwa "schnellere Eingriffsmöglichkeit für die BaFin". Schwarz-Gelb habe aber vor einigen Jahren verhindert, dass die Instanz mehr Kontrollbefugnisse erhält. Bei dem Finanzbetrug sei "nicht zu knapp" kriminelle Energie im Spiel gewesen. Es habe offenbar auch Insidergeschäfte gegeben, weshalb die Staatsanwaltschaft München ermittele.

Die BaFin müsse entweder grundlegend reformiert werden oder gehöre als "Kostenmonster" weg, verlangte Kay Gottschalk (AfD) und sprach von einer "Bananenrepublik". Kontrolleure und Wirtschaftsprüfer hätten sich offenbar durch Taschenspielertricks am Farbkopierer täuschen lassen. Die BaFin habe "nichts gesehen, nicht gehört und nichts gesagt", beklagte Frank Schäffler für die FDP. Schon 2019 sei klar gewesen, dass die zunächst zuständige DPR als 25-Mann-Bude überfordert gewesen sei. Von einer "Blamage für den Bilanzplatz Deutschland" sprach der Linke Fabio de Masi.

BaFin-Präsident Felix Hufeld hatte am Mittwoch im Finanzausschuss des Parlaments das Verhalten seiner Behörde verteidigt. Die Institution habe im Januar 2019 anonyme Hinweise wegen Wirecard bekommen, legte er offen. Etwas später habe es besorgniserregende Artikel in der Financial Times gegeben. Dies habe die BaFin veranlasst, ihr "schärfstes Instrument" mit Blick auf Bilanzfragen anzuwenden und die DPR zu einer Bilanzprüfung aufzufordern. Solange die "Bilanzpolizei" dran sei, dürfe die BaFin selbst nicht tätig werden. Deren Bericht liege aber bis heute nicht vor.

Dieses zweistufige System habe Defizite, wenn die Dinge eskalierten, meint Hufeld. Wirecard sei ein Technologieunternehmen und keine Finanzholding, wo die BaFin von Anfang tätig werden könne. Dem Vernehmen nach hatten voriges Jahr auch die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bundesbank dafür plädiert, Wirecard als Tech-Firma mit mehr Spielraum einzustufen.

Ausschussmitglieder kritisierten nach der nicht-öffentlichen Sitzung, dass viele Fragen unbeantwortet geblieben seien. Aktionärsschützer sprechen sich unterdessen dafür aus, die Skandalfirma sofort aus dem Dax zu werfen. Ein weiterer Verbleib im deutschen Leitindex tue der Börse und dem Standort Deutschland nicht gut, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler, der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Die Affäre hat inzwischen auch fünf Tochterfirmen in Mitleidenschaft gezogen. Wie das Münchner Amtsgericht am Donnerstag mitteilte, haben sie ebenfalls Insolvenz beantragt. Vorläufiger Insolvenzverwalter ist wie bei der Wirecard AG der Rechtsanwalt Michael Jaffé, der den Zahlungsdienstleister zerlegen will. Die betroffenen Unternehmen, die Dienstleistungen und Software für das Mutterhaus anbieten, sitzen ebenfalls im Münchner Vorort Aschheim. Dazu zählen etwa die Vertriebs- und Marketinggesellschaft Wirecard Global Sales und die Softwarefirma Wirecard Issuing Technologies.

(mho)