Chatkontrolle: EU-Bürgerbeauftragte rügt fliegenden Wechsel von Europol zu Thorn
Die EU-Bürgerbeauftragte O’Reilly bezeichnet es klar als "Missstand", dass ein Europol-Beamter ohne Auflagen zum Chatkontrolle-Dienstleister Thorn gehen durfte.

(Bild: Robert Paul van Beets/Shutterstock.com)
Die scheidende EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly hat Europol getadelt, weil das Polizeiamt in Den Haag einen seiner Beamten ohne jegliche Auflagen zum Chatkontrolle-Dienstleister Thorn wechseln ließ. Der Strafverfolger durfte zudem trotz seines angekündigten Ausscheidens noch zwei Monate bei Europol in derselben Funktion weiter arbeiten. O’Reilly bewertet das als einen "Missstand in der Verwaltungstätigkeit". Die Ermittlungsbehörde habe "nicht alle Risiken eines Interessenkonflikts angemessen berücksichtigt". Dadurch seien "die Integrität und Unparteilichkeit" ihrer Maßnahmen gefährdet worden.
Im Herbst 2023 war ein Lobbydickicht hinter dem umkämpften Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch öffentlich geworden. Eine wichtige Rolle spielte dabei Hollywood-Star Ashton Kutcher, der sich wiederholt für das Durchsuchen privater Nachrichten in Brüssel starkmachte und etwa bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) auf offene Ohren stieß. Die Kommission stützte sich etwa beim Verweis auf die angeblich äußerst niedrige Fehlerquote von Scannern auf unbelegte Angaben der US-Organisation Thorn und ihres kommerziellen Ablegers Safer, die der Schauspieler mitgegründet hat.
Der Ende 2021 zu Thorn gewechselte Europol-Beamte arbeitete zuvor bei dem Polizeiamt an einem KI-Pilotprojekt zur Erkennung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch (CSAM). In seiner neuen Funktion war er etwa beim Bundestag als Lobbyist für die US-Institution registriert und fuhr während der EU-Debatte über die Chatkontrolle sogar zu einem Europol-Treffen mit seinen ehemaligen Kollegen für eine Produktpräsentation. Darüber beschwerte sich der damalige EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) bei der Bürgerbeauftragten. Diese erinnert Europol nun daran, dass EU-Mitarbeiter "den höchsten Standards ethischen Verhaltens folgen" müssten. Vor allem deren Integritätspflichten gälten auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst fort.
Fehlende Aufzeichnungen, menschliche Fehler
"Bei der Beurteilung der Möglichkeit eines tatsächlichen, potenziellen oder wahrgenommenen Interessenkonflikts muss Europol eine Reihe von Faktoren berücksichtigen", führt O'Reilly aus. "Dazu gehören etwaige Überschneidungen von Aufgaben oder Akten, das Risiko einer Reputationsschädigung, die Qualität des Arbeitgebers, die Interessenvertretung gegenüber der Institution und ob die Position bezahlt wird oder nicht." Vieles deute aber darauf hin, dass der Wechsel "vorbehaltlos genehmigt wurde, ohne dass die Agentur die damit verbundenen Risiken wirksam bewertet hatte". Es gebe nicht einmal Aufzeichnungen über die inhaltliche Beurteilung der Stelle innerhalb von Europol, die den Mitarbeiter vorbehaltlos freigegeben habe. Die Empfehlung eines Kontrollgremiums, dem Mitarbeiter dabei Auflagen zu erteilen, sei "offenbar aufgrund menschlicher Fehler" nicht berücksichtigt worden.
Europol hätte sich bei richtiger Handhabe der delikaten Personalie einen öffentlichen "Aufschrei" ersparen können, gibt die Ombudsfrau der Behörde mit. Zugute hält sie Europol, dass das Amt "bis zum Tag seiner Antwort kein Produkt von Thorn gekauft hatte". Dazu komme das Versprechen, von 2025 an, zusätzliche Maßnahmen zur Vorbeugung von Interessenskonflikten wie Versetzungen, veränderten Aufgaben und den Einzug des Informationszugangs für wechselwillige Mitarbeiter einzuführen. Breyer begrüßte das Ergebnis: "Wenn ein ehemaliger Europol-Bediensteter sein internes Wissen und seine Kontakte verkauft, um ihm persönlich bekannte Mitarbeiter der EU-Kommission zu lobbyieren, ist dies genau das, was es zu verhindern gilt." Seit der Enthüllung des "Chatcontrol-Gate" sei bekannt, dass der entsprechende, aktuell feststeckende EU-Entwurf "Produkt der Lobby eines internationalen überwachungsbehördlich-industriellen Komplexes ist".
(olb)