Comdex: Offene Bücher und freies Wissen

Open Source sei wie ein Buch: Was dieses Bild jedoch zu bedeuten habe, darüber sind SCO-Chef Darl McBride und Vertreter der Open-Source-Scene ganz unterschiedlicher Ansicht.

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Von
  • Detlef Borchers

In seiner Präsentation der intellektuellen Besitzansprüche der SCO Group in Las Vegas gebrauchte SCO-Chef Darl McBride den Vergleich der Code-Entwicklung mit dem Verlagsgeschäft. Was bei Linux passiere, das sei wie der Kauf eines Buches im Laden, das anschließend mit einem Kopierer tausendfach illegal vervielfältigt werde. Ausgerechnet der Verleger Tim O'Reilly leitete dann das letzte große Panel der Comdex: Etwa 300 Besucher lauschten einer morgendlichen Diskussion unter dem Titel "The Open Source Paradigm Shift".

Ohne den Vergleich von McBride zu kennen, bemühte auf diesem Panel auch Brian Behlendorf das Buch als Beispiel. Der Mitgründer der Apache Foundation, heute bei Collab.net tätig, erklärte: "Open Source ist wie die Lektüre eines Buches. Ich lese es, lerne etwas daraus und gebe das Wissen an andere weiter." Auch die anderen Vertreter des Panels mit Ausnahme des Microsoft-Sprechers Jason Mazusow brachen eine Lanze für die offene Software. Allan Vermeulen, Cheftechniker von Amazon.com, berichtete den Zuhörern, wie der Buchhändler vom Wechsel profitieren konnte, als 1999 Linux ein proprietäres Unix System V ersetzte. Als besonderen Vorteil stellte Vermeulen heraus, dass Amazon.com seine gesamte eigene Software-Entwicklung wiederum als Open Source freigeben konnte. So haben Nutzer beispielsweise die Amazon-Funktion der persönlichen Bücherlisten entwickelt und Amazon zur Verfügung gestellt. Marten Mickos, Chef des auf der Comdex erstmals ausstellenden Datenbankanbieters MySQL, versuchte zwischen den beiden Polen der geschlossenen und der quelloffenen Software zu vermitteln. Mickos betonte, dass MySQL viele Kunden wie etwa Novell hat, die lieber eine kommerzielle Lizenz des Datenbanksystem erwerben und den jährlichen Upgrade-Zyklus dieser Version schätzen -- von der ansonsten identischen quelloffenen Version erscheint ein monatliches Upgrade.

Jason Matusow, Leiter des Shared Source Program bei Microsoft, betonte, wie viele Programmierer von der Microsoft-Lizenz profitieren würden und höchst erfolgreich einträgliche Komplementär-Produkte zu Windows entwickeln würden. Matusow gab zu bedenken, dass Open Source sich nicht nur in der Frage des intellektuellen Eigentums erschöpfen würde. "Es gibt nicht nur den Code, es gibt Trademarks und Trade Secrets, die beachtet werden müssen. Unser Windows-Code ist ein Handelsgeheimnis und ist dennoch fortlaufend verbessert worden." Brian Behlendorf konterte mit dem Hinweis, dass der TCP/IP-Stack von Windows auf eine quelloffene Entwicklungsgeschichte zurückblicken kann. Alle Beteiligten zeigten sich skeptisch, dass SCO mit seiner Position im Streit gegen IBM Erfolg haben könnte. Tim O'Reilly ging dabei so weit, die Auseinandersetzung um SCO als "vollkommen irrelevant" für die Zukunft der quelloffenen Software-Entwicklung zu bezeichnen.

Im Gegensatz zu früheren Comdex-Messen herrschte im Ausstellerbereich zum Thema Open Source keine gähnende Leere. Dies lag zum Gutteil daran, dass der Verlag O'Reilly die Organisation übernommen hatte und auf eigene Kosten Programmierer von sechs Projekten eingeflogen hatte: Plone, Zope, Gimp, Gnome, KDE und OpenOffice zeigten sich so von kenntnissreicher Seite, daneben schickte die parallel laufende Apachecon Experten. Rings um das Areal hatten sich Firmen angesiedelt, die für Großkunden Support- und Beratungsdienste anbieten, etwa die Progeny Platform Services des ehemaligen Caldera-Chefs Ransom Love.

Noch nicht sichtbar war in Las Vegas der Trend zum quelloffenen Desktop, den sowohl Sun-Chef Scott McNealy in seiner Keynote wie SuSEs Amerika-Chef Holger Dyroff auf einem weiteren Linux-Panel für unausweichlich erklärt haben. Dyroff erklärte, dass die erweiterte Windows-Unterstützung ein Schritt in diese Richtung sei. Auch IBMs Fachmann Sam Docknevich propagierte in Las Vegas diese Entwicklung, wenngleich er Mühe hatte, Berichte über einen Linux-Desktop zu dementieren. Im Rahmen der IBM Global Services hat Docknevich ein Assesment-Center aufgebaut, das Großkunden bei der Einführung von Linux auf Arbeitsplatzrechnern berät. "Wir produzieren kein Linux für den Desktop, wir liefern unseren Kunden ein Go/No-Go Analyse, ob sie Linux einsetzen können. Die Chancen dafür werden immer besser, wie es das Linux Terminal Server Projekt zeigt, gleichzeitig wird der Druck auf unsere Kunden größer, wie das Auslaufen des Supports bei Windows 98 zeigt", betonte Docknevich gegenüber heise online.

SCO-Chef Darl McBride dürfte angesichts der vielfältigen Entwicklungen irritiert sein, wie wenig Bedeutung die Protagonisten der quelloffenen Szene seine Sicherung des angeblich gestohlenen geistigen Code-Eigentums beimessen. Daran werden wohl auch diverse Berichte nichts ändern, SCO prüfe, ob man auch gegen die BSD-Derivate vorgehen müsse -- in der auf der Comdex verteilten SCO-FAQ schrieb die Firma jedenfalls noch, BSD-Unixvarianten seien von der Auseinandersetzung um angeblich geklauten Code in Linux nicht betroffen; Darl McBride kündigte immerhin eine Überprüfung an, ob dies wirklich so sei. Auch die Person des SCO-Chefs ist lange nicht so gefährdet, wie aufgebauschte PR-Berichte vermelden. Ganz ohne Bodyguards konnte McBride mit seiner Entourage Las Vegas besuchen. Wer Bücher liest und an Open Source interessiert war, hatte in der Spielerstadt Las Vegas Besseres zu tun als faule Eier zu werfen. (Detlef Borchers) / (jk)